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Acht Brücken MusikfestivalDie Hochleistungsbatterie unter den Musikgenres

Lesezeit 3 Minuten
Auf der Bühne der Philharmonie steht das Ensemble mit einem Flügel, einer Harfe, Perkussion, Streichern und Bläsern. Vorne steht der Dirigent Enno Poppe, dem Ensemble zugewandt.

Enno Poppes „Speicher“ mit dem EnsembleKollektiv Berlin

Im Acht Brücken Musikfestivals wurde Enno Poppes Musikzyklus „Speicher“ aufgeführt.

Nach einem Konzert neuer Musik ist man selten restlos begeistert. Doch es gibt Stücke und Ensembles, deren Aufführungen wirken wie Kraftmaschinen oder Hochleistungsbatterien. Sie übertragen eine Energie, die einen fast platzen lässt. Dazu gehört Enno Poppes sechsteiliger Zyklus „Speicher“ in der Wiedergabe durch das fantastische Ensemblekollektiv Berlin unter Leitung des Komponisten.

Acht Brücken Musikfestival mit Enno Poppe

Das 2013 bei den Donaueschinger Musiktagen uraufgeführte Werk entfaltet von kleinsten Zellen ausgehend Akkumulationswellen in stets andere Richtungen. Nacheinander treten alle Instrumente der 23-köpfigen Besetzung mit Soli hervor, in denen sie ihre jeweiligen Musizierpraktiken und Stilistiken mehr oder minder unverhohlen durchscheinen lassen: wilder Free-Jazz der Trompete und Posaune, Tango-Anklänge des Akkordeon, Ragtime-Rhythmen des Klaviers. Im anfangs ruhigen dritten Satz spielen die Streicher wahlweise wimmernde, seufzende oder lockende, flirtende Melodien, Glissandi, Vibrati. Obwohl rein instrumental, meint man Lebewesen reden, fragen, antworten und klagen zu hören. Jede Geste entfaltet unwillkürlich eine bestimmte Expression.

Mit achtzig Minuten dauert „Speicher“ so lange wie Beethovens neunte oder Bruckners achte Symphonie. Und wie dort gibt es auch bei Poppe eine formstiftende Dramaturgie von An- und Entspannung, Ruhe- und Höhepunkten. Auf je andere Weise verdichten sich polyphone Texturen zu homophonen Passagen oder tumultuösen Ausbrüchen. Mehrmals eskalieren die durcheinander laufenden Partien mit letzter Kraft bis zu orgiastischer Verausgabung zu sich überschlagenden Massenstrukturen und ekstatischen Schlingerkursen. Und faszinierender Weise teilt sich diese Musik trotz all ihrer hintergründigen Konstruktivität mit all ihren Schrägheiten und Lyrizismen hörend unmittelbar mit.

„Leave Britney Alone“ zeigt die Schatten des Ruhms

Diese Fasslichkeit verdankt sich nicht zuletzt Poppes Dirigat. Der 1969 im sauerländischen Hemer geborene Musiker arbeitet von Kopf bis Fuß mit dem ganzen Leib bis in den kleinsten Finger hinein. Viele Gesten seiner schlaksigen Gestalt sind eigenwillig kantig, rechteckig, verdreht. Doch alle geben sie mit treffsicherer Präzision den richtigen Impuls. Sein körperliches Agieren eröffnet einen weiteren direkten Zugang zur physischen und haptischen Dimension seiner Musik. Zum Abschluss von ACHT BRÜCKEN am Sonntag sind noch zwei neue Werke des diesjährigen Porträtkomponisten zu erleben: „Strom“ für das Gürzenich-Orchester und „Laub“ für das Freiburger Ensemble Recherche. Uraufführungen von Enno Poppe sollte man sich nicht entgehen lassen.

Statt einer vielseitigen Handschrift waren beim Konzert des von Susanne Blumenthal geleiteten Ensemble ColLAB Cologne in der Hochschule für Musik und Tanz Köln Stücke von fünf Komponistinnen zu erleben, ausgewählt für das Förderprogramm „New female talents“ der Gleichstellungskommission der Hochschule mit dem dortigen Institut für Neue Musik. In Sara Glojnarićs furiosen „Artefacts #2“ lieferte Sopranistin Risa Matsushima zu harten Beats und typischen Gesten von Rock-Schlagzeugern eine furiose Performance aus exaltiertem Fauchen und Jauchzen. Dagegen zeigte Carlie Schoonees in „Leave Britney Alone“ die Schattenseiten des Showbiz mit einem Video-Selfie, in dem Superstar Britney Spears ihren Vater anklagt. Doch zur Musik ist nur ihr Atmen und Schluchzen zu hören. Karen Keyhanis „Dârvag“ schließlich brachte die von Yassamin Shahhosseini wunderbar weich gespielte arabische Knickhalslaute Oud in einen erstaunlich homogenen Dialog mit dem von Elias Jurgschat präzise geleiteten europäischen Instrumentalensemble.