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Philharmonie KölnBei Nina Stemme kommt das Wesentliche von innen

Lesezeit 3 Minuten
Die schwedische Sopranistin Nina Stemme erhält den Birgit-Nilsson-Preis, eine der höchstdotierten Auszeichnungen der klassischen Musik.

Die schwedische Sopranistin Nina Stemme

Die Sopranistin Nina Stemme und das Royal Stockholm Philharmonic Orchestra gastierten in der Kölner Philharmonie.  

Nina Stemme hat eine bemerkenswerte Sängerinnenkarriere hingelegt: Die Schwedin begann im Mezzo- und Altfach und wechselte dann zum dramatischen Sopran – als welcher sie zumal in Wagner-Opern Triumphe feierte. Von 1995 bis 1999 war sie übrigens, das werden vielleicht nicht mehr so viele Musikfreunde wissen, Mitglied im Ensemble der Kölner Oper. Und jetzt? Zieht es die Künstlerin, die, 61-jährig, unweigerlich im Herbst ihrer Laufbahn steht, wieder zu ihren Anfängen zurück?

Wer sie jetzt im Kölner Gastkonzert des Royal Stockholm Philharmonic Orchestra mit Mahlers Kindertotenliedern hörte, konnte jedenfalls diesen Eindruck gewinnen. Tatsächlich war da vom Timbre her kein Sopran am Werk, sondern ein zum Alt tendierender Mezzo. Das heißt nicht, dass die Höhe mickrig oder überfordert geklungen hätte, aber Fülle und Substanz kamen ganz unbestreitbar aus den tieferen Regionen. Von dort aus baut sich Stemmes nach wie vor beträchtliches vokales Charisma auf.

So kann sie auch Nina Stemme noch Jahre lang singen

So kann sie auch – möchte man meinen – noch Jahre lang singen. Ihr Vibrato leiert nicht, die Linien werden von den Auftakten her dicht und intensiv geführt, und die präzise Artikulation erzielt eine große Textverständlichkeit. Das unterscheidet Stemme etwa von der Amerikanerin Angel Blue, die soeben gleichfalls in der Philharmonie Strauss' „Vier letzte Lieder“ aufführte. Freilich muss die Solistin bei Mahler auch nicht gegen ein als stets kompaktes Riesenorchester ansingen – bei ihm ist die Begleitung in einer Weise kammermusikalisch ausgedünnt, dass die Solistin auch dann gut durchkommt, wenn sie nicht powert.

Die illustre Stockholmer Formation unter ihrem US-Chefdirigenten Ryan Bancroft tat allerdings auch alles, diesen Effekt zu gewährleisten. Stemmes Interpretation war sowieso exzellent. Die Trauer dieser Stücke – etwa die trostlose Kinderlied-Attitüde von „Wenn dein Mütterlein“ als Rolleneffekt – wurde unsentimental und eindringlich auch ohne Opernbühnen-Nähe zu künstlerischer Gestalt. Stemme „macht“ nichts, in ihrer Darstellung kommt das Wesentliche von innen.

Begonnen hatte das Konzert mit einer opulenten „Landschaftskomposition“ der Schwedin Andrea Tarrodi: „Liguria“ von 2012, einer Hommage an die italienische Cinque-Terre-Küste. Statik und Bewegung werden hier, auf unterschiedliche Rhythmus-Ebenen, in ein Verhältnis gebracht, das – Zufall? – an das „Rheingold“-Vorspiel erinnert. Am Schluss dann eine feurig-temperamentvolle Darbietung von Tschaikowskys fünfter Sinfonie, bei der Bancroft freilich dem Affen reichlich Zucker gab. Das Schicksalsmotiv erschien stets mit imposanter Gewalt, wie überhaupt die Höhepunkte immer wieder drastisch bis plakativ herausgestellt wurden.

Im Detail, auch in Sachen Stimmenkoordination und -gewichtung fehlte indes der letzte Feinschliff. Ein Beispiel: Die entscheidende Stimme am Schluss des ersten Satzes kommt aus den Streicherbässen. Wenn, wie hier geschehen, das H der Fagotte überexponiert wird, hält man die Stelle nicht für einen Grund-, sondern für einen instabilen Quartsextakkord – was sie eben nicht ist. Das stark geforderte Solo-Horn hatte gleichfalls nicht durchweg Glück, setzte den einen oder anderen Phrasenanfang in den Sand.

So kamen Spielkultur, Brillanz und Eleganz, über die die Gäste unstrittig in hohem Maße verfügen, nicht durchweg optimal zur Geltung. Wenn dies der Fall war, etwa anlässlich der geschmeidig exekutierten Violinfiguration im Mittelteil des Walzers, konnte der Hörer sich freilich im musikalischen Himmel wähnen. Für lebhaften Beifall dankten die Gäste mit – Tschaikowsky. Diesmal mit der Polka aus der dritten Orchestersuite.