Prominent verteidigt: André 3000 hat sich mit seinem Solodebüt 17 Jahre Zeit gelassen. Jetzt ist es da. Der Rapper spielt darauf ausschließlich Flöte. Trollt er seine Fans?
André 3000 von OutkastErfolgreichster Rapper aller Zeiten veröffentlicht Flötenalbum
Lange hatte man nichts mehr von André 3000 gehört, der exzentrischen Hälfte des Hip-Hop-Duos Outkast. 17 Jahre lang warteten Fans nach dem Outkast-Aus auf sein Solodebüt, vergeblich. Wir erinnern uns: Schon 2003 veröffentlichten André und Big Boi mit „Speakerboxxx/The Love Below“ eine Doppelplatte, das im Prinzip aus sei Soloscheiben bestand. Es ist mit 13 Millionen verkauften Tonträgern das erfolgreichste Hip-Hop-Album aller Zeiten.
Zu Andrés Single „Hey Ya“ tanzt man noch heute auf Hochzeiten. Und Polaroid-Kameras werden nur noch mit dem Hinweis ausgeliefert, dass man das Sofortbild bitte nicht schütteln soll, egal, was Outkast im Song behaupten.
In den folgenden Jahren tauchte André 3000 nur noch sporadisch auf, wie ein U-Boot, das frische Luft holen muss. Rappte eine Strophe an der Seite von Beyoncé, produzierte eine Zeichentrickserie für Kinder, spielte Jimi Hendrix in einem kaum gesehenen Biopic. Zuletzt wurden die Meldungen immer kurioser, der einstige Charts-Garant wurde in Starbucks-Filialen und in Flughafen-Terminals gesichtet, in Jeans-Latzhose, stets mit einer handgeschnitzten Flöte im Gepäck, auf der er dann im öffentlichen Raum ausführlich improvisierte.
Aber seit dieser Woche ist der Karriereverweigerer zurück in den Hot 100. Und zwar mit einem Rekord, wie das Fachmagazin „Billboard“ vermeldete. Nämlich dem mit 12 Minuten und 20 Sekunden längsten Stück, das sich jemals unter den Hundert beliebtesten Songs eingefunden hat. Das dürfte übrigens auch den längsten Titel aller Hot-100-Tracks haben: „I Swear, I Really Wanted to Make a 'Rap' Album But This Is Literally the Way the Wind Blew Me This Time“, oder, einmal durchs Übersetzungsprogramm gejagt: „Ich schwöre, ich wollte wirklich ein Rap-Album machen, aber dieses Mal hat mir der Wind buchstäblich einen Strich durch die Rechnung gemacht“.
Nein, „I Swear …“ hat nun wirklich rein gar nichts mehr mit Rap am Hut, auch wenn André seinen viel gerühmten mühelosen Flow behalten hat: Man kann ihn spüren, wenn er nach knapp drei Minuten tiefenentspannter Klänge die Lippen spitzt und ein Flötenmotiv so lange wiederholt und variiert, bis es Teil der Landschaft wird. Das Stück bildet den Auftakt zu André 3000s erster Solo-LP „New Blue Sun“, sie besteht ausschließlich aus geflöteten Ambient-Tracks im Geist von Alice Coltrane und von New-Age-Kassetten aus den 1980er Jahren.
Trollt André 3000 seine treuesten Fans? Nein, er nimmt sich einfach nur heraus, was im Popgeschäft nahezu unerhört ist: Er folgt seiner eigenen Muse, ohne Rücksicht auf die Verwertbarkeit der Ergebnisse. Solchen radikalen Neuerfindungen sollte man unbedingt applaudieren: Man denke nur an die außergewöhnliche Karriere von Scott Walker, dessen Weg vom Teenie-Idol (mit den Walker Brothers) zum melancholischen Chansonnier führte – und schließlich zum Avantgarde-Künstler, der verrätselte Gedichte über die Schrecken des 20. Jahrhunderts vortrug, zu den Klängen von rechten Haken, die auf Schweinehälften landen.
Oder an Jordan Peele, den man als TV-Komödianten kannte, bevor er mit „Get Out“ als Regisseur gesellschaftlich relevanter Horrorfilme reüssierte. Peele hatte zusammen mit seinem Comedy-Partner Keegan-Michael Key vor acht Jahren einen Sketch veröffentlicht, der heute prophetisch wirkt. Er heißt „Warum es nie eine Outkast-Reunion geben wird“ und imaginiert eine Zufallsbegegnung von Big Boi (Peele) und André 3000 (Key) in einem Café. André ist als Rattenfänger von Hameln verkleidet, Big Boi sofort schwer genervt. Während der Ex-Kompagnon ihm von seiner neuesten Album-Idee berichtet – „Es wird ausschließlich aus dem Geräusch von kreischendem Metall bestehen und einem Wort pro Track“ – klagt er: „Wir waren ein Team und dann hast du den Verstand verloren.“
Schließlich kniet André vor Big Boi und flüstert ihm noch weitere Verrücktheiten ins Ohr. Zu meditativen Flötenklängen, die direkt von „New Blue Sun“ stammen könnten. Aber André 300 ist kein Verrückter. An alte Rap-Großtaten hätte er sowieso niemals anknüpfen können. Aber höhere Bewusstseinszustände erreichen, das ist noch drin. Jetzt hat er die Flöte in die Hot-100-Charts eingeführt. Schön für ihn, schön für uns.