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Kommentar

Kunst für die Füße
Was das Urteil zu Birkenstock verschweigt

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Lesezeit 2 Minuten
Verschiedene Schuhe von Birkenstock stehen in Regalen in einer Kölner Filiale von Birkenstock auf der Ehrenstraße.

Kunst oder Design? Verschiedene Schuhe von Birkenstock stehen in Regalen in einer Kölner Filiale des Unternehmens.

Der BGH hat geurteilt, dass Birkenstock-Sandalen keine Kunstwerke sind. Meine Füße finden das gerecht, mein Kopf meldet leise Zweifel an.

In der Welt der modernen Kunst kann man alles zu Kunst erklären, selbst ein in Massenproduktion hergestelltes Urinal. Marcel Duchamp signierte es 1917 mit R. Mutt und reichte es bei einer Ausstellung ein, deren Ausrichter ihm den Gefallen taten, es nicht zuzulassen. Das ist doch keine Kunst, hieß es zur Begründung. So kann man sich irren.

In der Welt der Rechtsprechung ging es jetzt um einen ähnlichen Fall. Die Firma Birkenstock wollte einige ihrer ikonischen Sandalen zu Kunst erklären lassen, um in den Genuss verlängerter Urheberrechte zu gelangen. Der Bundesgerichtshof befand jedoch, dem Produkt fehle die nötige Gestaltungshöhe: „Ein freies und kreatives Schaffen ist ausgeschlossen, soweit technische Erfordernisse, Regeln oder andere Zwänge die Gestaltung bestimmen.“ Anders gesagt: Die bequeme Birkenstock-Latsche erfüllt ihre Funktion zu gut, um Kunst zu sein.

Auch Designer stellen mittlerweile Stühle, Tische oder Schränke als Einzelstücke her

Während meine Füße das Urteil gerecht finden, meldet mein Kopf leise Zweifel an. Schließlich tragen die alten Unterscheidungen, wo Design aufhört, und Kunst beginnt, nicht mehr weit. Auch Designer stellen mittlerweile Stühle, Tische oder Schränke als Einzelstücke her, und sind Albrecht Dürers Druckgrafiken vielleicht keine Kunst, nur weil sie für die Serienproduktion geschaffen wurden? Über Jahrhunderte hinweg waren Künstler zudem Auftragnehmer und keinesfalls so frei, wie man sich das heute gerne vorstellt.

Selbst die klassische Definition, wonach Kunst im Gegensatz zum Design zweckfrei ist, hat seine Tücken. Zwar malt Gerhard Richter keine Gemälde, weil man damit Löcher in der Wand verdecken kann. Aber liegt kein Zweck darin, sich von schönen (oder interessanten) Bildern auf andere Gedanken bringen zu lassen?

Besonders bitter für die Firma Birkenstock: Käme heute ein Duchamp daher und stellte ihre Sandale auf ein Podest, könnte er sie vermutlich als sein Kunstwerk reklamieren. Aber es gibt einen Ausweg aus der Falle der Funktionalität: Latschen mit hohen Stöckeln dran. Man muss ihn nur gehen wollen.