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Roman „Pi mal Daumen“Alina Bronsky: „Mathe ist für viele ein ganz schwieriges Thema“

Lesezeit 6 Minuten
Alina Bronsky schaut in die Kamera, ihr Gesicht auf dem linken Arm aufgestützt.

Bestsellerautorin Alina Bronsky erzählt in ihrem neuen Roman von einer Frau, die sich selbst verwirklichen möchte.

Ein 16-Jähriger und eine 53-Jährige begegnen sich im Mathe-Hörsaal. Alina Bronsky erzählt witzig und berührend über eine besondere Freundschaft.

Hand aufs Herz: Die meisten würden vermutlich in Schweiß ausbrechen, wenn sie sich an den Matheunterricht in der Schule erinnern. Ganz zu schweigen von den Traumata, die Studenten davongetragen haben, wenn sie Analysis- oder Statistik-Vorlesungen besuchen mussten. „Mathe ist für viele ein ganz schwieriges Thema“, weiß auch Autorin Alina Bronsky.

Ein humorvoller Einblick in die Welt des Mathematik-Studiums

Für den 16-jährigen Oscar, den Ich-Erzähler von Bronskys neuem Roman „Pi mal Daumen“, gilt das allerdings nicht. Er ist seit Kindesbeinen fasziniert von der Schönheit der Zahlen und Strukturen und bereitet sich schon seit der Grundschule auf das Mathematikstudium vor.

Umso schockierter ist der hochbegabte Oscar, der mit vollem Namen Oscar Maria Wilhelm Graf von Ebersdorff heißt, als er seine Studienkollegen im Hörsaal sieht. Da sind zum Beispiel die Lehramtsstudenten, denen er unterstellt, sie würden nicht aus Liebe zum Fach studieren, sondern nur, um einen sicheren Arbeitsplatz zu bekommen. Oder die Kommilitonen, die sich in Lerngruppen zusammen tun wollen, um die wöchentlichen Übungsblätter zu bearbeiten. Oscar hingegen ist überzeugt davon, dass er das Studium alleine schaffen und es selbstverständlich vor Ende der Regelstudienzeit abschließen wird.

Bronsky: „Die weibliche Heldin ist eigentlich der Mittelpunkt“

Jedoch geht es in „Pi mal Daumen“ um viel mehr als um die Universitätswelt: „Ich wollte anfangs eigentlich gar nicht über Mathe-Studenten erzählen. Ich wollte über meine Heldin Moni erzählen und ihre Verwandlung. Sie ist der eigentliche Mittelpunkt des Romans“, so Bronsky.

Moni Kosinsky, 53-jährige Ehefrau und Großmutter, nimmt zeitgleich mit Oscar das Studium der Mathematik auf und begegnet dem 16-Jährigen im Hörsaal. Sie ist naiv und bescheiden, trägt Lippenstift, eine Bluse mit Leopardenmuster und vollgepackte Taschen mit sich. Ihre ganze Erscheinung wirkt fehl am Platz. Und so wird sie nicht ernst genommen. Auch von Oscar: Bei der ersten Begegnung sieht er in Moni eine Sekretärin oder Kantinenfrau, aber keine Mathematikstudentin.

Kein Wunder: Schließlich passt Moni anfangs zu null Prozent in sein Weltbild. „Oscar repräsentiert einen sehr skeptischen Blick auf Moni. Da ist die Verachtung für das Alter, für die Herkunft, das eigene Empfinden, besser zu sein. In seiner Person ist das nochmal extra zugespitzt“, schildert Bronsky. Sie ist sehr dankbar für Oscar und seine Erzählperspektive. Er lebt gewissermaßen in einer eigenen Welt und schnell wird klar, dass er mit seinem sehr einseitigen Blick auf die Wirklichkeit zwangsläufig scheitern wird.

Über Moni wollte sie schon seit Längerem erzählen, sagt Bronsky. Sie habe ohnehin ein Faible für weibliche Hauptfiguren in den mittleren Jahren. „Denn sie fallen in einen Altersbereich, dem oft unterstellt wird, nicht mehr spannend zu sein“, so die 45-jährige Schriftstellerin. „Da ist es für mich als Autorin sehr reizvoll, dorthin zu gehen und zu schauen, was diese Frauen für beeindruckende Kompetenzen haben. Was traut man ihnen zu?“ Moni zum Beispiel gilt für viele in der akademischen und mathematischen Welt als zu alt und ungebildet.

„Pi mal Daumen“ zeigt jedoch, dass mathematische Fähigkeiten auf der einen und Selbstverwirklichung auf der anderen Seite nicht von Alter oder Geschlecht abhängig sind. Es ist eine Geschichte, die Mut machen kann.

Frauen in mittleren Jahren fallen in einen Altersbereich, dem oft unterstellt wird, nicht mehr spannend zu sein.
Alina Bronsky

Lange hat die Autorin danach gesucht, wie sie über Moni erzählen kann. Bis sie sich an ihre eigenen Erfahrungen erinnerte: „Das Mathe-Setting kam aus meinem eigenen Erleben. Ich habe auch einmal ein bisschen Mathematik studiert und damals war ich auch nicht mehr so jung.“ Aber sie betont: „Es ist natürlich nicht eins zu eins wie im Roman.“ Schließlich war es auch der Gruselfaktor, den die Mathematik bei vielen Menschen auslöst, der Bronsky dazu reizte, über diese Welt zu schreiben. So kam dann auch Oscar in die Geschichte.

