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Víkingur Ólafsson in der Kölner PhilharmonieHöchstes Niveau mit theatralischen Einlagen

Lesezeit 3 Minuten
Das Orchester Tonhalle Zürich mit Dirigent Parvo Jaervi.

Das Orchester Tonhalle Zürich mit Dirigent Parvo Jaervi.

Das Tonhalle-Orchester Zürich spielte in der Kölner Philharmonie mit Solist Víkingur Ólafsson unter Dirigent Paavo Järvi.

Abweichend von früheren Ankündigungen bot das Tonhalle-Orchester Zürich unter Leitung von dessen Musikdirektor Paavo Järvi bei seinem Gastspiel nicht das zweite Klavierkonzert von Johannes Brahms, sondern das in a-Moll von Robert Schumann. Der Solist war freilich der nämliche: Víkingur Ólafsson. Der 41-jährige Isländer spielte das Konzert und gleich zwei Zugaben aus Bachs „Goldberg-Variationen“ auswendig mit brillanter Technik auf höchstem Niveau. Dennoch vermochte der aktuelle Artist in Residence des Tonhalle-Orchesters interpretatorisch nicht vollumfänglich zu überzeugen.

Solist und Orchester interagierten in ihren eng miteinander verflochtenen Rollen wunderbar hellhörig. Mal unterlegte das Orchester dem führenden Klavier ein sanftes Murmeln und Schwellen; mal fügte sich der Solist mit wogenden Akkorden unter das thematisch dominierende Tutti. Ólafsson spielte mit reichlich Agogik und variantenreich mit wahlweise klassisch schlankem Ton oder lisztomanisch donnernden Bassoktaven und vollgriffigen Akkorden in Kadenz und Coda des Kopfsatzes. Bemerkenswert gelang das „Andantino grazioso“. Der großgewachsene Solist interpretierte das vorsichtig tastende Thema des Mittelsatzes in zartestem Pianissimo eng über die Tastatur gebeugt, verschlossen, in sich gekehrt, am Rande des Verstummens.

Typische Virtuosen-Unarten

Weniger einnehmend waren einige typische Virtuosen-Unarten wie demonstratives Hände-Hochwerfen oder zur Schau gestelltes Schwelgen. Auch manche Ritardandi wirkten übermäßig zerdehnt, sowohl bei Schumann als auch vor allem bei Bach. Die perlenden Läufe des Finalsatzes flogen zwar brillant über die Tasten, entfaltete aber zu wenig romantischen Zauber der verschiedenen harmonischen Umbeleuchtungen. Gleichwohl gab es nach dem jubilierenden Finale verdiente stehende Ovationen in der fast ausverkauften Philharmonie.

Ebenso begeisterte das Orchester mit Schumanns schwungvoller dritter Symphonie, der „Rheinischen“. Besonders eindringlich gestaltete Järvi die Spannungsbögen des gravitätischen vierten Satzes, in dem Schumann ein feierliches Hochamt im Kölner Dom imaginiert. Die in gemessenen Schritten sich überlagernden Blechbläser greifen dabei auf kanonische Kontrapunkttechnik der Renaissance zurück. Dazwischen drängen die Streicher besonders markant herausgestellt immer wieder eine rhythmische Verdichtung des Kanonthemas, die den Kerngedanken des Finalsatzes vorwegnimmt, dessen lebhafter Jubel sich dann in Synkopen überschlägt und kein Halten mehr kennt. Bravo!

Der fulminante Schluss machte den Anfang des Konzerts mit Arvo Pärts schlaftablettigem Streichorchesterstück „Für Lennart in memoriam“ fast ungeschehen. Düsteres Moll beschwört eine Trauermusik auf den 2006 verstorbenen estnischen Schriftsteller und Präsidenten Lennart Meri. Nach sentimentaler Dur-Erinnerung im kurzen Mittelteil schließt das Stück mit den gleichen ständig wiederholten drei tristen Moll-Akkorden. Harmonik, Farbe und Form des Stücks sind erwartbar und daher langweilig. Dem estnischen Dirigenten ging es jedoch nicht primär um die Musik seines Landsmanns, die dramaturgisch überhaupt nicht zu Schumanns dichten Werken passte, sondern um eine außermusikalische Botschaft: Denn Lennart Meri hatte beharrlich für die Unabhängigkeit des Baltikums von Russland gekämpft und frühzeitig vor Vladimir Putins Vormachtsstreben gewarnt.