Was Krieg bedeutetSo kam es vor 77 Jahren zum Panzerduell am Kölner Dom
- Der Krieg in der Ukraine ist allgegenwärtig: Seit Tagen werden wir mit bedrückenden Szenen menschlichen Leids konfrontiert.
- Bei den noch wenigen lebenden Zeitzeuginnen und Zeitzeugen des Zweiten Weltkriegs rufen sie alte Bilder hervor. Sie haben selbst erlebt, was Krieg bedeutet.
- Vor 77 Jahren steht unter anderem Köln im Fokus: Rund um den Dom kommt es zu einem historischen Panzerduell. Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ rekonstruiert die Ereignisse von damals.
- Dieser Text ist aus unserem Archiv. Er wurde erstmal im August 2015 veröffentlicht.
Köln – In den ersten Tagen des März 1945 ist ganz Köln auf der Flucht. Zu Zehntausenden fliehen die Menschen vor den anrückenden Amerikanern vom Links- ins Rechtsrheinische. Die Nazis haben Gräuelgeschichten über angebliche Untaten der Alliierten verbreitet und die Evakuierung angeordnet. Nur ungern sind die Kölner früheren Evakuierungsbefehlen gefolgt, aber diesmal fliehen sie in Panik.
Wer in die rechtsrheinischen Stadtteile will, muss das Nadelöhr der Hohenzollernbrücke passieren, die als einzige Brücke noch steht, oder eine Fähre nehmen − ein Exodus sondergleichen. Binnen zwei Tagen überqueren 80.000 Menschen zu Fuß, im Auto und mit Booten den Rhein.
Am 2. März hatten noch 120.000 Menschen in den Trümmern der Stadt gelebt, zwei Tage später sind es 40.000. Sie hausen in Kellern, Bunkern und Verschlägen in einer Ruinenlandschaft. Berge von Schutt versperren die Straßen, die Toten werden kaum noch beiseite geräumt. Hoffnungslosigkeit macht sich bei denen breit, die nicht fliehen konnten oder wollten. Es wird still in der fast verlassenen Stadt, in der die Plünderer unterwegs sind. Köln liegt im Todeskampf.
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Zweiter Weltkrieg: Angriff von Düren und Jülich aus auf Köln
Ende Februar setzen die Erste und Neunte US-Armee von Düren und Jülich aus zum Angriff auf Köln an. Sie ringen um eine Einschätzung dessen, was sie in der Stadt erwartet. In einem Zeitungsbericht wird spekuliert, dass die Deutschen „im mittelalterlichen Stadtbezirk“ den amerikanischen Truppen einen Häuserkampf wie in Stalingrad bereiten könnten. Die Nazi-Propaganda tönt immer noch laut. Die Kölner würden jeden Meter und jede Treppenstufe in der Stadt gegen das Eindringen des Feindes verteidigen, hat Gauleiter Josef Grohé angekündigt.
Die Amerikaner verzichten jedoch auf weitere Luftangriffe und rücken vorsichtig vor. Am 4. März stehen sie bereits in den ersten Vororten westlich, nördlich und südlich von Köln und gehen in Position für den entscheidenden Angriff: Die Aktion „Lumberjack“ (Holzfäller) beginnt. Die Axt anlegen muss der Holzfäller nicht. Ein Augenzeuge notiert: „Bin seit einigen Stunden auf dem zweiten Speicher, um mir »die Schlacht um Ossendorf« anzusehen. 15.20 Uhr erschienen die ersten Amerikaner auf der Iltisstraße mit ca. 10 Panzern und Panzerspähwagen ohne einen Schuß.“
Amerikaner drangen problemlos zu den Ringen vor
Am nächsten Morgen überwindet die 3. Division des VII. Amerikanischen Korps den kaum existenten äußeren Verteidigungsring bei Ossendorf. Längst hat die Wehrmacht ihr schweres Gerät über den Rhein abgezogen. Nur eine Handvoll Soldaten leistet noch Widerstand, und die Amerikaner dringen problemlos bis zu den Ringen vor. Am inneren Verteidigungsring am Grüngürtel soll eigentlich der Volkssturm stehen, doch der hat sich längst aus dem Staub gemacht. „Der unbesetzte äußere und innere Ring, die unbesetzten Panzersperren mit herumliegenden Panzerfäusten, einzelne, umherstreunende Soldaten lassen über die Verteidigungsbereitschaft keinen Zweifel zu“, muss General Friedrich Köchling erkennen. Er ist derjenige, der Köln militärisch verteidigen soll.
