Der deutsche Vampir Nosferatu war die erste große Schreckgestalt des Kinos. US-Regisseur Robert Eggers haucht ihr neues Leben ein.
Ab 2. Januar im KinoWie „Nosferatu“ mit Stummfilm-Horror und Nekrophilie an Grenzen geht
„Nosferatu“ – der Film ebenso wie sein titelgebender Vampir – wirft einen langen Schatten. Am 2. Januar läuft Robert Eggers Neuinterpretation des Stummfilm-Klassikers in den Kinos an, mehr als hundert Jahre nachdem Friedrich Wilhelm Murnau mit seiner „Symphonie des Grauens“ die Blaupause des modernen Horrorkinos geschaffen hat. Sein Graf Orlok ist die erste Schreckgestalt des bewegten Bildes, die ein Eigenleben abseits der Leinwand führt, der Ahne von Freddy Krueger, Michael Myers und Hannibal Lecter.
Auch weil Orloks Darsteller den Fiebertraumnamen Max Schreck trug, von spinnenartig-langgliedriger Physiognomie war und der Graf seine mit Abstand größte Rolle blieb. „Er trat in die Szene aus einer anderen Welt und die andere Welt kam mit ihm“, beschrieb ihn der Münchner Dramaturg Wolfgang Petzet. Schreck galt als Sonderling. Hinter seinem Rücken raunte man, er möge am Ende wirklich ein Vampir sein. Das Gerücht inspirierte den US-Regisseur E. Elias Merhige zu seiner Groteske „Shadow of the Vampire“, einem fiktiven Making-of von „Nosferatu“, in dem Willem Dafoe Schreck als veritablen Blutsauger spielt, den John Malkovichs F. W. Murnau nur mit Mühe davon abhalten kann, die gesamte Film-Crew umzubringen.
Willem Dafoe war vor 25 Jahren Nosferatu, jetzt spielt er den Vampirjäger
In Robert Eggers „Nosferatu“ sorgt Dafoe nun als Albin Eberhart von Franz für die wenigen komischen Momente des schwarz-romantischen Films. Dieser von Franz ist im Prinzip niemand anderes als der Dracula-Gegenspieler Van Helsing, denn schon Murnaus Original war ein derart schamloses Plagiat des Romans von Bram Stoker, dass die Witwe des irischen Autors sich vor einem Berliner Gericht mit ihrer Forderung durchsetzen konnte, das komplette Filmmaterial inklusive aller Kopien zu vernichten. Die erste offizielle Verfilmung des Stoffes inszenierte dann Tod Browning 1931 mit Bela Lugosi in der Titelrolle.
Zum Glück der Kinogeschichte blieben einige „Nosferatu“-Kopien im Ausland erhalten, denn obwohl Murnaus nicht autorisierte Adaption in vielerlei Hinsicht der bis heute werktreueste „Dracula“-Film ist, machen gerade die feinen Unterschiede ihren besonderen Reiz aus.
Die „Symphonie des Grauens“ verlegt Stokers Geschichte in die fiktive Hafenstadt Wisborg – in Anspielung auf die Hansestadt Wismar an der Ostseeküste – und in die Zeit des Biedermeier. Damit rückt sie den Stoff in die Nähe romantischer Maler wie Carl Gustav Carus und Caspar David Friedrich und der unheimlichen Erzählungen E. T. A. Hoffmanns.
Am Sinnfälligsten weicht jedoch der Vampir selbst von der viktorianischen Vorlage ab. Der ist nicht mehr der blasse, unwiderstehliche Charmeur, als der er bis heute gezeigt wird, von Lugosi über Gary Oldman in der Romanverfilmung von Francis Ford Coppola bis zu Robert Pattinsons golden funkelnden Teenie-Beißer aus der „Twilight“-Reihe. „Murnau hat“, schreibt Lotte H. Eisner in „Die dämonische Leinwand“, „die unheimliche Seite seines Nosferatu verstärkt und ihn sichtbar scheußlicher gestaltet.“ Kein spitzzahniger Verführer, sondern die Verkörperung des Bösen und seiner Verführungskraft. Eine „blutrünstige, aussaugerische Tyrannenfigur sei dieser Vampir“, so Siegfried Kracauer in seinem Buch „Von Caligari zu Hitler“.
