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„Verborgene Schätze“ in DüsseldorfWarum uns Gerhard Richter immer noch Angst einjagen kann

Lesezeit 5 Minuten
Rote Blüten in verschwommener Optik

„Blumen“ (1977) von Gerhard Richter. In der Ausstellung „Verborgene Schätze“ sind Richter-Leihgaben aus rheinischen Privatsammlungen zu sehen.

Der Düsseldorfer Kunstpalast zeigt 120 Werke von Gerhard Richter aus Privatsammlungen. Sogar die schlechten Gemälde sind eine Entdeckung.

Als Gerhard Richter 1969 seine erste Werkschau zeigte, war er 37 Jahre alt und im besten Alter für einen Rückblick zur Mitte der Karriere. Andererseits hatte er nicht viel vorzuweisen: 122 Gemälde, die allesamt in den letzten fünf Jahren entstanden waren und nicht gerade dafür sprachen, dass Richter wusste, was er wollte. Im etwas großspurig als Werkverzeichnis angelegten Katalog waren abgemalte Schwarzweiß-Fotografien abgedruckt, graue Flächen, Türen und Fensterrahmen, umgeschlagene Blätter, Stadtansichten, bunte Farbtafeln aus Quadraten und verschwommene Landschaften. Alles in Einheitsoptik und pingelig durchnummeriert. Vielleicht zeigte Richter seine Retrospektive auch deswegen in Aachen, um sich den geballten Spott der Düsseldorfer Kunstszene zu ersparen.

Seltsamerweise fraßen einige honorige Aachener Bürger einen Narren an diesen Bildern. Sie sahen in Richter, der bis 1964 noch an der Düsseldorfer Kunstakademie eingeschrieben war, keinen planlosen Bummelstudenten, sondern einen systematisch arbeitenden Maler, in dessen Werk sie investieren wollten. Sie entdeckten eine Ordnungsliebe in der Sprunghaftigkeit, für die Ärzte oder Bauingenieure vielleicht besonders empfänglich sind, und vermuteten, dass sich die Kosten in Grenzen halten ließen. Die Preise für Richter-Werke waren moderat, und der Künstler wirkte nicht übermäßig produktiv: Bei durchschnittlich 24,4 Werken pro Jahr kommt man mit dem Sammeln gerade noch so nach.

Die passiv-aggressive Banalität dieser Kuh ist schockierender als jede Pornografie

Bekanntlich kam es anders. Heute zählt Richters Werkverzeichnis mehr als 4000 Einträge, und auch die Preise liefen der Aachener Sammlerschaft bald davon. Aber es reichte immerhin, um 1999 in der Abtei Kornelimünster eine kleine Richter-Retrospektive allein aus Aachener Sammlungen zu bestücken. Mindestens zwei dieser Werke, die Skizzen zu „Parkstück“ (im Werkverzeichnis die Nummern 320-1,2) finden sich jetzt auch unter den „Verborgenen Schätzen“ der gleichnamigen Gerhard-Richter-Ausstellung im Düsseldorfer Kunstpalast. Sie zeigt ausschließlich Werke aus rheinischen Privatsammlungen und beweist, dass die besondere Verbindung zwischen Richter (einst Düsseldorfer, jetzt Kölner Ehren-Imi) und seinen lokalen Sammlern weiterhin intakt ist.

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Selbstredend sind zahlreicher Sammler zwischen Aachen, Düsseldorf und Essen (oder deren Erben) mittlerweile schwach geworden und haben ihre Schätze am Kunstmarkt zu mutmaßlich sehr viel Geld gemacht. Aber etliche sind ihrer Leidenschaft auch treu geblieben: Markus Heinzelmann, Kurator der Ausstellung, konnte 200 Richter-Werke im rheinischen Privatbesitz ausmachen (wenn man die in Firmenbesitz mitzählt). 120 davon sind jetzt im Kunstpalast zu sehen, darunter 82 Gemälde. Eine Retrospektive sei dies ausdrücklich nicht, betonte Felix Krämer, Direktor des Kunstpalasts, denn die Auswahl sei eben begrenzt und die berühmten Museumswerke fehlten gänzlich. Aber auch der Ist-Zustand der privaten Richter-Liebe im Rheinland kommt einer Werkschau erstaunlich nahe.

