Die Goldenen Zitronen aus Hamburg entwickelten sich nach Funpunk-Anfängen zu einer der wichtigsten und hochpolitischen Bands Deutschland. Zum Jubiläum sprechen wir mit Sänger Schorsch Kamerun.
40 Jahre Die Goldenen ZitronenWarum sich Schorsch Kamerun nicht mehr singen hören kann
Schorsch Kamerun, die Goldenen Zitronen werden 40, geben aus diesem Anlass unter anderem am Dienstag ein Konzert in Köln und veröffentlichen eine Werkschau im Albumformat. Eigentlich nichts Unübliches, aber nun sind die Goldenen Zitronen ja eine Band, die immer nach vorne geschaut hat.
Schorsch Kamerun: Ja, wir sind von Anfang an auf den Platz gegangen, um etwas Gegenwärtiges zu sagen. Deswegen spiele ich in einer Punkband, weil ich etwas in diesem Moment sagen will und das ist immer noch so geblieben. Wir haben immer noch Lust, aktuell zu intervenieren. Aber man interveniert eben unterschiedlich in der Zeit. Ich glaube, wir sind eine der Bands, die den größten Abstand von ihrem Frühwerk hat.
Weshalb ein „Best of“ in Ihrem Fall eher ungewöhnlich ist.
Ja, da haben Sie recht, das passt erstmal nicht so. Wir raufen uns gerade wieder zusammen. Das muss diese Band immer wieder tun, weil wir ganz verschiedene Lebensumgebungen haben. Unsere letzte große Tournee hatten wir noch vor Corona gemacht, zu unserer letzten Platte. Das hat gut funktioniert, und trotzdem fragt man sich, müssen Bands eigentlich immer wieder etwas Neues veröffentlichen? Auf jeden Fall muss sich erstmal wieder etwas ansammeln, an Erlebtem oder an Zeitgeschichte, bevor die Gruppe das reflektiert. Wir hatten uns vor zwei Jahren alle auf der Trauerfeier von „Kolossale Jugend“- Sänger Kristof Schreuf in Berlin wiedergetroffen. Die hat mich sehr berührt. Und irgendwie hat das mit ausgelöst, dass wir uns jetzt zeigen wollten, als Gruppe.
Nun sind Sie seit der Jahrtausendwende ein viel beschäftigter Theatermacher, was reizt Sie daran, immer wieder zu Ihrer alten Band zurückzukehren?
Ich kann mich im Theater inhaltlich genauso unzensiert verwirklichen und die Themen sind für mich dieselben oder mindestens genauso interessant wie die in der Popkultur. Aber der Ausdruck der Goldenen Zitronen ist noch mal ein ganz anderer. Die Band ist so eine Art Konstante in Zeitbeschreibung. Auch weil wir es geschafft haben, uns in unserer Biografie immer wieder zu wandeln, immer „contemporary“ zu bleiben. Es bleibt also einfach sehr sinnvoll, diese Band zu betreiben, als Vehikel.
Und die Aufregung, als Sänger vorne auf einer Bühne zu stehen?
Also ich suche nicht den Ausdruck auf der Rockbühne. Das ist auch höllisch anstrengend. Diese entsetzlichen Soundchecks nachmittags, dann der sogenannte Tourbus und all der ganze hässliche Scheiß. Aber trotzdem, der Moment, mit dieser Gruppe als Kollektiv aufzutreten ist einzigartig.
Ihre Rückschau versammelt immerhin 44 Zitronen-Stücke. Gab es dennoch Diskussionen, etwa zwischen Ted Gaier und Ihnen als Original-Mitglieder, was darauf darf und was nicht?
Die gab es schon. Wir wollten schon möglichst breit abbilden und haben uns deshalb nicht gescheut, die ganz alten Sachen mit drauf zu nehmen. Aber live spielen wir die meisten nicht mehr. Wir können das nicht adäquat, weil wir uns dafür viel zu oft gedreht und verwandelt haben. Ich finde zum Beispiel „Porsche, Genscher, Hallo HSV“ weiterhin einen interessanten Songtitel, aber den heute zu performen, das funktioniert nicht, da können wir nur enttäuschen. Wir nehmen aber noch weitere Künstler:innen mit auf Tour, die wollen probieren, auch die älteren Sachen zu spielen. Das war schon immer Teil unserer Biografie, so einen Song wie „Für immer Punk“ haben wir eigentlich nie live gespielt, weil wir ihn sofort absurd fanden.