Werner Herzog hatte Mitleid mit dem untoten Klaus Kinski
Nur Werner Herzog empfindet in seiner „Nosferatu“-Version aus dem Jahr 1979 selbst noch für diese „Geißel Gottes“ Sympathie, er zeigt ihn als Melancholiker: „Der Tod ist nicht alles, es gibt viel Schlimmeres. Können Sie sich vorstellen, dass man Jahrhunderte überdauert und jeden Tag dieselben Nichtigkeiten miterlebt?“, erklärt sich hier ein kahlköpfiger Klaus Kinski gegenüber seinem nächsten Opfer.
Robert Eggers kehrt zurück zum scheußlichen Tyrannen Eisners und Kracauers. Die Ganzkörperprothese, unter der sich der Schauspieler Bill Skarsgård verbirgt – der bereits als Horrorclown Pennywise in „Es“ diabolisch durch dickste Make-up-Schichten leuchtete – ist dem Porträt Vlads III. Drăculea nachgeformt – der walachische Fürst, der seine Gegner mit Gusto gepfählt, verstümmelt und enthäutet hat und der Bram Stoker als historisches Vorbild für seinen Antihelden diente. Aber es ist kein Bildnis nach dem Leben, sondern eines nach dem Tod: Drastischer als die älteren „Nosferatu“-Versionen (und jeder andere „Dracula“-Verfilmung) zeigt der amerikanische Regisseur den Vampir als lebende oder vielmehr dämonisch durchblutete Leiche.
Murnau gewinnt, so Lotte Eisner, der Natur expressionistische Effekte ab. Herzog interessiert sich nicht fürs historische Detail – an den Portalen der Biedermeier-Wohnungen erkennt man die elektrischen Türöffner –, sondern für den Einbruch des Unheimlichen in den Alltag, für das Todesschiff, das sich seinen Weg durch den zu engen Kanal wuchtet, die rekordverdächtige Masse an Ratten, die in Wisborg einfallen.
Robert Eggers Bilderwelten verraten dagegen den gelernten Theaterbühnenbildner, man schaut in einen Guckkasten, in dem jeder Winkel die Recherche verrät. Doch entwickelt er mithilfe dieser fickrigen Detailtreue eine Wucht, die den gedachten Raum auf der Leinwand ins Dunkle des Kinosaals verlängert – das Böse breitet sich aus.
Dieser Hyperrealismus und -historizismus kulminiert im skandalösen End- und Höhepunkt des Filmes – eine allerletzte Spoilerwarnung ist an dieser Stelle angebracht: Von oben sehen wir den verwesenden Leichenmann kopulierend auf Ellen Hutter, dem Objekt seiner Begierde, liegen. Genau genommen war sie es, die den Untoten heraufbeschworen hat. In einer Szene erklärt sie ihrem Mann frei heraus, dass der Graf ein besserer Liebhaber sei als er. Die Krümmungen, Konvulsionen und Koliken, die Lily-Rose Depp als Ellen ihrem Körper abverlangt, sind ganz erstaunlich und lassen nur einen Schluss zu: Sie gibt sich lieber dem abgelebten Tyrannen hin, als in der guten Stube zu verwittern.
Hat diese Nekrophilie politische Implikationen? Eggers interessiert sich in seinen Filmen für die Widersprüche der westlichen Zivilisation, für die Grenzen zwischen Gottes Werk und Teufels Beitrag („The Witch“), zwischen menschlicher Ordnung und unbeherrschbarer Natur („The Lighthouse“), zwischen patriarchaler Erbfolge und männlichem Selbstzerstörungswahn („The Northman“).
Todestrieb und Lustprinzip, zeigt sein „Nosferatu“, sind ein und dasselbe: die Sehnsucht nach einem Überschuss an Leben. Sie treibt die Gesellschaft an, sie bringt sie zu Fall.