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250 Jahre Caspar David FriedrichWarum Goethe seine Bilder am liebsten zerbrochen hätte

Lesezeit 5 Minuten
Ein Mönch steht am Strand, er wirkt sehr klein im Verhältnis zur Natur.

Caspar David Friedrichs „Der Mönch am Meer“ gehört zu den berühmtesten Gemälden der Romantik

Am 5. September 1774 wurde Caspar David Friedrich geboren. Der große Romantiker begeistert viele, war aber auch vielen unheimlich.

„Man sollte Friedrichs Bilder über der Tischkante zerbrechen; solche Dinge müssen verhindert werden.“ Nein, der alte Johann Wolfgang von Goethe war kein Freund der deutschen Romantik, nicht der literarischen Bewegung und nicht ihrer Gemälde. Auch im Maler der mondbeschienenen Kapellen, entrückten Landschaften und einsamen Ruinen erkannte er bald einen Gegenspieler und Sektierer, der die Welt im subjektiv gefärbten Andachtsbild erlösen wollte und die Heilsgewissheit aus nichts außer der eigenen Ästhetik schöpfte.

Ob Goethe den zwischen Abstraktion und Abbild schwebenden Gemälden Caspar David Friedrichs damit gerecht wurde oder nicht, die moderne Kunstgeschichte hat ihn auf ihre Art bestätigt und Friedrich zum Vorläufer der gegenstandslosen Malerei bestimmt. Das ist vielleicht die Schlüsselerkenntnis in dessen Werk: „Solche Dinge“, nämlich eine Kunst, die das Heilige ausschließlich in ihren eigenen Erfindungen sucht, ließen sich seit dem „Tetschener Altar“ von 1808 nicht mehr verhindern.

Noch vor seinem Tod im Jahre 1840 kam Caspar David Friedrich aus der Mode

Ein halbes Jahrhundert immerhin spielte der wankelmütige Kunstgeschmack dem Geheimrat Goethe in die Karten. Noch vor seinem Tod im Jahre 1840 kam Caspar David Friedrich aus der Mode, geriet rasch in Vergessenheit und wurde erst auf der Berliner Jahrhundertausstellung von 1906 endgültig in seinem Rang erkannt. Seitdem zählt die stimmungsvolle Naturdarstellung in seinen Bildern zum nationalen Kulturerbe – ein auf viele Institutionen und Länder verstreuter Schatz, der schon aus konservatorischer Sorgfaltspflicht so sorgsam gehütet wird, dass der große Ausstellungsreigen anlässlich Friedrichs 250. Geburtstags auf absehbare Zeit die letzte umfassende Retrospektive seiner Werke sein dürfte.

Geboren wurde Caspar David Friedrich am 5. September 1774 in Greifswald, seinen Lebensmittelpunkt fand er in Dresden. Auf Reisen ging er selten, und dann meist in die ostdeutsche Landschaft – die damals übliche Bildungsreise nach Italien unterließ er, vielleicht aus Geldnot, vielleicht auch aus innerer Überzeugung. Friedrich fand in der Heimat alles, was er für seine Gemälde brauchte. Seine Ideallandschaften sind nicht im klassischen Sinne schön – aber deswegen nicht weniger mit Bedeutung aufgeladen.

Caspar David Friedrich trägt eine Trauerbinde und blickt uns an.

Caroline Barduas Porträt von Caspar David Friedrich zeigt den Maler im Alter von etwa 35 Jahren

Immer wieder aufs Neue überrascht das meist handliche Format der berühmten Bilder. Gemessen an seinen raumgreifenden Motiven hat der Maler erhabener Landschaften kleine Leinwände bemalt, die ein wütender Goethe bequem übers Knie brechen könnte. Das starrende „Eismeer“, in dem der Schoner Hoffnung versinkt, erzielt seine Wirkung ebenso wenig durch schiere Größe wie der zum Fernrohr ins Sakrale gewölbte „Kreidefelsen“ oder die in Düsternis verglimmende „Landschaft mit Regenbogen“. Die Meisterschaft dieser Bilder zeigt sich in der Komposition von Vorder- und Hintergrund, dem genau bestimmten Verhältnis von Nähe und Ferne, in das stets auch die Distanz zwischen irdischem Leben und der zum Horizont eilenden Hoffnung auf jenseitige Erlösung eingeschrieben ist.

Beinahe rührend wirkt Friedrichs akribische Ausarbeitung von Baumwurzeln, Gesteinsformationen oder der Takelage eines Schiffs - ihre Bedeutung erhält diese feine Ziselierung erst als Gegenentwurf zur verschwimmenden Gegenständlichkeit entfernter Gebirgszüge und Meereswogen. Sehnend und bang wandern die Blicke ins Unendliche. Selten ist die Symbolik dabei so deutlich wie beim hölzernen „Kreuz im Walde“, über dem die Sonne ein gleißendes Kruzifix in den bewölkten Himmel brennt.

