Schauspieler Andreas GrötzingerVom Impfzentrum zurück ins Kölner Ensemble
Andreas Grötzinger, Sie waren von 1998 bis 2012 fest im Kölner Ensemble. Jetzt sind Sie ans Schauspiel Köln zurückgekehrt. Wie kam es dazu? Andreas Grötzinger: Zwei Gründe: Zum einen hat es mich immer interessiert, was Stefan Bachmann und das ganze Team hier machen. Schließlich bin ich dem Haus doch sehr verbunden. Zum anderen war es während Corona als freischaffender Schauspieler irgendwann schwierig. Als freier Schauspieler konnte man ja keine Corona-Hilfe in Anspruch nehmen, weil man abhängig beschäftigt ist. Bei mir war nicht unbedingt das Finanzielle das Problem, aber ich bekam meine Sozialversicherungstage nicht mehr zusammen. Also habe ich in Hamburg im Impfzentrum gearbeitet, um krankenversichert zu sein. Was ich toll fand. Ich bin auch nicht der Typ, der gerne zu Hause rumsitzt. Aber es ist nun mal nicht mein Beruf. Den mache ich nämlich noch lieber. Und da ich dem Haus noch vertraglich verbunden war, habe ich gesagt: Ich würde gerne zurückkommen. Wir hatten ja damals die Möglichkeit, als Familie zusammen mit Karin Beier nach Hamburg zu gehen. Ich war in Köln einfach so lange beurlaubt.
Zur Person
Andreas Grötzinger, geboren 1974 in Göteborg, gehörte von 1998 bis 2012 dem Ensemble des Schauspiel Köln an. Anschließend folgte er Intendantin Karin Beier ans Deutsche Schauspielhaus in Hamburg. Ab 2016 arbeitete er als freier Schauspieler, unter anderem am Malmö Stadsteater, dem Deutschen Theater Berlin und der Wiener Staatsoper. Grötzinger war in zahlreichen Serien, Filmen, Konzerten und Hörspielen zu erleben, darunter auch Lars von Triers „Nymphomaniac“.
„Das Himmelreich wollen wir schon selber finden“, Oliver Frljićs Dombau-Projekt, feiert am Freitag, den 17. 12. 2021 seine Uraufführung im Depot 1 des Schauspiel Köln. Nächste Termine: 19., 26., 28. Dezember, 8., 9., 25. Januar.
Wie lange haben Sie im Impfzentrum gearbeitet?
Zweieinhalb Monate. Das fing im März an, als die über 80-jährigen noch in großen Mengen kamen. Die bekamen von der Stadt Hamburg ein Taxi spendiert, damit sie kommen und brauchten am Empfang Begleitpersonen. Man muss sich das vorstellen: Die hatten über ein Jahr lang zu Hause gesessen, hatten niemanden gesehen und dann kommen die in diese Messehallen und das ist ja wie ein Flughafen zu besten Zeiten. Das war ein wirklich beglückender Job, auch wenn er morgens furchtbar früh anfing. Also geregelte Arbeitszeiten, ich weiß nicht. Aber man schenkt den Leuten genau das, wonach sie sich ein Jahr lang gesehnt haben und wird auch entsprechend behandelt. Und man hatte das Gefühl, dass man wirklich etwas zum Ende dieser Scheiße beitragen konnte.
Sie gehörten auch in Hamburg zum festen Ensemble. Warum haben Sie das verlassen?
Ich habe in der Zeit viel in Schweden gespielt. Und die Schweden haben Stagione-Betrieb, da sind Mittwoch bis Samstag Vorstellungen und dadurch war ich sehr blockiert. Karin Beier hat dann vorgeschlagen, auf frei umzustellen. Es fühlte sich zuerst sehr erwachsen an, keine Urlaubsscheine mehr ausstellen zu müssen. Bin gespannt, wie sich das jetzt in Köln wieder angeht. Aber in einem Haus wie Köln hat man die meiste Zeit wirklich interessante künstlerische Aufgaben und ein tolles Arbeitsklima.
Dreisprachig aufgewachsen
In Ihrer Vita geben Sie außer Schwedisch und Deutsch noch Englisch als Muttersprache an. Wie sind Sie dreisprachig aufgewachsen?
Meine Mutter ist Schwedin und ich bin da geboren, weil mein Vater — der ist Schweizer — da für seine Habilitation ein Stipendium hatte. Als er damit fertig war, sind wir in die Schweiz gezogen. Ich sprach zu Hause Schwedisch und auf der Straße Baseldeutsch. Als ich zehn Jahre alt war, trennten sich meine Eltern. Meine Mutter konnte in der Schweiz nicht als Ärztin praktizieren, also wurde sie von der in Basel prominent vertretenen pharmazeutischen Industrie abgeworben. Ciba-Geigy hat uns dann für zwei Jahre nach Japan geschickt. Meine Eltern haben mich dort auf die internationale Schule geschickt — und als ich in die Schweiz zurückkam, konnte ich besser Englisch als Deutsch und Schwedisch zusammen. Und in der Schweiz ist Sprachen lernen, wenn man das will und ein Interesse dafür hat, geschenkt. Französisch sowieso, das ist ja gleich nebenan und ich hatte drei so genannte italienische Gastarbeiterkinder in der Klasse. Und so kam das.
Und wie sind Sie vom Deutschen Schauspielhaus in Hamburg ans Stadsteater Malmö gelangt?
