Angie Hiesl und Roland Kaiser blicken in Köln im ehemaligen Schuhhaus Görtz auf 40 Jahre Performancekunst zurück.
Angie Hiesl und Roland KaiserEine fröhliche Wiederauferstehung von nie Gesehenem
Der Musiker dengelt, tackert, tippt mit dem Bürstenstiel an die nackte Spüle, an Kante, Ablage, ans Tässchen darauf, die Töne differieren, er erfindet Rhythmen am Blech, taucht Teller ins Wasser. Ein Mikrofon verstärkt das Ting und Pling, Plitsch und Platsch von Gerno Bogumil in der Fußgängerzone, wo sich ein Publikum schart. Ansonsten ist es leer dort, die Geschäfte geschlossen. Es leuchten die Schaufenster und die Markennamen. Gegenüber: Karstadt, Globetrotter. Nur „Görtz“ leuchtet nicht. In dem ehemaligen Schuhhaus ist jetzt Kunst. Die ist hell auf ihre Weise.
Angie Hiesl - ist das nicht auch eine Marke wie Globetrotter?
Angie Hiesl. Ist das nicht auch eine Marke? Oder Angie Hiesl & Roland Kaiser? Sie feiern 40 Jahre Künstlersein in Köln und aus Köln heraus, fast globetrottermäßig. Sie wurden bekannt für ihre Kunst im öffentlichen Raum mit ihren installativen Performances. Oder performativen Installationen: an einer Rheinbrücke, in einem U-Bahn-Gang, auf Plätzen, in Hallen, auf einem Hauptbahnhofbahnsteig, an Häuserwänden. Mit Menschen, Objekten, mit Plastik, mit Haaren, Stühlen, Seilen, Flaschen, Zucker. Oft mit Performer Gerno Bogumil. Mal still, mal nass, mal rasant, meist am Puls der Zeit. Oft waren sie Thementrends voraus: Alter („x mal Mensch Stuhl“), drittes Geschlecht („ID Clash“), Kindesmissbrauch, Wohnraummangel, Übergewicht, Entrümpeln statt Vererben.
Angie Hiesl studierte einst in Köln Sport und Tanz und machte ab Mitte der 1980er-Jahre in der Hotspot-Stadt am Hotspot Stollwerck, der besetzten Fabrik, künstlerische Aktionen. Seilte sich an der Außenmauer ab. Tanzte auf einem Mini-Floß auf dem Rhein neben der Südbrücke.
Seit 2023 legte das Team einige Performances neu auf unter dem Titel „Ausser-ordentlich“; die Reihe endet nun mit der Ausstellung in dem verlassenen Geschäft. Ihr gehe es nicht um eine Werkschau, sagte Hiesl zur Eröffnung, sondern um einen speziellen Blick: wie ein Künstler einer anderen Sparte, Film und Medien, mit dem so körperlich Geschaffenen umgeht. Tatsächlich bildet die von Florian Dedek inszenierte Perspektive mit kleinen und großen Screens auf Podesten, an Säulen, Wänden, Rolltreppen, in Nischen, wo alte Fernsehbeiträge, analog und digital Gefilmtes ablaufen, eine wunderbar lebendige, mehrschichtige Geschichte. Lücken sind ok. Man vertieft sich in eine Doku oder schaut von weitem auf mehrere gleichzeitig, entdeckt farbliche Korrespondenzen. So viel Rot. Oder das viele Wasser, lauter Menschen, die kopfüber hängen oder Köpfe in Eimer tauchen, verschwinden, ohne weg zu sein.
Dann regnet es unter einer Brücke. Den surrealen Guss hat wohl niemand vergessen, der 2008 „china-hair-connection Peking-Köln“ am Eigelstein besuchte. Nun entdeckt man im Film Szenen, die man verpasst hatte. Oder vergessen? Die fröhliche Wiederauferstehung jener Erlebnisse und von nie Gesehenem: So versammelt und sorgfältig kuratiert, gewinnen sie an Bedeutsamkeit, historisch und heutig, faszinierend, weil unerwartet, auch für Nicht-Dabeigewesene. Die Dankesworte an die vielen Unterstützer all die Jahre hindurch verdeutlichten, wie enorm aufwändig die Aktionen waren, vor allem die Vorbereitung, samt Genehmigungen, Sicherheiten, Technikausstattungen. So ehrte diese Kunst 40 Jahre lang den öffentlichen Raum, auf dass ihn der Verkehr und der Kommerz mit all seinen Görtzens und Karstadten nicht komplett vereinnahme. Setzte auf das Menschliche, das Ungewohnte im Gewohnten, verrückte Blicke.
„Ausser-ordentlich: Rückblick, Einblick, Ausblick“, Zeppelinstraße 4-8, Nähe Neumarkt, Köln, donnerstags bis sonntags, 12 bis 22 Uhr, bis 10. November 2024. Eintritt frei. Infos zu Ausstellung und Rahmenprogramm unter https://angiehiesl-rolandkaiser.de