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Stalker, Vergewaltiger, TraummannDeshalb ist „365 Days“ so gefährlich

Lesezeit 4 Minuten
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So will Massimo (Michele Morrone) Laura (Anna-Maria Sieklucka) davon überzeugen, dass er ein super Typ ist.

  1. Der polnische Film „365 Days“ feiert zurzeit bei Netflix große Erfolge. Doch im Netz gibt es auch viel Gegenwind.
  2. Der Film vermittelt den Eindruck, Vergewaltigung und Freiheitsberaubung seien völlig in Ordnung, so lange der Mann gut aussieht und reich ist.
  3. Letztlich liefert „365 Days“ den Beweis, dass die durch MeToo ausgelöste Debatte noch lange nicht abgeschlossen ist.

Finden Sie den Fehler: Ein Mann stalkt eine Frau, lässt sie von seinen Handlangern betäuben und in seine Villa verschleppen, um ihr dort zu eröffnen, dass er ihr nun 365 Tage lang die Chance gebe, sich in ihn zu verlieben, nur um dann zu betonen: „Ich tue nichts ohne deine Erlaubnis.“ Eine ziemlich gewagte Aussage nach einer Entführung.

Laura (Anna-Maria Sieklucka), die junge Frau, die der reiche Mafioso Massimo in dem Film „365 Days“ in seine Gewalt gebracht hat, ist allerdings nach kurzem anfänglichen Protest höchst angetan von dem Verbrecher, immerhin ist er „1,90 Meter groß, hat null Körperfett und wurde von Gott selbst geformt“, geht mit ihr in teuren Boutiquen shoppen, kann tanzen und lässt sie in seinem Privatjet mitfliegen. Und anders als ihr langweiliger Freund begehrt Massimo sie rund um die Uhr.

Der Film feiert große Erfolge

Gut, er ist zwar ein Drogenhändler, Clan-Chef, Mörder und Vergewaltiger – aber bei Kinderprostitution und Frauenhandel hört für ihn der Spaß echt auf, wie er in mehreren Szenen beteuert. Da muss er doch ein gutes Herz haben. Und da verzeiht sie ihm dann eben auch, dass er sie trotz seiner Ankündigung ständig bedrängt, am Hals packt, und Dinge sagt wie „Du wirst mir gehören. Dann mach ich alles, was ich will, mit dir.“ Sie ahnen vermutlich, was dennoch passiert: Sie verliebt sich in Massimo. Und das dauert noch nicht mal 365 Tage.

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Der polnische Film , der auf einer Romanvorlage basiert, feiert zurzeit bei Netflix große Erfolge. In den USA, Deutschland und vielen anderen Ländern taucht der Film beständig auf den vorderen Rängen der meistgesehenen Produktionen auf. Da wundert es nicht, dass es einen zweiten Teil geben wird. Das amerikanische Internetportal „tmz“ veröffentlichte in dieser Woche ein Video, in der Hauptdarsteller Michele Morrone die Fortsetzung ankündigt. Der Italiener hat mittlerweile 7,2 Millionen Follower bei Instagram und wird in den sozialen Netzwerken von Fans als Sexiest Man Alive gefeiert.

Viel Gegenwind

Netflix hält sich mit Werbung für den Überraschungserfolg allerdings erstaunlich bedeckt. Und das verwundert auch nicht. Denn obwohl Fans bekunden, unbedingt auch von einem Mann wie Massimo entführt werden zu wollen, erhält der Streifen viel Gegenwind. Die britische Organisation Pro Empower hat in einem mehrseitigen Brief einen Rückzug des Films von der Plattform gewünscht. In der Schweiz fordert die Vorsitzende der Jugendorganisation der Sozialdemokraten laut „20 Minuten“ von Netflix, „den frauenverachtenden Film“ zu löschen. Es gibt Unterschriftenaktionen gegen ihn.

Michele Morrone und Anna-Maria Sieklucka in „365 Days“

Und in der Tat ist es verstörend, dass dieser Film trotz einer offiziellen Altersfreigabe ab 16 Jahren für Millionen Teenager – und vermutlich auch Kinder – weltweit frei zugänglich ist. In der Schweiz hat „20 Minuten“ Schülerinnen und Schüler zu dem Film befragt und erhielt Antworten wie „Ich hätte es genossen, von Massimo entführt zu werden.“

Vieles an „365 Days“ erinnert an den Kinoerfolg „50 Shades of Grey“, doch im Vergleich ist das Hollywood-Machwerk ein feministisches Manifest. Denn immerhin stimmt Ana der SM-Beziehung mit Christian Grey freiwillig zu. Was hier dagegen als die große Liebe inszeniert wird, ist nichts anderes als sexuelle Gewalt. „365 Days“ lässt schon in den ersten Minuten keinen Zweifel daran, dass sich ein Mann alles nehmen darf, wenn er aussieht wie Massimo. In seinem Privatjet zwingt Massimo eine Flugbegleiterin zum Oralsex – und sie lächelt hinterher beseelt. Hat er Sex, geht es immer nur um seine Befriedigung.

Gut aussehende Männer dürfen alles

Wäre dieser Entführer hässlich, alt und arm, „365 Days“ wäre vermutlich ein Horrorfilm geworden. So wird der Eindruck vermittelt, Vergewaltigung und Freiheitsberaubung seien völlig in Ordnung, solange der Mann nur gut aussehend und reich genug ist. Und all das ist bei einem Streaming-Portal zu bewundern, das kräftig Werbung für seine Doku „Jeffrey Epstein: Stinkreich“ machte, in der traumatisierte Frauen erzählen, wie der gut aussehende Milliardär ihnen auf seiner Privatinsel über Jahre exakt das antat, was wir hier als erotisches Abenteuer feiern sollen.

Nun gibt es Menschen, die argumentieren, dass Vergewaltigungsfantasien bei Frauen laut Umfragen weit verbreitet seien, der Film also nur abbilde, was viele sich wünschen. Doch es ist falsch, von Vergewaltigungsfantasien zu sprechen. Es sind Fantasien, in denen Frauen – oder Männer – willentlich die Kontrolle abgeben – weshalb der Sex in diesen Fantasien eben gerade keine Vergewaltigung, sondern einvernehmlich ist. Und zudem eine reine Kopfsache.

Ein Film wie „365 Days“ propagiert jedoch, dass Frauen eigentlich, wären sie nur ehrlich genug, unterdrückt werden wollen. Bedenkt man dann noch, dass in einer Umfrage der Europäischen Kommission aus dem Jahr 2016 zehn Prozent der Befragten angaben, eine Vergewaltigung sei vertretbar, wenn das Opfer freizügige Kleidung trägt, wird deutlich, wie gefährlich solche Botschaften sind.

Letztlich liefert „365 Days“ also nur den Beweis, dass die durch MeToo ausgelöste Debatte noch lange nicht abgeschlossen ist.