Anfang März 1945: Köln liegt im Todeskampf
Noch am selben Abend bekommt er mächtig Druck von Gauleiter Grohé, der ihn als Reichsverteidigungskommissar persönlich aufsucht, um die „unbedingte Verteidigung Kölns bis zum letzten“ zu fordern. Dazu bietet er ihm zwei weitere Volkssturm-Bataillone mit 1200 Mann an. Köchling lehnt aufgrund seiner Beobachtungen ab, und der wütende Grohé lässt sich mit dem Boot ins sichere Rechtsrheinische bringen, wo er sein Hauptquartier im Bensberger Schloss bezieht.
Zu diesem Zeitpunkt haben sich die meisten Nazi-Größen, leitende Beamte, Polizisten, Luftschutz- und Feuerwehrleute bereits auf der anderen Rheinseite eingerichtet. Oberbürgermeister Robert Brandes kroch mit seinen Getreuen in der Höhe von Niehl durch einen Kanal unter dem Rhein durch, andere reisten mit gefälschten Papieren als Mitarbeiter des Roten Kreuzes ab. Die Verteidigung der Innenstadt überlassen sie anderen.
Köln: Fast menschenleere Innenstadt
Der 6. März wird der Tag der Entscheidung. In einer Lagebeurteilung am Morgen kommt General Köchling die Erkenntnis: „Die Unversehrtheit der Hohenzollernbrücke ist eine Frage von Stunden, ebenso das Halten von Köln mit den verfügbaren Kräften und Mitteln.“ Und er weiß: „Bei der aussichtslosen Kampflage westlich des Rheins hat − anstelle von Kampfbereitschaft − Resignieren und Apathie bei der Führung und auch bei der völlig ausgepumpten Truppe Platz gegriffen.“
Als sich amerikanische Infanteristen und Panzer vom Bahndamm in der Gladbacher Straße aus in Bewegung setzen, stoßen sie in eine merkwürdig stille und fast menschenleer wirkende Innenstadt vor. Die letzten Bewohner des Stadtzentrums hocken in ihren Verstecken und lauschen auf das Mahlen und Walzen der Panzerketten. Fast scheint es so, als würden die Amerikaner kampflos bis zum Dom kommen, als aus einem Versteck heraus ein „Panzervernichtungstrupp“ angreift und einen amerikanischen Panzer in Brand schießt. Dann schwenkt auch noch ein deutscher Panzer in die Gereonstraße ein und eröffnet das Feuer. Erst an diesem Morgen war er mit zwei weiteren Panzern aus dem Rechtsrheinischen über die Hohenzollernbrücke, die damals eine Fahrbahn besaß, in die Stadt geschickt worden.
Am Abend des 6. März stehen die amerikanischen Truppen am Dom. Seit Mitternacht hatten die deutschen Truppen auch offiziell die Erlaubnis, sich über den Rhein zurückzuziehen. Allerdings gab es dafür kaum noch Möglichkeiten. So wird auch am nächsten Tag noch von Rodenkirchen bis Godorf gekämpft, bis sich die deutschen Truppen nach Süden zurückziehen.
Die Frontlinie ist nun der Rhein. Weil aus dem Rechtsrheinischen immer noch herübergeschossen wird, erklärt die amerikanische Militärregierung Teile der Innenstadt zum Sperrgebiet. Auf der anderen Rheinseite etablieren die alten Machthaber noch einmal ihr Terrorregime. Sie erschießen Deserteure und zünden eine Baracke mit Zwangsarbeitern an, um einen „Seuchenherd zu beseitigen“.
Die Brücke von Remagen wird am Ende der Schlüssel zur Eroberung des rechtsrheinischen Köln. Da ihre Sprengung beim Rückzug der deutschen Truppen misslingt, können amerikanische Einheiten an dieser Stelle den Rhein überschreiten. Zwischen dem 11. und 14. April marschieren die Amerikaner von Süden her nach Köln ein und übernehmen das Rechtsrheinische nahezu kampflos. (rr)
Insgesamt sind es wohl mindestens acht Panzer, die an diesem Tag noch Widerstand leisten. Dazu die letzten Reste der Truppe und des Volkssturms. Von einer geordneten Abwehr kann jedoch keine Rede sein. Otto Greve, der vor zwei Tagen zum Führer einer aus Polizisten gebildeten Kompanie ernannt wurde, irrt mit einer Handvoll Männer durch die Stadt. In immer kürzeren Abständen erhält er nicht ausführbare Befehle und verliert dabei Mann um Mann. Mal soll er den Bahnhof Ehrenfeld „von Panzern säubern“, dann den Rudolfplatz, die Zülpicher Straße und den Neumarkt.