Am Ende lägen sich 60-jährige Punks bierselig in den Armen und sängen mit!
Schauderhaft! Aber na ja, auch bei mir ist mit den Jahren eine gewisse Milde eingetreten. Manche Sachen, die man einer jüngeren Generation nicht erklären könnte, berühren mich sehr. Das ist Neurologie, das kommt ja von irgendwo her, so eine bestimmte Wiedererkennung, die in den in Stimmen und Klängen liegt. Oder wie John Cage sagt: Musik kann alles. Na, ja und wenn beim Goldies-Konzert dann vielleicht auch so eine verbindende Erinnerung auftritt, so what? Ich aber empfinde die unserer Historie gegenüber nicht. Wir suchen als Band weiterhin nach einer zeitgenössischen Aufführung, wir wollen nicht nostalgisch bedienen. Das klingt vielleicht störrisch, aber das funktioniert bei uns einfach nicht.
Es gibt wohl auch keinen neuen Kontext, in dem man heute noch einen Song wie „Der Tag, als Thomas Anders starb“ spielen könnte?
Ich habe neulich, weil ich gefragt wurde, „Allein machen sie dich ein“ von den Ton Steine Scherben interpretiert und ein kleines Video dazu gebastelt. Die Goldies haben das Lied auch mal in den 1980ern gespielt. Damals hatte das Wort Revolution noch eine scheinbar erreichbare Notwendig- und Gültigkeit. Ich habe dann so eine Art brüchig, surreale Form gefunden, das zu singen. Es steckt trotzdem noch Aufbruch drin, eben das, was Rock mal konnte.
Dem Freiheits-Mythos Rock’n’Roll begegneten die Goldenen Zitronen doch fast von Anfang an mit Misstrauen?
Ja, aggressive Rockmusik als noch irritierendes Mittel finden wir schon lange obsolet. Wir sind die Kings of Rock’n’Roll-Skeptiker.
Ich hatte als junger Mensch einen schönen Erkenntnismoment, als ich die Goldene-Zitronen-EP „Das ist Rock“ aus dem Plattenregal zog, deren Cover „Live in Japan“ von Deep Purple parodierte. Da war für mich Rockmusik mit einem Schlag kaputt.
Wir haben die Ironie genutzt. Aber Ironie muss man unbedingt updaten. Unser Zehnjähriger liebt Otto Waalkes. Ich kann diese, nennen wir sie mal vorsichtig: frivolen, Witze kaum aushalten. Otto ist ein echter Nostalgiker, der schafft das sehr gut, weiterhin populär zu sein. Aber nostalgisch sind wir eben überhaupt nicht. Obwohl ich mir Ironie auch nicht verbieten mag, weil ich die manchmal als Mittel von Begehbarkeit schätze. Deswegen haben wir als Band immer geschaut, welche Arten von Ironie noch funktionieren und welche nicht. Wenn du nur selbstgewiss und konsequent deine immer gleiche Radikalität ausspielst, das fand ich immer zu dogmatisch.
Andererseits bedeutet eine ironische Welthaltung, dass man sich selbst in einem ausgedachten Raum verortet, abgesondert vom Rest der Welt.
Ja, und trotzdem sucht man manchmal als Künstler diesen ausgedachten Raum. Der ist wichtig, der bleibt für mich wertvoll. Ich meine, wir haben unser Triple-Album "Inventur” genannt, das ist auch Selbstwitz. Ebenso verhält es sich mit Daniel Richter ...
... der bekannte Maler ist ihr Labelboss und gestaltet auch ihre Cover ...
... der schießt in seinem Ringen darum, amüsant zu sein, manchmal ebenfalls über das Ziel hinaus. Und ist darin trotzdem auch scharf. Wir sind eine Band der Ambivalenzen, wir wollen die eigenen Widersprüche sichtbar machen. Das kommt nicht immer nur geil.