Wenn aus zwei krassen Gegensätzen eine enge Freundschaft wird

Die Gegensätze zwischen den beiden Hauptfiguren scheinen ohnehin unüberbrückbar: Auf der einen Seite der stets strukturierte Oscar, der von seinen Eltern eine Wohnung mitsamt Haushälterin spendiert bekommt und sich vor Kontakten mit anderen Kommilitonen scheut. Moni Kosinsky hingegen kommt naiv, planlos, aber mitfühlend und kommunikativ daher, muss sich neben der Uni in mehreren Nebenjobs herumschlagen und sich darüber hinaus um ihre drei Enkel kümmern.

Da ist die Verachtung für das Alter, für die Herkunft und das eigene Empfinden, besser zu sein.
Alina Bronsky darüber, wie Ich-Erzähler Oscar auf Moni Kosinsky schaut.

Trotz all dieser Gegensätze ist Oscar fasziniert von Moni. Ihre muntere Art sorgt dafür, dass sich der 16-Jährige mit ihr anfreundet. Außerdem fragt Oscar sich, wieso eine Frau wie Moni Mathematik studiert – und was sie mit dem berühmten Mathematik-Professor Daniel Johannsen verbindet, den Oscar seit Jahren glühend verehrt. Bald erkennt der junge Student, dass Moni durchaus Talent mitbringt und Erfolge haben könnte, wenn sie sich ganz auf das Mathematikstudium einlassen könnte.

Oscar beginnt, Moni zu unterstützen, und das nicht nur bei den wöchentlichen Übungszetteln. Er fängt an, ihr allgemeine Ratschläge zu geben, beschäftigt sich mit ihrem Privatleben. Und Moni beginnt tatsächlich, sich immer mehr von ihrem alten Leben zu distanzieren. Im Gegenzug zeigt sie Oscar, dass das Leben aus weit mehr besteht als nur aus Formeln, mathematischer Logik und der vierten Dimension – und ist obendrein für ihn da, zum Beispiel, als eine vermeintlich harmlose E-Mail sein Weltbild zu zerstören scheint. Doch auch die Freundschaft zwischen den beiden so verschiedenen Menschen wird im Laufe des Romans auf die Probe gestellt.

Alina Bronsky schreibt mit einer großen Portion Witz und Liebenswürdigkeit

„Pi mal Daumen“ liefert einen spannenden Blick in den Mikrokosmos des Mathematikstudiums. Ich-Erzähler Oscar mit seiner verzerrten, immer wieder ironischen und fast schon autistisch anmutenden Perspektive und sein knallhart ehrlicher Erzähl-Ton enthalten einen Witz, der bis zum Ende des Romans unterhält und fesselt. Dazu kommt, dass der universitäre Alltag immer wieder von merkwürdigen Situationen geprägt wird. Zum Beispiel, wenn sich Professoren in der Mensa zwischen die Studenten setzen und die Hörsaal-Hierarchie plötzlich gebrochen wird.

Die brutale Welt des Mathe-Studiums, bei dem oft schon nach einer Woche die Hälfte der Studenten abbrechen und es nur ein Bruchteil durch das erste Semester schafft, kommt so erfrischend amüsant und leicht daher. Es ist die Liebenswürdigkeit, mit der Alina Bronsky über ihre Heldin Moni und über Oscar schreibt, die dafür sorgt, dass man die Beiden sehr schnell ins Herz schließt und sie am liebsten noch viel länger auf ihrem Weg begleiten möchte.

Dabei wird auch immer wieder deutlich, wie intensiv sich Bronsky mit der mathematischen Welt auseinandergesetzt hat. Aber keine Sorge: anders als an der Uni sind für den Roman keine mathematischen Vorkenntnisse nötig.

Die Autorin selbst wünscht sich, dass sich der Blick auf die Mathematik ein wenig ändert und es kein „Schreckgespenst“ mehr ist: „Was ich ganz schlimm finde in Bezug auf diesen Mathe-Horror, ist, dass Schulmathematik oft so unfassbar langweilig ist, im Vergleich zu dem, was es eigentlich wirklich sein kann. Mathe macht mehr Spaß, als viele denken.“ Schuld daran seien nicht zwingend die Lehrkräfte, sondern vor allem die überfrachteten Lehrpläne, betont Bronsky. Womöglich kann aber auch ihr unterhaltsamer neuer Roman ein wenig dazu beitragen, den Schrecken vor der Mathematik zu nehmen.


Zur Person: Alina Bronsky, Jahrgang 1978, hat nach einem abgebrochenen Medizinstudium erst als Redakteurin gearbeitet, bevor sie Schriftstellerin wurde. Ihr Debütroman „Scherbenpark“ (2008) war ein Bestseller, auch spätere Bücher wie „Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche“ (2010) oder „Baba Dunjas letzte Liebe“ (2015) wurden erfolgreich. Bronsky lebt in Berlin-Charlottenburg.

Alina Bronsky: Pi mal Daumen. Kiepenheuer & Witsch, 272 Seiten, 24 Euro.

Buchcover "Pi mal Daumen" von Alina Bronsky

Buchcover 'Pi mal Daumen' von Alina Bronsky