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Interview

30 Jahre Rechtsstreit
Warum das Erbe Oskar Schlemmers demnächst in Köln versteigert wird

Lesezeit 4 Minuten
Vier Köpfe von Frauen nebeneinander.

Vier Köpfe aus dem „Sechs-Köpfe-Fries“ von Oskar Schlemmer. Das Werk wird beim Kölner Auktionshaus Lempertz versteigert.

Henrik Hanstein vom Kunsthaus Lempertz über den scheinbar endlosen Rechtsstreit um das Erbe des Bauhaus-Künstlers.

Herr Hanstein, Sie werden im Frühjahr wichtige Werke aus dem Nachlass des Bauhaus-Künstlers Oskar Schlemmer versteigern. Eigentlich sollte diese Auktion bereits im Jahr 2008 stattfinden. Warum hat das so lange gedauert?

Weil die beiden Erben sich nicht einigen konnten. Das hat sich über insgesamt 30 Jahre Prozessiererei hingezogen. Die Auktion war 2008 fertig, der Katalog verschickt, die Welt interessierte sich sehr dafür – und dann mussten wir kurzfristig absagen. Danach dauerte es noch mal 16 Jahre, bis das Oberlandesgericht Stuttgart ein salomonisches Urteil gefällt hat. Jetzt ist alles geklärt.

Was war das Besondere dieses schier endlosen Rechtsstreits?

Eine Seite glaubte offenbar, sie wäre der Gralshüter des Schlemmer-Erbes. Das kann man nachvollziehen, denn die Witwe, Tut Schlemmer, hat sich sehr gut um den Nachlass gekümmert. Nach ihrem Tod hat der Enkel übernommen, und die Enkelin, die zehn Jahre jünger ist als er, dachte, es wäre alles in guten Händen. Aber dann stellte sich heraus, dass ihre Hälfte des Anteils nicht genügend berücksichtigt wurde. Sie hat dann recht lange gebraucht, ihren Anteil einzufordern – das tut man ja nicht so gerne innerhalb einer Familie. Bei der abschließenden Gerichtsverhandlung fragte der Richter die Parteien: Was wollen Sie erreichen? Und Janine Schlemmer antwortete: Ich möchte nach 30 Jahren endlich mein Erbe antreten.

Oskar Schlemmers Ansehen hat Schaden genommen
Henrik Hanstein, Kunsthaus Lempertz

Schon 2008 beklagte der Bauhaus-Experte Wulf Herzogenrath, die sich hinziehenden Erbstreitigkeiten würden dem Ansehen Oskars Schlemmers schaden.

Ja, Schlemmers Ansehen hat Schaden genommen. Die Urheberrechte an den Werken lagen bei den Erben, und Raman Schlemmer hat offenbar auf diesem Weg versucht, Einfluss auf Museen und Kuratoren zu nehmen. Über viele Jahre hinweg haben Museen einen großen Bogen um Ausstellungen zu Oskar Schlemmer gemacht, weil sie mit dem Nachlassverwalter nicht zurechtkamen. Und das bei einem der wichtigsten Künstler der wichtigsten deutschen Kunstströmung des 20. Jahrhunderts – dem Bauhaus.

Das ist hoch gegriffen.

Denken Sie an Oskar Schlemmers „Triadisches Ballett“, das hatte enormen Einfluss. Schlemmer war einer der großen Avantgardisten am Bauhaus, noch mehr Avantgarde als etwa Lyonel Feininger, der sich an französischen Vorbildern orientierte. Auch die Expressionisten standen auf den Schultern der Pariser „Fauves“. Oskar Schlemmer dagegen hat etwas völlig Neues geschaffen, in dieser Hinsicht war das Bauhaus phänomenal. Deswegen sammeln jetzt sogar chinesische Museen Bauhaus-Werke.

Menschliche Silhouetten stehen auf einem rosafarbenen Hintergrund.

„Komposition auf Rosa“ von Oskar Schlemmer

Für die Museen ist der gerichtliche Vergleich eine gute Nachricht. Andererseits werden einige Museen bei der Kölner Auktion auch Leihgaben verlieren.

Vorerst wohl nicht. Es sind Leihgaben in den USA, in Spanien und in der Schweiz, die Werke von dort abzuziehen, ginge so schnell gar nicht. Wir hatten zunächst überlegt, die Auktion erst im Herbst zu veranstalten. Aber bei den Erben sind natürlich hübsche Kosten für Rechtsanwälte aufgelaufen. Vielleicht verteilen wir die Werke auf zwei Auktionen, eine im Frühjahr und eine im Herbst, denn das Geheimnis einer erfolgreichen Auktion liegt darin, die Nachfrage größer zu halten als das Angebot. Wir wollen den Markt nicht überstrapazieren.

Eine Schlemmer-Skulptur haben Sie gerade zum Rekordpreis versteigert. War das ein Appetitanreger?

Die „Abstrakte Figur“ aus den Jahren 1921/1923 war Oskar Schlemmers bedeutendste Figur, vielleicht sogar die bedeutendste des gesamten Bauhauses. Wir konnten sie zum Rekordpreis veräußern, obwohl sie aus Gips ist. Sammler kaufen viel lieber Bronzen. Das war ein gutes Signal, ich glaube, die Nachfrage ist groß. Trotzdem muss man eine solche Versteigerung kunsthistorisch klug zusammenstellen. Wir werden wohl einige Aquarelle dazu nehmen, die als Leihgaben in Stuttgart sind, weil sie gut zu anderen Objekten in der Auktion passen.

Wie kam es zu der vorgezogenen Auktion der „Abstrakten Figur“?

Das war eine Zwangsversteigerung zur Abdeckung von Kosten. Frühere Anwälte der Parteien hatten das eingefordert. Das ganze Prozessieren hat ein Mordsgeld gekostet.

Ich habe noch niemals so lange auf eine Einlieferung warten müssen
Henrik Hanstein, Kunsthaus Lempertz

Wird die Stuttgarter Staatsgalerie viele Leihgaben verlieren?

Nein. Die „Abstrakte Figur“ war 30 Jahre in der Staatsgalerie, die wunderbare Schlemmer-Bestände hat. Im Krieg hatte das Stück gelitten und wurde in Stuttgart auf das Vortrefflichste restauriert. Allerdings war man in der Staatsgalerie nicht daran interessiert, die Figur vorab zu erwerben. Da war sicherlich auch viel Frustration im Spiel. Bei der Auktion gab es viele Interessenten, und alle sind über ihr Limit gegangen.

Was sind die Höhepunkte der kommenden Auktion?

Wir werden den wunderbaren „Sechs-Köpfe-Fries“ (1935) anbieten, eine „Bauhaus-Treppe“ (1928), die wie eine Skizze des berühmten Bildes im New Yorker MoMA wirkt, und dazu meine persönliche Favoritin, die „Komposition auf Rosa“ zu einem Schätzpreis von 1,5 Millionen Euro. Davon gibt es zwei Versionen, die andere ist in Baltimore. Für mich ist die gesamte Auktion ein Höhepunkt, und das nicht nur, weil ich noch niemals so lange auf eine Einlieferung warten musste.

Steht über kurz oder lang der gesamte Nachlass, immerhin rund 2000 Werke, zum Verkauf?

Nein, der Nachlass soll möglichst zusammengehalten werden. Darüber sind sich die beiden Familienteile einig. Vielleicht wird es weitere Leihgaben geben, vielleicht auch Stiftungen. Aber um dazu etwas sagen, ist es noch zu früh. Der Vergleich ist ja gerade erst geschlossen worden.