Kölner Künstlerpaar25 Jahre im öffentlichen Raum – Das war ihre schlimmste Erfahrung
Köln – „Diese schwarzen Räume, nein danke!“, sagt Angie Hiesl, der Bühnenraum sei einfach nichts für sie. Seit 25 Jahren entwickelt und inszeniert Hiesl zusammen mit ihrem Kunst- und Lebenspartner Roland Kaiser Performances und Installationen vor allem für den öffentlichen Raum.
Da, wo im Prinzip alles passieren kann. Wo Passanten, die nie eine Tanzvorstellung oder Galerie besuchen würden, zum Publikum werden können. Wo die Grenzen zwischen Kunst und Alltag verschwimmen.
Zuletzt etwa in Chemnitz, mit Tänzerinnen und Tänzern des städtischen Balletts, für die das Improvisieren auf Parkbänken und zwischen Geländern räkelnd selbst Neuland war.
Ein kleiner Junge tanzt in Chemnitz mit
Eben das imitierte dann ein kleiner Junge, holte noch zwei Geschwister dazu, spielte auch den Solopart einer Tänzerin, die eine zwischen sich und einer Fensterscheibe eingeklemmte Decke immer wieder neu positionierte, mit seinem Stoffhasen nach. „Der hatte wirklich ein gutes Rhythmusgefühl“, erzählt Hiesl, „und die Tänzerin ist auch sehr gut darauf eingegangen. Fürs Publikum war das grandios. Es wurde viel gelacht. Und für uns sind solche Momente ein Geschenk.“
Dafür riskieren sie auch was und natürlich gibt es auch ab und an negative Erlebnisse. Eine „ganz fürchterliche Erfahrung“, so Hiesl, hatten sie in England während einer Aufführung ihrer vielleicht bekanntesten Arbeit, dem bis heute in 38 Städten in 17 Ländern gezeigten Zyklus „x-mal Mensch Stuhl“. Bei dem zeigen sie Menschen zwischen 68 und 85 Jahren bei typischen Alltagshandlungen – auf weißen Stahlstühlen sitzend, die in vier bis sieben Metern Höhe an Häuserwänden montiert sind. Dem Alltag enthoben.
Brenzlige Situation im Nordosten Englands
Im nordostenglischen Stockton-on-Tees, einer von hoher Arbeitslosigkeit geplagten Stadt, allerdings nicht weit genug: Da beschimpfte eine Gruppe betrunkener Männer einen der älteren Performer mit antideutschen Invektiven, sie zeigten ihm den blanken Hintern und bewarfen ihn schließlich mit Eiern.
„Tatsächlich haben wir zum Schutz unserer Performer und Performerinnen immer unsichtbar im Publikum Leute platziert. Aber in dem Moment war er dem völlig ausgesetzt, er konnte ja nicht wissen, ob die nicht auch Steine in der Hand halten.“ Roland Kaiser griff ein und brachte den Performer, vom trunkenen Tross verfolgt, in einen Aufenthaltsraum. So etwas kann bei der Arbeit im öffentlichen Raum geschehen, sagt Hiesl, aber glücklicher weise sind solche Reaktionen äußerst selten.
Rollrasen am Kölner Appellhofplatz
Für ihr erstes gemeinsames Projekt „Kachelhaut“ hatte das Paar die U-Bahn-Fußgängerunterführung Appellhofplatz mit Rollrasen ausgelegt und ein langes Wasserbecken installiert. „Gegenüber dem Stadtmuseum“, erinnert sich Roland Kaiser, „gab es damals eine Essensausgabe für Obdachlose. Die haben sich dann ihr Essen mitgenommen und in der Installation als Picknick gegessen. Das war sehr anrührend.“
Was zum erklärten Ziel passt, Kunst für Menschen erlebbar zu machen, die sonst eher nicht mit ihr in Berührung kommen. Und Kunst über Themen zu produzieren, die ebenfalls ganz alltäglich erscheinen, aber gerade deswegen leicht übersehen werden: Das Projekt „Fat Facts“ ist dafür ein gutes Beispiel, sagt Roland Kaiser, in dessen Rahmen man unter anderem eine übergewichtige Frau im Bikini vor dem Apostelnkloster dabei beobachten konnte, wie sie sich genüsslich in einer Badewanne mit Zucker überschüttet und sich gleichzeitig zu den vielen Benachteiligungen und Vorverurteilungen äußert, die Übergewichtige über sich ergehen lassen müssen.
Transgender-Personen in der Stadtgärtnerei
Die Arbeit „ID-clash“ aus dem Jahr 2013 wiederum folgte aus einer Einladung des Goethe-Instituts in Bangladesch, die LGBT Community und im Besonderen Hijras kennen zu lernen, wie Personen dritten Geschlechts in Südostasien genannt werden. „Da hat sich für uns ebenso eine Welt aufgetan“, sagt Hiesl. Der vergleichende Blick auf lateinamerikanische und europäische Transidente eröffnete dann wieder völlig neue Perspektiven.
Großartig sei das gewesen, sagt Hiesl, zu erleben, wie sich die Akteure und Akteurinnen über Monate geöffnet haben, wie sich Proben- und Transitionsprozess überdeckten. Das sei freilich ein so intimes Thema gewesen, ergänzt Kaiser, dass sie es nicht im öffentlichen Raum inszenieren wollten, und so fand die Kölner Aufführung in der Städtischen Gärtnerei in Poll statt und die Düsseldorfer im inzwischen abgerissenen alten Postverteilzentrum.
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Nun steht nicht nur das Jubiläum der 25-jährigen Zusammenarbeit des Künstlerduos an, sondern auch das 40-jährige Künstlerinnenjubiläum von Angie Hiesl in Köln: Ihre ersten künstlerischen Schritte hatte sie im Umfeld des besetzten Stollwercks gemacht, und die alte Eingangstür der abgerissenen Schokoladenfabrik lehnt noch an der Wand des Ateliers im Rheinauhafen.
Was bleibt von so vielen Jahrzehnten der Kunstproduktion? Performance und Tanz sind flüchtige Künste, schwer festzuhalten. Roland Kaiser hält die Arbeiten des Duos selbst fotografisch fest, es gibt zahlreiche Buch- und Katalogveröffentlichungen, auch ein 200 Quadratmeter großes Lager in Euskirchen. „Aber man hinterlässt ja auch unsichtbare Spuren“, sagt Hiesl, „bei den Menschen, die unsere Performances miterlebt haben.“ Viele ihrer Arbeiten, sagt Kaiser, hätten in oder an Gebäuden stattgefunden, die längst nicht mehr stehen. „Aber wenn man heute am selben Ort vorbeigeht, hat man vielleicht noch ein Bild unserer Aktion vorm Auge.“
Die Kunst von Angie Hiesl und Roland Kaiser bleibt, um es mit dem Titel ihrer bislang letzten Arbeit zu sagen „unfassbar“. Aber umso präsenter.