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Premiere an der Oper KölnWarum wir mit Mozarts Don Giovanni noch lange nicht fertig sind

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Don Giovanni Oper Köln

Don Giovanni Oper Köln

Die Kölner Oper präsentiert mit Cecilia Ligorio eine temporeiche Inszenierung von „Don Giovanni“, die traditionelle Interpretationen herausfordert. Unsere Kritik.

Vor einigen Jahren legte der Literaturwissenschaftler Dieter Borchmeyer eine Abhandlung mit dem vielsagenden Titel „Um einen Don Giovanni ohne 19. Jahrhundert bittend“ vor. Da fuhr ein ernüchternd frischer Wind durch das Gebäude einer zumal durch E.T.A. Hoffmann und Søren Kierkegaard repräsentierten Deutungsgeschichte, unter dem die originale Substanz von Mozarts „Oper aller Opern“ schier begraben lag.

Donna Anna ist bei Borchmeyer keine Frau mehr, die auf ihren dämonischen Verführer wartet, sondern schlicht das Opfer eines Vergewaltigungsversuchs. Und Don Ottavio kein feiger Schwächling, sondern ein empfindsamer, dabei Gesetz und Norm verpflichteter Liebender. Vor dem Hintergrund der präzise beschriebenen Sozialmoral des ausgehenden 18. Jahrhunderts wie eines ständestaatlichen Rechtssystems war Don Giovanni nicht mehr das Zentrum unterdrückter Sehnsüchte, sondern personalisierte vielmehr eine Existenzform, derer sich die damalige Gesellschaft um ihres Selbsterhalts willen unter allen Umständen entledigen musste.

Bei Cecilia Ligorio überlebt der Mythos den Tod des Helden

Diese Erkenntnis vermittelt nachhaltig auch Cecilia Ligorios Neuinszenierung an der Kölner Oper, die am Sonntag im Saal 2 des Staatenhauses Premiere hatte. Mitunter gewinnt man den Eindruck, die italienische Regisseurin habe den antiromantischen Borchmeyer gelesen. Indes spricht auch einiges dagegen: Eine Situierung in einem konturierten, an Bühnenbild und Kostümen ablesbaren historischen Umfeld findet hier nicht statt, dafür akzentuiert Ligorio die überhistorisch-mythische Dimension von Figur und Geschehen. Dass der Mythos noch den Tod des Helden überlebt (das tut er ja in der Tat), zeigt das Schlussbild: Im Hintergrund der Bühne erhebt sich, wie schon zu den Klängen der Ouvertüre, Don Giovanni mit Stiermaske, der die Pyramide der rot gewandeten männlichen wie weiblichen Bacchanten triumphal bekrönt.

Stiermaske? Bacchanten? Tatsächlich greift Ligorio hier und insgesamt tief in die Kiste antiker Mythen, deren Bilder sie auch unbefangen kreuzt. Menschlich-tierische Triebnaturen wie Minotaurus und Pan, Projektionen Schrecken erzeugender Seelenkräfte jenseits von Vernunft und Moral, werden hier herbeizitiert, und immer wieder beschwört ein seinen Meister flankierendes Tanzensemble die Sphäre des von Don Giovanni repräsentierten Dionysischen. Da mag sich das Publikum stellenweise in den Venusberg des „Tannhäuser“ versetzt fühlen. Ob das alles widerspruchsfrei aufgeht, sei dahingestellt. Folgt man der Spur des Minotaurus, so begäbe sich ja hier der Komtur – unter dessen Händen die Titelfigur schließlich stirbt (keine Höllenfahrt!) – in die Rolle des Helden Theseus.

Die Bühne als Labyrinth des Minotaurus

Wie auch immer: Auf den Minotaurus verweist auch die von Gregorio Zurla erstellte Bühne: Sie besteht aus zwei entfernt eine Tempelarchitektur assoziierenden Schalen aus Pfeilern samt Durchlässen, Türen und Vorhängen, wobei die äußere Schale starr ist, während sich die innere dreht und besagte Pfeiler in wechselnde Symmetrie-Figurationen treten lässt. Das ist offenkundig ein Labyrinth, das Labyrinth des Minotaurus/Don Juan, in dem sich alle handelnden Figuren verirren und verstricken. Im ersten Finale beginnt es sich bezeichnenderweise in dem Moment zu drehen, da die Titelfigur feststellt, sie sei verwirrt. Der Blick des Zuschauers fällt somit in das Innere der Gestalt, die nicht nur Donna Anna gegenüber bekundet, niemals werde sie erfahren, wer sie sei, sondern sich tatsächlich auch selbst ein labyrinthisches Rätsel ist.

