Andrew Lloyd Webbers Erfolgsmusical feierte jetzt Premiere in Düsseldorf. Im August kommt die West-End-Produktion nach Köln.
Erfolgsmusical„Cats“ kommt in aufgefrischter Fassung in die Kölner Philharmonie

Szene aus „Cats“, bis zum 7. Juni im Capitol-Theater in Düsseldorf
Copyright: Xiadong/ATG
Der April ist, glaubt man den Anfangszeilen von T. S. Eliots Gedicht „The Waste Land“, der grausamste Monat. Beziehungsweise der übelste, folgt man Norbert Hummelt, der das Hohe Lied der großen Sinnkrise des 20. Jahrhunderts vor einigen Jahren neu übersetzt hat. Er ist viel weniger übel, der grausame April, verbringt man einen Abend im Ödland eines Londoner Schrottplatzes, in der Gesellschaft anmutiger, aber charakterstarker Katzen.
Am Donnerstag feierte Andrew Lloyd Webbers allseits bekanntes Musical „Cats“ seinen Tourneeauftakt im Düsseldorfer Capitol-Theater. Dort wird das vor zehn Jahren noch einmal gründlich aufgefrischte West-End-Original – in der Inszenierung Trevor Nunns und mit der Choreografie Gillian Lynnes – bis zum 7. Juni zu sehen sein, bevor es dann vom 6. bis 17. August in der Kölner Philharmonie gastieren wird. Die englischsprachige Produktion genügt höchsten Ansprüchen, wie ja überhaupt „Cats“ mehr von seinen Performerinnen und Performern verlangt als jedes andere Musical.
Andrew Lloyd Webber schuf mit „Cats“ das erste Megamusical
Daran hat sich in den 44 Jahren seit seiner Premiere nichts geändert. Aber auch nicht an der polarisierenden Wirkung der Show. Man kann diesen Katzen unmöglich neutral begegnen. Die einen loben Lloyd Webbers Wagemut und Erfindergeist: „Cats“ ist eines der ersten komplett durchgesungenen Musicals, das erste, das einen Gedichtband zum Libretto und den Theatersaal zum immersiven Erlebnisraum umfunktionierte.
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Die anderen bedauern den Trend zum Megamusical, der mit „Cats“ einsetzte: Als standardisierte Ware konzipierte Bühnenshows, die in jedem möglichen Absatzmarkt einschlagen. Niederschwellige, nahezu plotlose Blockbuster, die Touristenscharen an den Broadway und ins West End locken und anspruchsvollere oder nischigere Stücke von den großen Bühnen verdrängen.
Mit anderen Worten, was „Star Wars“ für das Kino, ist „Cats“ für das Musiktheater: Eine schrullige Idee, die zum Epochenbruch geführt hat, zu einer Neudefinition des Populären. Am Anfang von „Star Wars“ stand George Lucas' Kindheitsfaszination mit alten Hollywood-Science-Fiction-Serials wie „Flash Gordon“, die Entstehungsgeschichte von „Cats“ beginnt mit Andrew Lloyd Webbers Versuch, einige Gedichte aus dem Band zu vertonen, den seine Mutter ihm als Kind zur Bettzeit vorgelesen hatte: T. S. Eliots liebenswert-versponnenes „Old Possum's Book of Practical Cats“.
Die Witwe des Dichters brachte zur ersten öffentlichen Aufführung dieser Lieder ein unveröffentlichtes Katzenpoem ihres Mannes mit: „Grizabella the Glamour Cat“, die nur acht Zeilen umfassende Skizze einer einst umschwärmten Katze, die im Alter völlig auf den Hund gekommen ist. So steht sie – in Gestalt der stimmgewaltigen Lucy May Barker – auf der Bühne des Capitols, am Ende des ersten Akts, im zerzausten Fellmantel, mit müden Augen und singt ihre Sehnsuchtsmelodie von den Tagen, als sie schön war, als sie wusste, was Glück bedeutet. Mit Grizabellas todtrauriger Geschichte wurde aus der losen Liedersammlung ein Musical, und ihr Lied „Memories“ wurde zu dessen größten Hit.
Ist „Cats“ die Großraumdiscoversion von T. S. Eliots „The Waste Land“?
Das ist vielleicht das Faszinierendste an „Cats“, dass es eine Brücke schlägt zwischen der hochverfeinerten literarischen Moderne der 1920er und 30er und dem hemmungslosen Kommerzialismus der Reagan- und Thatcherjahre – es ist, überspitzt gesagt, die Großraumdiscoversion von „The Waste Land“.
Und erzählt das Musical nicht ebenso die Geschichte einer untergehenden Welt, in der die „Jellicle Cats“ inmitten der Trümmer der menschlichen Zivilisation von vergangenen Großtaten berichten? Von Rum Tum Tuggers (superfunky: Shem Omari James) wilden Streichen, von den Tricks des magischen Mr. Mistoffelees (getanzt von Samuel Bateson), ohne die auf dem Schrottplatz längst das Licht ausgegangen wäre, von den fast vergessenen Bühnenerfolgen des alten Theaterkaters Asparagus (mit tränentreibender Wehmut gesungen von Nathan Taylor).

Die beiden Einbrecher-Katzen Mugojerry und Rumpelteazer
Copyright: Alessandro Pinna/ATG
Um den Zauber dieser Katzen nachvollziehen zu können, muss man sie zwingend auf der Bühne sehen. Als der Regisseur Tom Hooper 2019 versuchte, den seltsamen Charme der Show im Bild zu bannen, produzierte er einen katastrophalen Kinoflop, der seine Karriere hinter der Kamera beendete. „‚Cats‘ ist das Schlimmste, was den Katzen seit den Hunden passiert ist“, unkte damals ein Kritiker. „Cats“, der Film, möchte man ergänzen, ist das Schlimmste, was „Cats“, dem Musical, passieren konnte.
Doch das trifft absolut nicht zu. Der Katzenzauber ist nicht nur ungebrochen, die zweieinhalb Stunden im Capitol-Theater vergehen wie im Traum. Filmstars, die per Computertrick mit Fell-Pixeln beklebt wurden, das war auf der Leinwand zum Fremdschämen. Die menschlichen Miezen dagegen, die in eng anliegenden Trikots und fusseligen Stulpen, mit Katzenmasken wie vom Kinderschminktisch, in Düsseldorf durchs Parkett streichen, fordern uns noch sehr viel forscher zur willentlichen Aussetzung unserer Ungläubigkeit auf.
So funktioniert das Hexenwerk des Live-Erlebnisses eben: Das Publikum gibt viel – auch den Sinn der dünnen Rahmenhandlung sollte es besser nicht allzu streng hinterfragen – und erhält im Austausch beste Unterhaltung. Dass die Produktion ihr Alter nicht verleugnet, trägt ebenfalls zum Entertainment bei. Die tannenbaumbunten Scheinwerfer, die wie ein Spielberg-Ufo durch den Trockeneisnebel leuchten; die zaghaften Interaktionen im Zuschauerraum; die nölenden Töne des Analog-Synthesizers und die Kostüme sowieso – sie alle gehören eigentlich auf den Schrottplatz der Musiktheatergeschichte.
Doch genau dort haben die Jellicle-Katzen ihr kleines Himmelreich auf Erden eingerichtet.
„Cats“ ist bis zum 7. Juni im Düsseldorfer Capitol, und vom 6. bis 17. August in der Kölner Philharmonie zu sehen, Tickets ab 59 Euro.