Berlin – Eigentlich sollte bei „Anne Will“ die Reise von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nach China kritisch beäugt werden. Hamburgs Oberbürgermeister Peter Tschentscher (SPD) war gekommen, um seinen Parteikollegen und Vorgänger zu verteidigen, stattdessen geriet der Sozialdemokrat in der ARD-Talkshow selbst in die Schusslinie.
„Raus aus der Abhängigkeit von den Autokraten – wie ernst ist es Kanzler Scholz mit der Zeitenwende?“, fragte Moderatorin Anne Will die Gäste. CDU-Außenpolitikexperte Norbert Röttgen sieht schnell die Chance, für seine Partei zu punkten und spricht von einem „außenpolitischen Schaden“, den Scholz' Reise und die positive Resonanz innerhalb Chinas angerichtet hätten.
„Anne Will“: Debatte um Besuch von Olaf Scholz bei Xi Jinping
„Die Abhängigkeit von China, in vielerlei Bereichen, hat schon jetzt ein verheerendes Vergeltungspotential“, mahnte Röttgen und wies dabei auf die angespannte Situation in Taiwan hin. Sollte Deutschland China mit Sanktionen drohen, säße Chinas Präsident Xi Jinping möglicherweise am längeren Hebel.
Schnell ist die Runde beim Verkauf eines Anteils an einem Terminal des Hamburger Hafens: Tschentschers Spezialgebiet als Hamburger Oberbürgermeister. Der SPD-Politiker verteidigt den Verkauf von Terminal-Anteilen an die chinesische Reederei Cosco trotz der Skepsis von sechs Bundesministerien, die Entscheidung sei der richtige Schritt gewesen.
„Anne Will“: Peter Tschentscher dementiert Vorwürfe an Hamburger Hafen
„Der Betrieb des Hafens bleibt zu 100 Prozent in städtischer Verantwortung. Das unterscheidet uns von anderen Häfen in der Welt. Der Verkauf hat keinen Einfluss auf die kritische Infrastruktur“, sagte Tschentscher. Auch andere Häfen in Europa hätten Beteiligungen chinesischer Reedereien.
Die „Spiegel“-Journalistin Melanie Amann sieht den Tschentschers Argumentation kritisch: „Sie haben China reingelassen, der Riese hat einen Zeh in der Tür. Vielleicht wollen die Chinesen bald noch mehr Anteile. Die maritime Dominanz ist ja ein Ziel der chinesischen Politik“, erklärte Amann.
Auch Röttgen kontert sofort und geht in die Offensive: „Der Hamburger Hafen ist Teil einer globalen Machtstrategie. China spannt ein globales Netz von Einfluss und der Hamburger Hafen ist ein wichtiger Bestandteil.“ Der CDU-Politiker geht sogar noch weiter, wirft Tschentscher vor, für die Übernahme der Anteile durch Cosco geworben zu haben.
„Anne Will“: Peter Tschentscher verliert bei Cosco-Verkauf im Hamburger Hafen die Nerven
Tschentscher dementiert die Vorwürfe, stellt die städtische Übernahme von Anteilen des Logistik-Unternehmens Hapag-Lloyd in den Vordergrund und sieht darin den Teil einer „komplementären Strategie“ gegen die chinesische Seidenstraße.
Röttgen sieht darin nicht den richtigen Weg, will eine „gemeinsame europäische Lösung, damit China die europäischen Häfen nicht gegeneinander ausspielen kann“, so der CDU-Politiker. Auch die Direktorin des deutschen Aspen Institutes, Stormy-Annika Mildner, sieht die deutsche Wirtschaft in einer „Zwickmühle“ aufgrund der Abhängigkeit von China.
Tschentscher ist in Bedrängnis, verliert zunehmend die Nerven. Der SPD-Politiker wirft den Medien vor, mit Überschriften wie „China will Hamburger Hafen kaufen“ die öffentliche Meinung zu beeinflussen und so für die Ablehnung des Anteilskaufs in der Öffentlichkeit zu sorgen. Journalistin Amann entgegnet: „Ich hoffe, sie machen nach dieser Sendung einen Faktencheck, denn diese Aussagen zur Desinformation sind eine Frechheit.“
„Anne Will“: Omid Nouripour greift Peter Tschentscher wegen Desinformations-Vorwürfen an
Auch der Grünen-Vorsitzende Omid Nouripour, dessen Partei im Bund und in Hamburg Koalitionspartner der SPD ist, reicht es: „Es ist gut jetzt. Die Menschen sind nicht blöd, die lesen Zeitung, die lesen nicht nur Überschriften. Es gibt viele Umfragen, die mir nicht gefallen, ich würde aber nie auf die Idee kommen zu sagen, die Leute haben die Frage nicht verstanden.“
Nouripour billigte Tschentscher zu, dass er als Hamburger Oberbürgermeister für den Hafen kämpfen würde. „Aber sie müssen auch das Big Picture sehen. Und dazu gehört eben auch, dass man die Probleme, die wir mit China haben, auch im Dialog ansprechen.“ (shh)