Hat die Band ihre vielen Wandlungen über die Jahre eher als Brüche oder als Entwicklungen erlebt?
Ich würde das schon Entwicklung nennen. Wir haben reagiert. Anfang der 1990er Jahre, mit den Erlebnissen von Rostock-Lichtenhagen, Mölln und Hoyerswerda, da konnte es nur eine inhaltliche Eindeutigkeit geben. Zusätzlich haben wir mit Formen experimentiert, weil wir fanden, dass der einfach gespielte Rock’n’Roll-Song nicht mehr dafür ausreicht, um diese Texte zu transportieren. Also sind wir ausgeschwärmt, haben das Experiment zugelassen, uns im Liedermachertum umgeschaut oder beim Hip-Hop, ohne rappen zu wollen oder zu können. Genauso haben wir geguckt, was für uns bei avantgardistischen Kunstformen interessant sein kann. Der Situationismus ist bis heute ein Leitmotiv für mich. Seine „Gesellschaft des Spektakels“ hat sich eingelöst.
Sie haben sich weit entfernt von Ihren Wurzeln im Punk.
Eigentlich nicht, auch Sex-Pistols-Manager Malcom McLaren war Situationist. Was ich natürlich noch nicht wusste, als ich „Anarchy“ gebrüllt habe. McLaren hat mit „Cash from Chaos“ und „The Great Rock’n’Roll Swindle“ viel vorweggenommen von der Annäherung von Industrie, Werbung und Straße, die man in den 90ern „Reality“ nannte. Uns hat das als Band einfach interessiert, wir mussten auf andere Felder, wir haben uns gelangweilt. Ich begreife nicht, wie man es aushält, über Jahrzehnte immer nur das Konstante weiterzutreiben, als würdest du jeden Tag denselben Witz erzählen.
Es gab einen Moment, Ende der 1980er, da hatten sich Die Ärzte aufgelöst und Die Goldenen Zitronen hätten das nächste große Fun-Punk-Ding werden können. Sie haben sich den großen Labels aber stets verweigert. Ist die Entscheidung damals schwergefallen?
Ne, wirklich null. Wir waren da, glaube ich, schon authentisch beim Ablehnen. Tim Renner hat uns einen Deal über fünf Alben angeboten. Für uns war das albern. Wir konnten uns nicht vorstellen, gemeinsam mit den Künstlern verdealt zu werden, die bei den großen Firmen waren. Und auch nicht die Art von Reklame und Vermarktung. Wir sind damals recht schnell größer geworden, dann kamen flott mal Tausend Leute zum Konzert. Und bei allem, was da drüber ging, wurde es für uns unangenehm, mit Absperrungen, Security und Backstage-Pässen. Wir haben uns als eine Band aus und in der Szene gesehen. Wir wollten Teil von etwas sein und sich darüber zu erheben, das passte nicht mit unseren Inhalten zusammen. Und das haben wir nie bereut.
Sind Sie bei der „Inventur“ auch auf alte Stücke getroffen, wo Sie sagen würden, die waren Irrläufer, da sind wir falsch abgebogen?
Ohne Ende! Also meine Güte, ich mag gar nicht erzählen, wie schrecklich ich teilweise Sachen finde, in ihrer Haltung, in ihrem maskulinen Ausdruck. Bei allem, was wir versucht haben, an Brüchen reinzubringen, waren wir doch auch eine Rock’n’Roll-Gang. Unsere Konzerte waren wirklich crazy und die Energie halsbrecherisch. Aber gerade mich als Sänger halte ich kaum aus, dieses Gegröle.
Und wie sieht es heute mit der Energie aus, wenn sie jetzt als 40-jährige Band auf die Bühne gehen?
Es ist immer noch physisch ausufernd. Wenn wir zusammen auf die Bühne gehen, hat das eine hysterische Aufladung. Wir sind eine höchst unentspannte Band.
„40 Jahre Goldies – Zauberhafte Ballnacht mit den Goldenen Zitronen und ihren Genoss:innen“ am 3. 12. im Gloria, 20 Uhr
Am selben Tag erscheint die Goldene-Zitronen-Werkschau „Inventur (1984-2024)“, als Triple-CD oder -Vinyl.