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„Last Call“ in New YorkWarum zwei Kölner jetzt ein Stück am Broadway produzieren

Lesezeit 7 Minuten
Helen Schneider (links) und Lucca Züchner sitzen auf Caféhausstühlen auf der Bühne der Stage 5 der New World Stages in New York. Schneider als Leonard Bernstein wirft lachend den Kopf zurück, Lucca Züchner als Herbert von Karajan, gestikuliert erregt mit dem Zeigefinger.

Helen Schneider (l.) als Leonard Bernstein und Lucca Züchner als Herbert von Karajan im Off-Broadway-Stück „Last Call“ 

Frank Blase und Marc Schneider waren in Köln mit dem Musical „Himmel und Kölle“ erfolgreich, jetzt wagen sie den Sprung nach Manhattan.

Die Shubert Organization ist Amerikas älteste Theaterproduktionsfirma. Am New Yorker Broadway gehören ihr 17 Theatergebäude. Stuckverzierte, alternde Schönheiten wie das Belasco, das Lyceum oder das Majestic. Die New World Stages dagegen – der Theaterkomplex, den die Shubert Organization auf der 50. Straße zwischen 8. und 9. Avenue betreibt – strahlen eher den kühlen Charme eines noch nicht in Betrieb genommenen U-Bahnhofs aus. Früher war hier ein Multiplex-Kino. Die Stage 5 ist mit ihren 200 Plätzen die kleinste Bühne.

An diesem Sonntagabend ist sie in gedämpftes blaues Licht getaucht, blau ist auch das Interieur. Die spartanische Kulisse soll die berühmte Blaue Bar des Hotels Sacher suggerieren, gegenüber der Wiener Staatsoper. Hier treffen, zufällig, Leonard Bernstein und Herbert von Karajan aufeinander. Gespielt werden die Konkurrenten am Dirigentenpult von zwei Frauen, Helen Schneider und Lucca Züchner.

Die Begegnung in der Blauen Bar hat tatsächlich stattgefunden, im Jahr 1988. Die Vorwürfe, Komplimente und gehässigen Spitzen, die sich die beiden alternden Klassikstars – zwei Jahre nach ihrer Wiener Begegnung sind beide tot – an den jeweiligen Kopf werfen, hat sich der US-Autor Peter Danish ausgedacht. „Last Call“ hat er sein Stück genannt. Inszeniert hat die New Yorker Uraufführung Gil Mehmert. Der Deutsche ist ein Routinier, mit mehr als 140 Produktionen im Resümee, Kammerstücke, Open-Air-Extravaganzen, Spielfilme, vor allem aber große Musicals. In Köln, wo Mehmert einst an der Musikhochschule Gitarre studiert hat, kennt man ihn als Regisseur von „Himmel und Kölle“.

Mit „Himmel und Kölle“ begann die Erfolgsgeschichte von Apiro-Entertainment

Mit dem kölschen Musical in der Volksbühne am Rudolfplatz nahm vor fünf Jahren die Kölner Produktionsfirma Apiro-Entertainment ihre Geschäfte auf. Sie ist es auch, die „Last Call“ in Midtown Manhattan auf die Bühne gebracht hat, inmitten der dichtgedrängtesten, kommerziell gnadenlosesten Theaterlandschaft der Welt. Broadway-Shows setzen pro Saison insgesamt mehr als 1,5 Milliarden Dollar in Tickets um, trotzdem schaffen es 80 Prozent der Produktionen nicht aus den roten Zahlen, Unterhaltung als Hochrisikogeschäft.

Was bringt eine Kölner Film- und Theaterfirma dazu, sich als kleiner Fisch in dieses Haibecken zu wagen? Offiziell gilt „Last Call“ zwar als Off-Broadway-Stück, damit ist jedoch lediglich die Kapazität des Saals gemeint. „Off“ ist alles unter 500 Sitzplätzen. Die einfache Antwort lautet, dass Apiro-Entertainment sich keine allzu großen Gedanken darüber machen muss, ob dem Stück der Break-even gelingt: Apiro-Gründer Frank Blase ist Chef des Kölner Kunststoff-Unternehmens Igus. Das gilt als Hidden Champion, ist Weltmarktführer in seinem Bereich, setzt im Jahr mehr als eine Milliarde Euro um. Blase kann sich Träume leisten.

