In Köln eröffnete die 14. Ausgabe des Acht-Brücken-Festivals in der Philharmonie und diversen Spielplätzen in der Innenstadt. Überzeugen konnte das nicht.
Acht-Brücken-Festival in KölnVon der Hardcore-Moderne zur Mitklatsch-Folklore
Am frühen Abend gab es noch mal kräftig was auf jene Ohren, die sich etliche der zahlreichen Zuhörer im großen Sendesaal des WDR-Funkhauses dann auch zumindest phasenweise zuhielten: Dort erklang Enno Poppes zwischen 2015 und 2018 entstandene Komposition „Rundfunk“ für neun Synthesizer – mit dem ensemble mosaik, sprich: dem Maestro selbst auf dem Podium vorne links am ersten Pult als Frontmann und acht orange-gewandeten Kollegen (bzw. einer Kollegin). Das darf man einen kraftvoll-unüberhörbaren Auftritt nennen – wie er einem Porträtkomponisten zusteht. Denn das ist der gebürtige Sauerländer des Jahrgangs 1969 für die aktuelle Ausgabe des Kölner Acht-Brücken-Festivals, das am Samstag mit den eintrittsfreien Kurzkonzerten des traditionellen „Freihafens“ an den Start ging.
Der analoge Synthesizer ist bekanntlich ein Museumsstück aus der Frühzeit der elektronischen Klangerzeugung, und so wuchsen der Performance zwangsläufig einige Nostalgie-Aspekte zu – die man mit radikal neuer Musik, für die Poppe gemeinhin steht, eigentlich weniger in Verbindung bringt. Tatsächlich wird in „Rundfunk“ etwas Verschüttetes ausgegraben: Es geht los mit einem einzigen Ton und dessen Oktav-Verdopplung, auf den hin sich das Intervallarsenal sukzessiv füllt – eine fast an Bruckner erinnernde musikalische Kosmogonie. Aus scheinbar völlig selbständigen Quellen fließen die mit jeweils unterschiedlicher Zeitorganisation ausgestatteten Klangereignisse dann zu einigermaßen faszinierenden Collagen zusammen, die auch allerlei lebensweltliche Geräusche nachahmen: Da tropft es aus lecken Wasserrohren, oder tief unten wummert einem Basso ostinato gleich ein „Störsender“, dessen Wellen bis ins Rückenmark des Hörers reichen.
Komponist Enno Poppe als Meister des kleinen Übergangs
Außer melodischen Fragmenten begegnen merkwürdigerweise immer wieder gute alte Dur-/Moll-Bekannte, auch süffige Terzen. Und ist es abwegig, wenn man sich an einer Stelle an das Thema von Schumanns „Geistervariationen“ erinnert fühlt? Oberflächlichem Hören mögen sich immer wieder Zentren präsentieren, in denen das Geschehen entwicklungslos, gleichsam manisch-magisch in sich selbst kreist. Der Eindruck täuscht aber, denn man schwimmt mit in einem Strom permanenter Veränderungen. Solchermaßen wird Poppe zu einem „Meister des kleinsten Übergangs“ – eine Bezeichnung, mit der Adorno dereinst Alban Berg beehrte.
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Das Konzert im WDR war das letzte in einer Reihe von fünf über den Tag verteilten Auftritten in Philharmonie und Funkhaus, die durchaus zum sukzessiven Besuch im Sinne einer Parcours-Bewältigung einluden. Das hat zweifellos Charme: Das Publikum kann zwischendurch essen oder Kaffee trinken gehen – oder auch in der City dringende Einkäufe tätigen. All diese Möglichkeiten gehören essenziell zum Konzept von Acht Brücken: Das ist ein Festival mit niederschwelligen Zugangskonditionen – für die und in der Stadt. So weit, so gut. Davon unabhängig stellt sich freilich die Frage, ob man mit dem Programm diesmal vollends richtig lag: Wo man sich einen Beginn mit Aplomb gewünscht hätte, gab es ein eher höhepunktloses Hineinschlendern durch die Hintertür, das von der Agenda und teilweise auch der Ausführung her nicht hundertprozentig überzeugte.
Musik gleichsam mit dem Rücken zum Publikum
Immerhin gab es ein Poppe-Werk bereits im (recht gut und sogar von Familien mit Kindern besuchten) Start-Konzert des Ensembles Consord in der Philharmonie zu hören: „Scherben“ in der Zürcher Version von 2008. Das ist eine Anhäufung fragmentarischen Materials, das zu einem geschlossenen Ganzen zusammenzufügen der Hörer aufgerufen ist. Die Performance begann aber mit „frames 1“ von 2019 aus der Feder der (jetzt anwesenden) im Iran gebürtigen Elnaz Seyedi (es schlossen sich noch Giacinto Scelsi und Joanna Wozny an). Diese Reihung separater, immer wieder durch Stille unterbrochener Klangbilder ist Hardcore-Moderne vom Härtesten, die keinerlei Zugeständnisse an einen sinnlichen Appeal im engeren Verständnis macht – Musik gleichsam mit dem Rücken zum Publikum.
Zwei weitere Konzerte akzentuierten den global-weltmusikalischen Aspekt von Acht Brücken (das taten auch die Filmvorführungen im Filmforum, die Aufführungen von koreanischen Sinawi-Ensembles zeigten – diese Musiktradition hat Poppe seiner Selbstauskunft zufolge nachhaltig beeinflusst). Das NK Ensemble mit der Sängerin Dilruba Bilgi unter Orhun Orhon interpretierte im Funkhaus „Rituelle Dramen“ des türkischen Komponisten Onur Türkmen, dessen Transkulturalität bereits die Besetzung zeigt: Sie umfasst neben den türkischen Instrumenten Kemençe und Ney die europäischen Viola und Cello. Entsprechend oszillieren Harmonik und Melodiebildung zwischen arabischen und europäischen Modellen. Poetisches und Szenisch-Balladeskes verbanden sich hier zu einer Trance des Repetitiven, und zumal im finalen Verwehen und Verklingen stellte sich immer wieder eine bemerkenswerte atmosphärische Dichte ein.
In der Philharmonie (wo am Abend noch Werke der in Köln lebenden Niederländerin Jorik Bergman zu hören waren) präsentierte die Band Danuk sodann aktuelle Bearbeitungen traditioneller kurdischer Lieder aus dem frühen 20. Jahrhundert, die sich auf alten Aufnahmen mit Wachszylindern erhalten haben. Der düstere Hintergrund der Performance – die politisch-kulturelle Unterdrückung der Kurden, denen die Gründung eines eigenen Staates seit jeher verwehrt wird – wurde allemal spürbar. Was indes nicht verhinderte, dass das Konzert Züge einer gehobenen Folklore-Veranstaltung annahm. Schön und gut auch, dass da das Publikum zu Teilen mitklatschte und mittanzte. Nur: Bezogen auf die Programmidee von Acht Brücken, ist ein solches Format dann doch wohl eher randständig.