Weidenpesch – Nicht immer geht es um Leben und Tod. Manchmal bekommt es das Team der Kölner Feuerwehr-Leitstelle auch mit verirrten Vögeln zu tun. Oder mit Gattinnen, die aus Versehen ihren Mann verletzen, weil sie ihm gerade die neueste Übung aus dem Selbstverteidigungskurs demonstriert haben.
Thomas Demmer arbeitet seit acht Jahren in der modern-funktionalen Halle an der Scheibenstraße in Weidenpesch und hat schon Vieles erlebt. Mit einem Headset auf dem Kopf sitzt der 49-jährige Berufsfeuerwehrmann vor einer Armada von Monitoren und bearbeitet im Sekundentakt große und weniger große Katastrophen. Er gehört zu den ersten, die erfahren, wenn ein Mensch im Rhein zu ertrinken droht, wenn der Ehemann einen Herzinfarkt erleidet oder wenn in Nippes ein Baum umgefallen ist. Er war der erste Feuerwehrmann, dem berichtet wurde, dass gerade das Stadtarchiv eingestürzt war.
Seit es Handys gibt, hat sich die Arbeit der Leitstellen-Disponenten von der Scheibenstraße stark verändert. Ein kurioses Phänomen trete vor allem bei Autobahn-Unfällen auf, sagt Leitstellen-Chef Sebastian Brandt. Fast jeder Passant greife dann zum Telefon und wähle die 112. „Das Problem ist oft, dass ein und derselbe Vorfall sehr unterschiedlich beschrieben wird“, sagt der 35-Jährige. Wenn sich etwa die Ortsangaben zu sehr unterscheiden, werden in der Leitstelle manchmal Rettungsfahrzeuge an zwei Einsatzorte geschickt, wo es eigentlich nur einen gibt. „Aber was sollen wir machen, wir müssen schnell entscheiden“, sagt Brandt. Sicherheit gehe eben vor.
Mehr Anrufe, weniger Scherzanrufe
Die Zahl der Anrufe ist auch insgesamt stark gestiegen. 1995 wurde die Leitstelle noch 223472-mal angerufen, 2015 waren es 366627 Anrufe. Allerdings bimmelte es an der Scheibenstraße zwischenzeitlich weitaus öfter. Der Grund für den Rückgang: 2015 gab es nicht so viele Unwetter-Ereignisse wie in den Jahren zuvor. Und Handy-Notrufe sind seit 2009 nur noch mit Sim-Karte möglich. Weil alle Nummern nachverfolgt werden können, gibt es nun weniger Scherzanrufe. Aber unterm Strich haben Leitstelle und Rettungskräfte immer mehr zu tun.
1995 rückten Notarztwagen und Feuerwehren noch 63586-mal aus, 2015 waren es bereits 155735 Einsätze. Der demografische Wandel macht sich hier ganz konkret bemerkbar. Laut Brandt steigt die Zahl allein lebender Senioren, die sich in schwierigen Situationen nicht anders zu helfen wissen, als den Notarzt zu rufen. Dazu komme die wachsende Bevölkerungszahl Kölns – und die generell große Bereitschaft von Großstädtern, den Rettungswagen zu rufen. „Auf dem Dorf kennt man sich und fährt sich gegenseitig ins Krankenhaus“, sagt Brandt. In Köln gehe es anonymer zu.
Und allgemein sinke die Hemmschwelle, den Rettungsdienst zu rufen. Die Stadt will den wachsenden Aufgaben nun Rechnung tragen: In den nächsten Jahren sollen nicht nur mehr Rettungs- und Notarztwagen angeschafft werden. Die aktuell 77 Leitstellen-Mitarbeiter werden zudem um 40 weitere ergänzt.
An der Scheibenstraße ist alles klar geordnet: Vorne sitzen die Disponenten für die Notruf-Annahme und entscheiden, welche Fahrzeuge ausrücken müssen. Dahinter kommen die Koordinatoren für die Feuerwehr-Fahrzeuge und die Rettungswagen. Sie halten Kontakt zu den Einsatzkräften, lotsen sie an die richtige Stelle und versorgen sie unterwegs mit wichtigen Detail-Informationen. Doch wenn zu viele Notrufe auf die Leitstelle einprasseln, werden sie auch von den Koordinatoren abgearbeitet. „Auf drei Ohren hören können“, sagt Brandschutz-Koordinator Roland Strack auf die Frage, was seine wichtigste Fähigkeit ist.
An diesem Nachmittag ist ein verletzter Papagei gemeldet worden und eine Amsel, die sich in ein Badezimmer verirrt hat. Aber es ruft auch eine Frau aus Buchforst an, deren Mann zusammengebrochen ist. Teamleiter Torsten Maas erklärt ihr, wie eine Herzdruckmassage funktioniert. Die Erste Hilfe über das Telefon bekommt an der Scheibenstraße einen immer wichtigeren Stellenwert. Denn bis zum Eintreffen des Rettungswagens können auch Angehörige Leben retten. In diesen Minuten geht es dann wirklich um Leben und Tod.
Im Durchschnitt 1000 Anrufe an einem Tag
Die Mitarbeiter der Leitstelle sind ausnahmslos Berufsfeuerwehrleute mit Zusatzausbildungen zum Leitstellen-Disponenten und Rettungsassistenten. Im Durchschnitt sitzen tagsüber sieben Beamte an den Tischen der Leitstelle. Nicht alle arbeiten akute Fälle ab, manche kümmern sich auch um länger geplante Einsätze von Hubschrauber- oder Schwergewichtigentransporten. Im Ernstfall werden zusätzliche Kräfte aus der Bereitschaft hinzugezogen.
Etwa 1000 Notrufe gehen im Durchschnitt innerhalb von 24 Stunden in der Leitstelle ein. An Pfingstmontag 2014, als ein Unwetter über das Birlikte-Festival zog, waren es 2000 Notrufe. Jeder Leitstellen-Disponent nimmt etwa 100 bis 150 Notrufe pro 24-Stunden-Schicht an. Scherzanrufe werden angezeigt, zudem muss der Verursacher die Kosten für Fehleinsätze tragen. Insgesamt kann die Leitstelle auf rund 600 Einsatzfahrzeuge aus Brandschutz, Technischer Hilfeleistung, Rettungsdienst und Katastrophenschutz zurückgreifen und muss diese im Einsatzfall koordinieren. Darunter fallen auch viele Sonderfahrzeuge, die nur bei besonderen Einsätzen alarmiert werden. (cht)