Frank Blase ist als Kunststoff-Produzent Weltführer, aber seine Leidenschaft gehört dem Theater

Für ihn, der Produkte in 35 Länder exportiert, sei Internationalität normal, sagt Frank Blase am Abend vor der Premiere im „The Palm“, einem typischen Broadway-Restaurant: Steak, Hummer, Schauspielerbilder an den Wänden. „Ob es sich nun um ein Fahrrad aus recycelbaren Kunststoffen oder ein Theaterstück handelt: Ich sehe den Wert von dem, was wir anzubieten haben. Und als Unternehmer kann ich nur sagen, das hier ist eine fantastische Gelegenheit zu lernen.“

Frank Blases Theaterleidenschaft begann mit einer Theater-AG auf dem Gymnasium in Bergisch Gladbach. Dass sie den 65-Jährigen bis heute nicht losgelassen hat, mag bemerkenswert sein. Viel erstaunlicher ist, dass sie ihn bis an den Broadway getrieben hat, zusammen mit seinem alten Schulfreund Marc Schneider, mit dem er schon „Himmel und Kölle“ erdacht hat. Schneider ist Entertainment-Profi, hat etliche massentaugliche Stoffe für deutsche Fernsehsender konzipiert. Heute besitzt er eine Agentur, die Literaturvorlagen an die Film- und TV-Branche vermittelt. Aber auch er träumt von der Bühne.

Das Team des Off-Broadway-Stückes "Last Call" posiert vor dem Theater Nummer 5 der New World Stages in Midtown Manhattan

Produzent Frank Blase (v.l.), Autor Peter Danish, Regisseur Gil Mehmert und Produzent Marc Schneider vor der Premiere in New York

Nicht anders ergeht es dem Autor Peter Danish. Der wohnt außerhalb New Yorks und arbeitet unter anderem als Klassikkritiker für die Seite „broadwayworld.com“. In „Last Call“ verbindet er seine Musikleidenschaft mit dem Ehrgeiz, es einmal am Broadway „zu schaffen“. Wie Frank Sinatra singt: „If you can make it here, you can make it anywhere.“ Der erste Entwurf des Stückes, erzählt Danish im „The Palm“, sei direkt am Ort der Handlung entstanden. Er hatte ein Buch mit Briefen Leonard Bernsteins dabei, als ihm der Barkeeper von der Begegnung der Dirigenten erzählte. Er war es, der Bernstein und Karajan 1988 bedient hatte.

„Also“, sagt Danish, „nahm ich Sachertorte und Laptop mit an den Tisch, an dem die beiden damals gesessen hatten. Der Barkeeper hatte mit seinem rudimentären Englisch nicht sehr viel von ihrer Unterhaltung mitbekommen. Sie sprachen auch nur 15 Minuten lang miteinander und beklagten sich dabei wohl vor allem über ihre Wehwehchen. Aber ich dachte mir: Leonard, Herbert, was würdet ihr eurem lebenslangen Rivalen eigentlich sagen wollen, dem Mann, der euch euer ganzes Leben lang ein Dorn im Auge war.“

Warum Helen Schneider und Lucca Züchner zwei männliche Künstlerlegenden spielen

Eine Londoner Agentin schickte Charlotte Rampling und Liv Ullmann das Stück zu, die lehnten ab. Martin Kušej, damals Direktor des Wiener Burgtheaters, wollte seine Starschauspielerinnen Birgit Minichmayr und Bibiana Beglau besetzen, doch seine Intendanz wurde nicht verlängert. Gil Mehmert schlug schließlich Helen Schneider und Lucca Züchner vor, ohne zu ahnen, dass er nicht der Erste war, der für den Geschlechtertausch votierte. Warum er keine alten Männer in den Rollen besetzen wollte? Mehmert hatte noch die unselige Diskussion über Bradley Coopers Nasenprothese im Kopf, die das Gespräch über dessen Bernstein-Biopic „Maestro“ bestimmte.