Caspar David Friedrich plante seine Bilder mit dem Zirkel und malte ausschließlich im Atelier

Selbst in den aktuellen Jubiläums-Ausstellungen in Hamburg, Dresden, Berlin und Greifswald wird immer noch gegen die Verkennung der Romantik als spontaner Ausdruck einer schwärmerischen Empfindsamkeit gekämpft. Dabei dürfte es schwierig sein, ein einziges Friedrich-Hauptwerk zu finden, dem man die Idealisierung der Wirklichkeit nicht ansieht. Wer ernsthaft glaubt, es habe Friedrichs Rügen wirklich einmal so gegeben, der pflückt auch Obst aus den Schalen niederländischer Augentäuscher.

In Wahrheit plante Caspar David Friedrich seine Bilder mit dem Zirkel und malte ausschließlich im Atelier. Dabei griff er auf eigene und fremde Naturstudien zurück, die er als Versatzstücke auf die nach geometrischen Gesichtspunkten geordnete Leinwand setzte. Wie die romantischen Dichter fand Friedrich das Göttliche nicht mehr in der bloßen Anschauung der Natur, sondern indem er sie auf eine höhere Ebene hob: die der Kunst. Man muss die Welt romantisieren, hatte der Dichter Novalis geschrieben, um zu ihrem Ursprung zurückzukehren. Also schuf Friedrich die Welt noch einmal neu und sah sich dabei mittels seiner berühmten Rückenfiguren selbst über die Schulter.

Robert Rosenblum schlug einen direkten Bogen von Friedrich zur Farbfeldmalerei Mark Rothkos

Letztlich machte Caspar David Friedrich mit seinen Bildern auch eine frühe Gewinn- und Verlustrechnung der Moderne auf. Der in die landschaftliche Öde hinein getupfte Mensch erscheint verloren, und zugleich umfängt ihn die ästhetische Komposition wie eine schützende Hand. Friedrich war ein Meister des Stimmungsvollen, der es verstand, die von ihm geschaffene Leere mit neuem Sinn zu füllen. Genau diese Gabe sicherte ihm auch ein posthumes Leben jenseits der Postkartenromantik. In den 1970er Jahren schlug der amerikanische Kunsthistoriker Robert Rosenblum einen direkten Bogen von Friedrich zur Farbfeldmalerei Mark Rothkos - und verhalf ihm damit im angelsächsischen Sprachraum überhaupt erst zur Anerkennung als einer der bedeutendsten Maler des 19. Jahrhunderts.

Bis dahin tauchte Friedrich in nicht-deutschsprachigen Standardwerken vornehmlich als Marginalie auf, wie überhaupt die deutsche und ausländische Rezeption seines Werkes weitgehend in getrennten Bahnen verläuft. Nicht wenigen amerikanischen Kunstexperten erscheint er als eine Art Richard Wagner für die Augen: Großartig, aber etwas dubios. Selbst ein seinem Werk ergebener Kritiker wie Peter Schjeldahl versäumte in einer Friedrich-Eloge nicht, auf die Mischung aus „selbstvergessener Naturbetrachtung und aufgebrachtem Nationalismus“ in manchen seiner Bilder hinzuweisen, auf das „übermenschliche Pathos“ seiner leer geräumten Landschaften und auf die historische Vorahnung seiner Ruinenbilder.

Friedrich und Deutschland - eine Schicksalsgemeinschaft? Wohl kaum. Aber seltsam ist es schon, dass das genuin „Deutsche“ an Caspar David Friedrich hierzulande eher verschämt eingeräumt wird, während zeitgenössische Künstler wie Anselm Kiefer oder Gerhard Richter sich explizit auf dieses Erbe beziehen und mit dem Markenzeichen deutscher Tradition am internationalen Kunstmarkt reüssieren.

Vermutlich liegt es daran, dass es den einen Caspar David Friedrich gar nicht gibt. Im Laufe der Kunstgeschichte wurde ihm so manches Mäntelchen umgehängt, und auch heute begegnet man ihm in mindestens drei Varianten: als millionenfach vervielfältigtem Schöpfer melancholischer Sehnsuchtsbilder, als Motivsteinbruch für Film, Fotografie und Kunst und als historische Malerfigur an der Schwelle zur Moderne. Jede einzelne Gestalt bedingt die anderen, ohne in ihrer jeweiligen Bedeutung dadurch zu verlieren.