Als er schließlich zum Schutz der Hohenzollernbrücke abgeordert wird, geschieht das Unglaubliche: „Das Bataillon − 9 Köpfe! − marschiert über die Trümmer der Schildergasse, wo kein Fahrzeug durchkommen kann. Am Gürzenich sehen wir hinter den Mauern eine dicke schwarze Wolke hochsteigen, wir zittern in einer gewaltigen Explosion, da flüstert einer: »Die Hohenzollernbrücke ist hochgegangen.«“ Deutsche Pioniere haben um 12.55 Uhr die Brücke gesprengt und Köln in eine geteilte Stadt verwandelt. Greve: „Wir fühlten uns verraten und verkauft.“
Köln: Panzergefecht Kämpfe am Dom
Nahe St. Gereon ist das Panzergefecht im Gange, das von amerikanischen Kameraleuten aufgenommen wird. In ihren Gefechtsständen nehmen sich der 19-jährige Clarence Smoyer in einem amerikanischen Pershing-Panzer und der 18-jährige Gustav Schäfer gegenseitig ins Visier und feuern. Als plötzlich ein Privatwagen, vom Ring kommend, in die Gereonstraße einbiegt, gerät er in die Schusslinie. Die Insassen, die zur Hohenzollernbrücke wollten, um sich ins Rechtsrheinische zu retten, bezahlen den Versuch mit ihrem Leben.
Um den deutschen Panzer zu stoppen, feuert Smoyer auf eine Hauswand, die über dem Kampffahrzeug zusammenbricht. Schäfer kann aus dem Panzer entkommen, wird aber später in einem Keller von den Amerikanern gefangen genommen. 68 Jahre später werden sich die beiden Gegenspieler zum ersten Mal in die Augen sehen und auf dem Friedhof von St. Gereon Blumen für die zivilen Opfer der Gefechte niederlegen.
Für Schäfer ist der Krieg zu Ende, während Smoyer auch am Dom noch einmal in Kämpfe verwickelt wird. Stundenlang hält ein deutscher Panzer, der vor dem Dom platziert ist, den Vormarsch der US-Truppen auf. Dabei gelingt es ihm, einen amerikanischen Sherman-Panzer in der Komödienstraße abzuschießen. Smoyers Panzer erhält den Befehl, aus der parallel verlaufenden Straße „An den Dominikanern“ vorzustoßen und einen Überraschungsangriff zu wagen. Der Pershing fährt in die Kreuzung mit der Marzellenstraße und feuert dreimal, ehe die Deutschen reagieren können. Der deutsche „Panther“ geht in Flammen auf.
Zweiter Weltkrieg in Köln: Amerikaner siegen am Dom
Das als „Panzerduell am Dom“ berühmt gewordene Gefecht ist vorbei, das linksrheinische Köln ist in wesentlichen Teilen genommen. Bis auch das Rechtsrheinische fällt, wird es noch Wochen dauern. Aber das Bild von den siegreichen amerikanischen Truppen am Kölner Dom hat große Symbolkraft und wird von den mitgereisten Propagandatrupps und Journalisten entsprechend in Szene gesetzt: Die erste deutsche Großstadt ist erobert. Die Bilder und Filmaufnahmen vom „shattered Cologne“ (zerschmetterten Köln) gehen um die Welt.
Für die Zwangsarbeiter, die sich in den Ruinen versteckt halten, für verfolgte Oppositionelle, Deserteure und die wenigen Juden, die der Vernichtungsmaschinerie entkommen waren, wird der 6. März zum Tag ihrer Befreiung. Im Klingelpütz und im Gestapo-Hauptquartier im El-De-Haus öffnen sich die Türen für die Gefangenen. Aber auch von allen anderen Kölnern fällt eine große Last − die Bombennächte, die Zwangsevakuierungen und das Leben in den Kellern hat ein Ende. Erstaunt berichtet ein Reporter: „Zunächst, als wir einrückten, schien die ganze Stadt menschenleer zu sein bis auf ein paar Infanteristen der Nachhut. Dann begannen hunderte Bürger ihre Keller zu verlassen und riefen und winkten uns zu.“
In Köln hat eine neue Zeit begonnen.