Vielleicht war forcierte Authentizität nicht der richtige Weg? „Bernstein und Karajan waren ja beide eher zierlich“, erklärt der Regisseur. „Das waren keine Schäferhunde, ich stellte mir die wie Katzen vor, die auf der Bühne herumstreunen.“ Glaubwürdigkeit suchte Mehmert woanders. Lucca Züchner, Jahrgang 1979, mag zu jung für die Karajan-Rolle sein, hatte aber in seiner Inszenierung von Joachim Meyerhoffs „Ach diese Lücke, diese entsetzliche Lücke“ sehr überzeugend eine alte Frau gespielt. Die Premiere in der Stage 5 bestätigt Mehmerts Instinkt: Züchner verleibt sich die Marotten des eigenwilligen Pultgenies perfekt ein.

Helen Schneider wollte wegen Donald Trump zuerst nicht in die USA zurückkehren

„Für Bernstein“, fährt Regisseur Mehmert fort, „wollte ich eine jüdische Darstellerin aus New York – und da dachte ich sofort an Helen Schneider. Helen hat selbst eine tolle Künstlerbiografie, hat in verschiedenen Kulturen zwischen Rock'n'Roll, Jazz und Klassik gelebt.“ Mit Schneider hatte er bereits in „Der Ghetto Swinger“ und „Cabaret“ gearbeitet, in beiden Inszenierungen hatte sie männliche oder genderfluide Figuren gespielt.

„Ich bin nicht mehr die Jüngste und ziemlich wählerisch geworden“, sagt Helen Schneider am Tag der Premiere im Times-Square-Büro des Broadway-Produzenten der Frank Blases und Marc Schneiders Liaison vor Ort ist. „Aber mit Gil verbindet mich eine lange Beziehung und da ist meine erste Antwort immer: ja.“ Als klassisch ausgebildete Pianistin sei sie mit Bernstein aufgewachsen, mit dessen „Young People's Concerts“. Trotzdem ist Schneider wohl die Einzige in der „Last Call“-Truppe, die es nicht an den Broadway zog. „Meine Beziehung zu Manhattan ist längst vorbei“, sagt sie. „Es ist mir wegen der politischen Lage in den USA nicht leichtgefallen, hier wieder aufzutreten.“ Ausschlaggebend sei die Liebe zum Stück gewesen. „Aber New York ist und bleibt eine Insel, es ist so divers und offen wie immer und die Atmosphäre ist jetzt so wie sie nach 9/11 war, die harten New Yorker sind plötzlich freundlich, höflich und hilfreich. Wenn Trump hier sein dummes Spiel spielen will, müsste er die gesamte City deportieren.“

Die sonntägliche Premiere ist ein voller Erfolg, das Kammerspiel erweist sich als höchst unterhaltsam, Züchners akribische Mimikry und Schneiders lässig-souveräner Gestus lassen es zwischen den beiden Antipoden knistern. Gil Mehmert beweist in einer launigen Vorrede ungeahnte Stand-up-Qualitäten, Peter Danish umarmt gerührt auch Menschen, die er erst seit wenigen Stunden kennt. Frank Blase und Marc Schneider sind anfangs nervös und dann, auf der Premierenparty in einer Rooftop-Bar in der 47. Straße, gelöst.

Und Blase träumt schon weiter: „'Himmel und Kölle' passt wahrscheinlich nicht. Aber vielleicht könnten wir als nächstes Projekt ja 'Kick like a woman' nach New York bringen.“ Das Musical über die ersten deutschen Weltmeisterinnen im Frauenfußball war bislang nur in Bergisch Gladbach zu sehen. Aber der Weg bis zum Broadway scheint auf einmal gar nicht mehr so weit.