Eine umfangreiche Ausstellung in der Düsseldorfer Kunstsammlung würdigt das viel zu lange übersehene Werk von Yoko Ono.
Yoko Ono in DüsseldorfDie Frau, die am liebsten in alle Pfützen der Stadt getreten wäre
Alltägliche Geräusche der Umgebung in Notenschrift zu übertragen, das war eine der Hausaufgaben an der musikorientierten Vorschule, die Yoko Ono in Tokio besuchte. Diese früheste musikalische Bildung lebt bis heute in ihrem künstlerischen Werk fort als eine gesteigerte Aufmerksamkeit und Wahrnehmung auch der unscheinbaren, der kleinen Dinge und Ereignisse. Es ist für sie eine Gewohnheit geworden, wohl auch, um diesen kleinen Dingen die verdiente Wertschätzung entgegenzubringen.
Als junge Studentin, immer noch vornehmlich an Musik interessiert, beginnt Ono, auch andere kleine Gesten in Kunst zu übersetzen und diese auf eine neue Stufe zu stellen. Dem Summen einer Fliege lauschen, ihr Krabbeln auf einer weiblichen Brust zu beobachten, ein brennendes Streichholz zu betrachten, ein auf dem Boden liegendes Bild betreten. Das sind die Aufträge, die sie erst sich selbst und dann den Betrachtern mitgibt. Mit sparsamen Mitteln wird hier Achtsamkeit erzeugt. Und womöglich regt das brennende und langsam verlöschende Streichholz ein Nachdenken über das Vergehen der Zeit an. Über das Leben?
John Lennon und Yoko Ono blieben fast 15 Jahre ein Paar
Die schriftlichen Anweisungen, mit denen die Künstlerin Yoko Ono seit Mitte der 1950er Jahre Ausstellungsbesucher zu Vollendern ihrer Werke werden lässt, sind knappe Handlungsanweisungen: „Listen to a Heartbeat“ (Lausche einem Herzschlag), „Touch“ (Berühre), „Trete in alle Pfützen der Stadt“. Führt man sie aus, werden die knappen Instruktionen zu Anleitungen eines konzentrierten Erlebens. Wie lange dauert es, bis ein Streichholz abbrennt? Wie nass werden meine Füße? Wie fühlt es sich an? Es kommt nicht mehr auf das Objekt an, sondern auf die Idee.
Das multimediale Werk Yoko Onos, deren Leben sich zwischen Tokio, New York und London abspielt, ist dabei von Beginn an äußerst vielfältig: Fotografie, Filme, Musik, Videokunst, Installationen, Instruktionen, Partituren und aktivistische Performances... Sie war längst eine wichtige und von Kollegen hochgeschätzte Künstlerin, als sie 1966 in London John Lennon kennenlernte. Die amerikanische Avantgarde um John Cage und George Maciunas, La Monte Young und Jonas Mekas in New York ebenso wie die Konzeptkünstler in Tokio, die in den 1960er Jahren Onos „Instruction Pieces“, die schriftlichen Instruktionen und deren Aufführung feierten, zählten sie zu ihresgleichen.
John und Yoko blieben fast 15 Jahre ein Paar, privat, als Künstler und als Aktivisten im Kampf für Frieden. Legendär ihr politisches Happening, das „Bed-in“: Während ihrer Flitterwochen im März 1969 in einem Hotelbett in Amsterdam liegend, demonstrierten sie - der Vietnamkrieg war noch lange nicht beendet - für Weltfrieden. Was hat heute mehr Relevanz?
Konzeptkunst und Fluxus blühten damals auch im Rheinland, in Aachen, in Köln, in Wuppertal und Düsseldorf. 1969 fand die erste museale Konzeptkunstausstellung Deutschlands im Museum Morsbroich in Leverkusen statt. Es passt also gut und ist irgendwie auch höchste Zeit, die Künstlerin und Aktivistin Yoko Ono auch hier umfassend vorzustellen.
Die Kunstsammlung NRW am Grabbeplatz widmet ihr jetzt eine Ausstellung. „Yoko Ono: Music of the Mind“, in Kooperation mit der Tate London entstanden, ist eine umfangreiche Schau mit mehr als 200 Werken aus sieben Jahrzehnten. Neben der multidisziplinären Praxis der Künstlerin zeichnet die Schau, so die Kuratoren, „die Entwicklung ihres Werkes und dessen nachhaltigen Einfluss auf die zeitgenössische Kultur nach“. Und das tut sie weitgehend chronologisch.
Warum kennt man von Yoko Onos Werk immer noch so wenig?
Beim Rundgang durch die Ausstellung wird die kunsthistorische Bedeutung der hier vornehmlich in Schwarz-weiß dokumentierten Stücke, ihre revolutionäre Radikalität und Strahlkraft sehr deutlich. Und deutlich stellt sich auch die Frage: Warum kennt man (kenne ich) von diesem Werk immer noch so wenig?
Jetzt sieht man sie alle, die Relikte der Aktionen, ein halbes Zimmer, bei dem tatsächlich alle Gegenstände in der Mitte durchgetrennt sind und die ihre offenen Flanken vorzeigen, die feinen Notate ihrer Poems an den Wänden oder in den Vitrinen, ein „Soundtape of the Snow Falling at Dawn“ (1963). Die Aufnahme des fallenden Schnees im Morgengrauen kann, sagt eine Notiz, in jeder gewünschten Geschwindigkeit abgespielt werden. Es gibt tuschegeschriebene Sonderangebote: „Mornings for Sale“, drei leere Stühle, übriggeblieben von dem „Striptease for Three“ (1964) oder das geniale „Weiße Schachspiel“ (1966) mit ausschließlich weißen Figuren und weißen Feldern. Die Anleitung dazu lautet: „Spiel, solange du dich daran erinnern kannst, wo alle deine Figuren sind.“ Und ja, auch hier sind die Besucher wieder aufgefordert, den Anweisungen zu folgen.
Eine der bekanntesten Werke Yoko Onos ist das „Cut Piece“, es wurde von der Künstlerin 1964 erstmals in Kyoto performt. Gut angekleidet saß sie auf der Bühne, die Betrachter waren aufgefordert, mit einer Schere Stücke aus den Textilien herauszuschneiden. Und das taten sie auch, solange, bis die Künstlerin in ihrer Unterwäsche dasaß. Sechsmal wiederholte sie selbst die Anordnung. Viel öfter aber ließen sich andere aktivistische und feministische Künstlerinnen seither inspirieren. So wie zehn Jahre später, 1974, die Performance-Künstlerin Marina Abramović, die mit „Rythm 0“ eine ähnliche Arbeit schuf. Ihr durfte man allerdings alles antun, und das wurde dann auch wohl versucht.
„Yoko Ono: Music of the Mind“, Kunstsammlung NRW am Grabbeplatz, Düsseldorf, Di.-So. 11-18, 28. September bis 16. März 2025. Der Katalog kostet 42 Euro.