Immer mehr Unternehmen verkaufen ihre Kunstsammlungen. Früher standen diese für bürgerlichen Gemeinschaftssinn. Und heute?
KunstmarktWas bedeutet die Versteigerung der Bayer-Sammlung?
Wenn Manager heutzutage von weichen Standortfaktoren reden, denkt man nicht unbedingt an revolutionäre Umtriebe. Dabei entwickelte sich der unternehmerische Sinn für die Kultur nicht selten in Konkurrenz zum höfischen Mäzenatentum. Der aufstrebende Wirtschaftsbürger wünschte den Adel am Ende unters Fallbeil und wollte ihn nicht nur politisch, sondern auch als Kunstförderer beerben.
Selbst in nüchternen Unternehmenssammlungen, wie der des Leverkusener Bayer-Konzerns, leben die Reste einer bürgerlichen Geistesaristokratie fort. Anfang des 20. Jahrhunderts wollte der damalige Bayer-Generaldirektor Friedrich Carl Duisberg Mitarbeiter mit kulturellen Angeboten in die rheinische Provinz locken. Kunst und Kultur sollten helfen, eine Gemeinschaft zu stiften, die, ganz nebenbei, die Bayer-Angestellten in dankbarer Treue an den Arbeitgeber band.
Auf Duisberg geht noch die heutige, rund 2000 Werke zählende Kunstsammlung des Bayer-Konzerns zurück, die bald vom Kölner Auktionshauses Van Ham zu wesentlichen Teilen versteigert werden soll. Die Topstücke stehen am 3. Juni 2025 bei einer abendlichen Auktion zum Verkauf, darunter das abstrakte Gemälde „Rot im Zentrum“ (1955) von Ernst Wilhelm Nay. Es wird von Van Ham auf 400.000 bis 600.000 Euro geschätzt und soll bei kaufkräftigen Sammlern den Appetit anregen.
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Es ist kein Geheimnis, dass zu den Künstlern der „Bayer Collection“ etliche große Namen gehören, etwa Gerhard Richter und Andy Warhol, um nur die bekanntesten zu nennen. Ein Geheimnis machen Van Ham und Bayer allerdings noch daraus, welche dieser Werke versteigert werden sollen.
Von Gerhard Richter besitzt Bayer ein „Abstraktes Bild“ aus dem Jahr 1984
Über den erwarteten Preisrahmen wollte das Kölner Auktionshaus ebenfalls keine Angaben machen. Er dürfte aber eher im niedrigen Millionenbereich liegen und den Umsatz des Bayer-Konzerns nur minimal berühren – allein im dritten Quartal 2024 wies die Leverkusener Aktiengesellschaft einen Umsatz von zehn Milliarden Euro aus. Im Konzern wurde offenbar niemals nach Konzept oder im Hinblick auf Wertsteigerungen gesammelt. Laut Bayer sollen die Auktionserlöse in die regionale Kulturförderung des Unternehmens fließen.
Das Leverkusener Unternehmen sammelt seit 1912 moderne Kunst, die es oftmals selbst in Auftrag gibt und seinen Mitarbeitern teilweise zur Verschönerung ihrer Arbeitsplätze zur Verfügung stellt. Die Hauptwerke dürften allerdings den Vorstandsetagen vorbehalten geblieben sein. Zu den Schwerpunkten der Sammlung gehören der deutsche Expressionismus, das internationale Informel, die Malerei der 1980er Jahre und Positionen der Gegenwart.
Von Gerhard Richter besitzt Bayer ein „Abstraktes Bild“ aus dem Jahr 1984, von Warhol zwei Porträts von Nastassja Kinski und einer namenlosen Cranach-Schönheit. Weitere Höhepunkte sind ein „Orchideen-Stillleben“ von Max Beckmann und ein Duisberg-Bildnis von Max Liebermann. Letzteres dürfte, als Teil des historischen Firmengedächtnisses, allerdings nicht verkäuflich sein.
Als Grund für den Verkauf nannte Bayer die geänderte Bürostruktur im Unternehmen, die auch Auswirkungen darauf habe, wie Kunst am Arbeitsplatz gezeigt werde. Was wohl heißen soll, dass es weniger feste Arbeitsplätze im Betrieb gibt und das Heimbüro auch in Leverkusen an Attraktivität gewonnen hat. Man trenne sich „von klassischen und repräsentativen Werken aus verschiedenen Standorten des Konzerns“, so Bayer. Junge Kunst, Auftrags- und Förderkunst sowie die Arbeiten der unternehmenshistorischen Sammlung blieben hingegen im Konzern.
Dem WDR schien seine hauseigene Kunstsammlung geradezu peinlich geworden zu sein
Mit der Bayer-Versteigerung setzt Van Ham seine Reihe erfolgreicher Auktionen großer Unternehmens- und Privatsammlungen fort - mitunter für Konzerne, von deren Kunstsinn man, wie beim Modehersteller Sör Rusche, in der größeren Öffentlichkeit bis dahin gar nichts ahnte. Insgesamt scheint der Kunstelan in deutschen Unternehmen derzeit etwas zu erlahmen. Selbst die in der Kunstförderung besonders aktive Deutsche Bank trennte sich in den letzten Jahren von Teilen der eigenen Sammlung; im Max-Ernst-Museum Brühl zog sie mit der Skulptur „Capricorne“ eine bedeutende Leihgabe zurück, um sie zu veräußern.
Ähnlich agieren öffentlich-rechtliche Unternehmen wie der WDR. Hielt man sich dort über Jahrzehnte viel auf sein kulturpolitisches Engagement zugute, schien dem Sender die eigene Kulturförderung (und die hauseigene Artothek für Mitarbeiter) in Zeiten steigender Kosten geradezu peinlich geworden zu sein. 2013 entschied der damalige WDR-Intendant Tom Buhrow, den wertvolleren Teil der WDR-Kunstsammlung zu verkaufen; 2,8 Millionen Euro wurden dabei erlöst.
Ist es ein Zeichen schwindenden Bürger- und Gemeinschaftssinns, wenn sich Konzerne wie Bayer von ihren Kunstsammlungen trennen? Oder geht das Unternehmen einfach pragmatisch mit der Erkenntnis um, dass man mit sanften Standortfaktoren nur einen Teil der eigenen Belegschaft erreicht? Von einem Ausverkauf deutscher Unternehmenssammlungen kann derzeit jedenfalls noch keine Rede sein. Im Kulturkreis der deutschen Wirtschaft sind vom Kölner Versicherungskonzern Axa bis zur westdeutschen Lotterie etliche Konzerne mit eigenen Kunstsammlungen engagiert. Zählt man die aus Unternehmensgewinnen finanzierten Privatsammlungen eines Reinhold Würth oder Hasso Plattner hinzu, fällt die Bilanz noch etwas besser aus.
In Köln hält unter anderem die Kienbaum Unternehmensberatung am bürgerlichen Kunstideal fest. Ihre Sammlung umfasst nach eigenen Angaben rund 1000 überwiegend abstrakte Werke, die in sämtlichen Firmenstandorten zu sehen sind. Hier dient die Kunst offenbar eher der Kunden- als der Mitarbeiterbindung, was auch in florierenden Wirtschaftszweigen keine Selbstverständlichkeit mehr ist. Eine Konkurrenz für öffentliche Museen war das unternehmerische Sammeln nie. Allein das Kölner Museum Ludwig meldet 290 Sammlungszugänge für das Jahr 2024 – vornehmlich ermöglicht durch Sammler, Stifter und andere Träger des bürgerschaftlichen Engagements.