Nur selten ist es bei Orchesterkonzerten zu hören. Beim philharmonischen Meisterkonzert hauchten ein kanadischer Pianist und ein niederländisches Orchester Chopins Es-Dur-Polonaise op. 22 neues Leben ein.
Klassische MusikPianist Bruce Liu und Amsterdam Sinfonietta gaben Chopins Werk seine Originalgestalt zurück

Pianist Bruce Liu gewann 2021 den Warschauer Chopin-Wettbewerb.
Copyright: Christopher Koestlin
Frédéric Chopin hat seiner Es-Dur-Polonaise op. 22 eine Orchesterbegleitung mitgegeben – die ist aber so substanzschwach ausgefallen, dass man sie fast immer weglässt. Das schöne Stück ist daher auch üblicherweise nicht in Orchesterkonzerten, sondern nur in Klavierabenden zu hören. Beim philharmonischen Meisterkonzert gaben der kanadische Pianist Bruce Liu und die Amsterdam Sinfonietta unter Leitung von Candida Thompson dem Werk zumindest ansatzweise seine Originalgestalt zurück: Gespielt wurde ein reines Streicherarrangement, das den virtuosen Klavierpart mit anmutigen Zierleisten versah.
Bruce Liu, der 2021 den Warschauer Chopin-Wettbewerb gewonnen hat, ließ sich von den Aktionen in seinem Rücken nicht weiter beirren; er spielte das Stück mit so hinreißend leichtgängiger Bravour, wie er das auch schon in Warschau getan hatte. Beim vorangehenden „Andante spianato“ entfaltete sich die handschmeichelnde Diskantmelodie auf einem ebenmäßig gesponnenen, langflorigen Akkordteppich; die Polonaise selbst surfte auf einer Welle sanft federnder Bässe schwerelos dahin.
Für das Klangkonzept des Pianisten bot die verschlankte Orchesterbegleitung ein ideales Umfeld
Ähnlich war der Eindruck in Chopins f-Moll-Konzert, das (gleichfalls in reiner Streicher-Fassung) den Abend beschloss. Auch hier war deutlich zu hören, dass Bruce Liu kein leidenschaftlicher Klangredner ist, kein Mann des Konflikts und der Widerrede. Aber man wird derzeit wohl kaum einen Pianisten finden, der Chopin mit so viel Grazie spielt, so duftig in der Textur, so feinperlig in der Figuration.
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Für dieses Klangkonzept bot die verschlankte Orchesterbegleitung natürlich ein ideales Umfeld. Das Arrangement des niederländischen Komponisten Primo Ish-Hurwitz begnügt sich keineswegs damit, den Klavierpart in ein weiches Streicherfutteral zu betten; es setzt Akzente, spielt mit Farben, hebt solistische Passagen aus dem Tutti heraus – und die Amsterdam Sinfonietta ließ sich keine Pointe, keine Subtilität entgehen.
Violinistin Candida Thompson hat ihr Ensemble mit dem kleinen Finger gelenken
Was dieses 23-köpfige Solistenensemble zu bieten hat, wurde noch deutlicher in einer elegischen „Aria“ des polnisch-sowjetischen Komponisten Mieczysław Weinberg und – vor allem – in Peter Tschaikowskys Streichsextett „Souvenir de Florence“. Man wurde hier vom ersten Moment an in ein Klangbild von äußerster Klarheit und Durchsichtigkeit hineingezogen. Das kunstvolle Innenstimmengewebe verzweigte sich so spielerisch wie gelöst, der kammermusikalische Charakter des Werkes blieb auch in der „chorischen“ Aufführung jederzeit gewahrt.
Candida Thompson konnte ihre fabelhafte Truppe vom Konzertmeisterpult aus mit dem kleinen Finger lenken; jedes Crescendo, jede Beschleunigung wuchsen organisch aus der Ensemblemitte heraus. Dabei war es natürlich nicht unwichtig, dass die Musiker im Stehen spielten: Im Stehen tanzt man ja auch besser als im Sitzen.