Ich hatte bereits häufiger mit dem Regisseur Erik Gedeon zusammengearbeitet. Zuletzt haben wir in Hamburg „Das Wunder von Schweden“ gemacht, ein Oratorium über Leben und Werk des Ikea-Gründers Ingvar Kamprad. Als Erik mir erzählte, dass er eine Anfrage aus Malmö hat, dort die schwedische Erstaufführung des Stückes zu machen, habe ich ihm nachhaltig erklärt, dass ich ihm die Freundschaft kündige wenn er mich nicht mitnimmt. Also habe ich den Ingvar in Hamburg und in Malmö gespielt und das war der Türöffner.
Allürenlos in Schweden
Eine wunderbare Gelegenheit zu pauschalisieren. Wie ist die Theaterarbeit in Schweden?
Die Arbeitszeiten sind sehr viel geregelter. Die Probe fängt um zehn an, um 12 Uhr ist Mittagspause, weil die Techniker dann Mittagspause haben, um 14 Uhr ist Schluss und dann wird abends noch einmal geprobt. Diese Nonchalance, die wir hier manchmal haben, mal zu überziehen oder auch nicht, das ist da nicht vorgesehen. Das führt dazu, dass dort alle wesentlich besser vorbereitet sind. Es ist in Schweden auch überhaupt nicht üblich Allüren zu haben, das ist ein absolutes No-Go. Und alle lassen sich ausreden. Man unterbricht nie. Das ist ganz toll und gelegentlich auch nervtötend. Aber gerade wenn man so wie ich im Theater sozialisiert worden ist, wo man doch recht barsch abgebügelt wurde, geht da ein bisschen die Sonne auf.
Und die künstlerischen Ergebnisse?
Was die Schweden viel besser können als wir, das ist psychologischer Realismus. Das sieht man ja auch an ihrem Filmschaffen. Dafür fehlt in Deutschland die formale Geduld. Es gibt in Schweden auch eine große Lust an diskursiven, dekonstruierten Theater. Aber das ist da nicht alternativlos, so wie es mir hier manchmal vorkommt.
Regisseure mit Allmachtsphantasien
In Köln arbeiten sie jetzt zum ersten Mal mit dem Regisseur Oliver Frljić zusammen.
Ich habe mir vorher ein paar Sachen von ihm angeguckt. Es ist alles sehr angreifbar und diskutierbar und wahnsinnig reflektiert, finde ich. Und er ist einfach ein bezaubernder Mensch. Klug, wach, ein bisschen ein Zappelphilipp. Als ich anfing, kränkelte das Theater noch an männlichen Regisseuren mit Allmachtsphantasien. Davon ist Frljić meilenweit entfernt. Das ist ein Arbeiten auf Augenhöhe, mit viel Vertrauen.
Sie sind ja schon eine lange Strecke in Ihrem Beruf gegangen. Ist das stetig besser geworden mit diesem männlichen Protzgehabe im Theater?
Wesentlich besser. Die Hierarchien werden langsam doch sehr viel flacher. Es wird auch mehr verlangt, dass Schauspieler selber Verantwortung übernehmen. Das hat auch viel damit zu tun, dass immer mehr Frauen Regie führen. Der Gedanke eines alles zusammenhaltenden männlichen Genies wird langsam in die Romantik geschoben, wo er hingehört. Und die, die das noch nicht mitgekriegt haben, kriegen jetzt auch Widerworte, auch von jungen Schauspielern. Ich bin immer ganz begeistert, wenn ich sehe, wie Berufsanfänger sich hinstellen und sagen: Ne, das sehe ich nicht so. Und dann wird darüber gesprochen und zugehört.
Das wäre in den Neunzigerjahren noch nicht möglich gewesen?
Jedenfalls nicht hier in Köln. Da kamen die Ansagen ganz klar von oben, und wer unten ist pariert. Ein Gespräch fand da selten statt. Nur Jette Steckel hat das damals schon gemacht. Dir hat die Proben morgens immer mit der Frage eröffnet: Wer hat etwas gedacht? Da war Input immer willkommen. Aber bei Günther Krämer oder Torsten Fischer überhaupt nicht.
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In Frljićs „Das Himmelreich wollen wir schon selbst finden“ geht es um den Dombau. Ein sehr kölscher Einstieg für Ihre Rückkehr.
Es ist ein fiktiver Entwurf, wie es mit dem Dombau gewesen sein könnte. Es gibt ein paar Figuren, die man vielleicht kennt, und die die Hoffnungen, die Wünsche, und gerade im 19. Jahrhundert auch die Projektionen, die mit diesem Bau verbunden waren, verkörpern. Die Geschichte geht bis heute, denn der Dom ist ja bekanntlich nie fertig. Ich wohne in Bayenthal bei Freunden und fahre immer am Rhein entlang und sehe zu jeder Tages- und Nachtzeit den dunklen Gesellen da stehen. Das ist schon sehr eindrücklich, wenn der nachts beleuchtet ist und sich in den Wellen spiegelt, wie es bei Heine heißt.
Was haben Sie für sich Neues gelernt?
Ich habe mich natürlich immer gefragt, wie es damals zum Baustopp kam. Da haben mich die Arbeitshypothesen der Historiker schon erstaunt. Warum war plötzlich kein Geld mehr da? Warum ist das Interesse erlahmt? Ob das die Entdeckung der neuen Welt war und man nicht mehr so sehr nach oben wollte, wie in den Westen? Oder ob es an der Reformation lag und die katholische Kirche auf eine Art und Weise infrage gestellt wurde, wie das vorher nicht möglich war? Ich wusste vorher nicht, dass sich auch Napoleon mit dem Dom beschäftigt hat. Oder wie es kam, dass Heinrich Heine vom großen Befürworter und Förderer des Dombaus zu einem der schärfsten Kritiker wurde. Wie der Dombau als Hoffnungsbau der Demokraten anfing und als Prunkstück der Reaktion endete.