Das alles bliebe ein gedankenblasses Konstrukt, wenn Ligorio Szene und Personenführung nicht mit einer Fülle an unmittelbar nachvollziehbaren Details versinnlichte und vitalisierte. Dafür nur ein Beispiel. Als Don Giovanni sich in der Elvira-Szene des ersten Aktes von Donna Anna verabschiedet, tut er dies exakt mit jenen Gesten erotischer Besitzergreifung, die ihr bekannt vorkommen müssen. Er ist also selbst schuld, wenn sie in ihm den Mörder ihres Vaters erkennt. Schön blöd, mag der Zuschauer von einem denken, der in diesem Augenblick wissen muss, dass sein Umfeld Verdacht geschöpft hat. Aber Giovanni ist eben so, er kann nicht anders, wenn er eine Frau sieht – genauso wenig, wie er am Schluss bereuen kann.

Schlüssige und temporeiche Dramaturgie ohne Durchhänger

Solchermaßen waltet auf die Strecke eine dichte, schlüssige und temporeiche Dramaturgie ohne Durchhänger vor. Dass Ottavios Arie „Il mio tesoro“ im zweiten Akt gestrichen wurde, kann man im Sinne dieser Dramaturgie sogar nachvollziehen – die schöne Nummer bremst die Aktion aus, wirkt in der Tat wie ein Bremsklotz vor dem zweiten Finale. Dort fehlt – leider – wie im ersten die eigentlich unverzichtbare Bühnenmusik.

Eine noch so eindringliche Dramaturgie wiederum liefe ins Leere, wenn die Sänger-Akteure sich ihr verweigerten. Das ist hier aber durchaus nicht der Fall, und zumal Seth Carico in der Titelpartie zündet gestisch-szenisch – gerade auch in den Rezitativen – ein Feuerwerk an Präsenz, Beweglichkeit und viriler Grandezza. Das setzt sich in jeder Hinsicht in die stimmliche Performance um, die mit faszinierenden Doppelbödigkeiten aufwartet: Im „La ci darem“-Duett etwa ist unter der verführerischen Oberfläche stets ein gnadenloser Eroberungswille spürbar.

Unter der verführerischen Oberfläche gnadenloser Eroberungswille

Adrian Sâmpetrean versieht überzeugend den Leporello, geschmeidig changierend zwischen Zynismus, Furcht und Impulsen rebellischen Grolls. Bei den Frauen schießt wohl Valentina Mastrangelo als Elvira nicht nur ausweislich ihrer in der Linienführung perfekten Arie im zweiten Akt den Vogel ab. Sie langt raumgreifend ins Dunkle und hat, wenn es nottut, auch das Zeug zur Furie. Deutlich davon hebt sich Kathrin Zukowski als Donna Anna ab, die Jugendlichkeit und Dramatik erfreulich verbindet. Dmitry Ivanchey als Ottavio verfügt über ein schönes Tenor-Legato, das seine Qualitäten vor allem dann entfaltet, wenn er nicht forcieren muss. Dem Masetto Wolfgang Stefan Schwaigers fehlt es nicht an darstellerischer, wohl aber an raumklanglicher Durchsetzungskraft, Giulia Montanari als Zerlina könnte in „Vedrai, carino“ im sinnlichen Appeal noch etwas zulegen. Christoph Seidl verfügt als Komtur über ein eindrucksvolles Jenseits-Timbre.

Zu guter Form läuft das Gürzenich-Orchester unter dem Tschechen Tomáš Netopil auf (einige Inhomogenitäten zwischen Bühne und Graben wären zu beheben). Da kommt aus den Streichern und immer wieder auch aus den deutlich abgesetzten und struktur- und klangrelevant intervenierenden Bläsern (Flöte, Oboe!) ein schlanker, fokussierter, agiler Mozartklang. Er wird vom Pult aus gelegentlich stark zurückgenommen, vermag aber wiederholt auch gleichsam zu explodieren. Intensität entsteht hier nicht durch den Oberflächenreiz eines beschleunigten Tempos, und in Arien wie Ottavios „Dalla sua pace“ sorgt allein die Begleitung für jene Be- und Entrückung in einen als Wunschbild beschworenen inneren Frieden, dessen Magie Mozart wie kein anderer zu Musik zu machen vermag.

Lebhafter, wenngleich gestaffelter Schlussbeifall für alle Beteiligten!