Eine gemalte Kuh steht neben dem Schriftzug Kuh.

Gerhard Richters Gemälde „Kuh“ aus dem Jahr 1964 ist jetzt im Düsseldorfer Kunstpalast zu sehen.

Dabei ist das erste Bild der Ausstellung gleich eine Lüge. Es gehört dem städtischen Kunstpalast und zeigt die kreuzförmigen Schatten einer grauen Fensterfront. Vermutlich wollte Heinzelmann seinen Rundgang nicht mit der weichgezeichneten Pornografie der nackten „Studentin“ und den lasziven „Schwestern“ beginnen – nicht, dass die Leute auf falsche Gedanken kommen und dann enttäuscht vor Serien abstrakter Bilder und grauer „Vermalungen“ stehen. In korrekter Chronologie hätte die Schau ohnehin mit der „Kuh“ aus dem Jahr 1964 (im Werkverzeichnis die Nummer 15) begonnen. Die passiv-aggressive Banalität dieses Großformats ist im Grunde schockierender als alle gespreizten Beine der Pornowelt zusammen. So etwas malt man nur im Abgrund der Verzweiflung – und pinselt neben die gemalte Kuh dann noch die mit dem Lineal gezogenen Buchstaben „Kuh“.

Am Anfang der Ausstellung lässt sich schön nachverfolgen, wie Gerhard Richter am Nullpunkt der Malerei diese noch einmal neu erfinden wollte. Er schuf abwechselnd Anti-Malerei und reine Malerei, folgte furchtlos dem Prinzip von Versuch und Irrtum, und musste vermutlich auch zu seiner eigenen Verwunderung feststellen, dass er 1964 einfach aufgehört hatte, sich zu irren. Selbstredend sind nicht alle Bilder dieser frühen Anything-Goes-Phase gleich gut, und manche kann man getrost als schlecht bezeichnen. Aber die Idee hinter jeder Werkserie trägt bis heute. Ihre Radikalität macht einem selbst aus sicherer historischer Entfernung immer noch ein bisschen Angst.

In Gerhard Richters Werk gibt es wenig, was es nicht gibt

Die privaten Leihgaben umfassen die Zeit zwischen 1964 und 2017 und belegen Richters proteische Natur auch dort, wo die unbestrittenen Meisterwerke fehlen. In seinem Werk gibt es wenig, was es nicht gibt, sogar eine Kartonröhre, auf die Richter Licht und Schatten malte (und die seit 1965 erstmals wieder ausgestellt wird). Gelegentlich versuchte sich Richter in gestischer Malerei (wenn auch nur als Zitat, mit spitzen Fingern), und seine bunten „weichen Abstraktionen“, mit denen er sich von den „Grauen Bildern“ befreien wollte, waren selten derart prominent zu sehen. Man könnte sie einen läppischen Irrweg nennen, sähen die zwischen 1977 und 1980 entstandenen Leinwände nicht mittlerweile wie eine analoge Vorwegnahme abstrakter digitaler Kompositionen aus.

Gerhard Richter hat seine Sammler einmal als „Mitarbeiter“ umschmeichelt, weil sie ihm, sofern sie Kunst mit Leidenschaft betrachten, beim produktiven Zweifeln helfen würden. Solche Sammler scheint es im Rheinland besonders häufig zu geben, und auch die Kuratoren der rheinischen Museen hat Richter gerne für sich eingespannt. Heinzelmann spricht vom Rheinland als „Testfeld“, immer wieder habe Richter hier neue Serien auf die Probe von Kritik und Publikum gestellt. So schließt sich mit den „Verborgenen Schätzen“ ein Kreis, der in Aachen mit einer Retrospektive begann, die zwar keine war, aber das Versprechen auf viele wunderbare Werkschauen enthielt.


„Gerhard Richter. Verborgene Schätze“, Kunstpalast, Düsseldorf, Di.-So. 11-18 Uhr, Do. 11-21 Uhr, 5. September 2024 bis 2. Februar 2024. Der Katalog zur Ausstellung kostet 54 Euro.