Echt-Sänger Kim Frank nimmt in der dreistündigen Doku „Echt – unsere Jugend“ kein Blatt vor dem Mund. Zum Glück.
ARD-Doku über Teenie-BandAls sich Echt vor den Kölner Messehallen duschten
Eiterpickel in Großaufnahme, Selbstbefriedigungswitze im Whirlpool, Fremdschämen mit Jürgen Drews vorm Fernsehgarten-Auftritt. Kim Frank hat für den SWR aus mehr als 250 Stunden selbstgedrehten Videomaterials eine dreistündige Dokumentation über die Teenie-Band zusammengestellt, deren Sänger und Posterboy er vor mehr als 20 Jahren war: Echt. Fünf Schulkameraden aus Flensburg, die in einer unendlich fern wirkenden Zeit zu Popstars wurden, als sich selbst die SPD bemüßigt fühlte, einen Popbeauftragten zu ernennen. „Echt – unsere Jugend“
Echt waren echte Freunde, die echte Instrumente spielten, ohne große Plattenfirma im Hintergrund. Einmal zeigt Kim Frank kurz die Sozialbauwohnung, in der er mit alleinerziehender Mutter und älterem Bruder aufgewachsen ist. Seinen Vater hat er nie gekannt. „Ich war eines von den Kindern, aus denen nichts werden soll“, spricht Frank aus dem Off.
Als Echt anfingen, begoss sich die Musikindustrie noch alljährlich auf der Kölner PopKomm mit Schampus
In der Schule leidet der Junge unter Panikattacken, ist überzeugt davon, mit 24 zu sterben. Die Band ist seine große Chance, ein Traum wie aus einem Abenteuerroman. „Alles wird sich ändern, wenn wir groß sind“, singt er, da ist er gerade mal 16 Jahre alt. Die Single chartet nicht, dann hilft Manager Jonas Schäfer mit TV-Werbung nach.
Und es klappt. Jetzt werden die fünf für ein Jahr von der Schule befreit, ziehen zusammen in eine WG an der Hamburger Elbchaussee, aber die meiste Zeit sind sie sowieso unterwegs. Es ist das Jahr 1998, die Welt ist bunt und rund und niemand nimmt irgendetwas allzu ernst. Die Musikindustrie verkauft CDs tonnenweise und übergießt sich alljährlich auf der PopKomm mit Schampus. Echt sind auch dabei, noch müssen sie in der Jugendherberge übernachten und duschen im Springbrunnen vor der Kölner Messe.
Der Weg zum Erfolg führt über „uncoole“ Fernsehshows, Bravo-Homestorys und Auftritte bei Viva Interaktiv und eine unendliche Abfolge kurzer Shows vor überreizten Mädchen. Die Videokamera ist ein Geschenk von Viva, und sie ist immer im Einsatz. Weshalb „Echt – unsere Jugend“ dem Publikum Einblicke erlaubt, wie man sie damals, vor dem Siegeszug der sozialen Medien, nicht kannte und wie sie heute niemand mehr derart ungefiltert zeigen würde.
Es muss quälend gewesen sein, sich als Anfang-Vierzigjähriger beim hormonellen Heißlaufen beobachten zu müssen, und Frank bestätigt das in Interviews zur dreiteiligen Doku. Es wird getrunken, gekifft, gekotzt. „Flo, gebrauchte Kondome gehören nicht ins Klo“, motzt Manager Schäfer. Und Kim Frank erzählt dem Dr. Sommer-Team von seinem ersten Mal: „Der kleine Mann war zirka zwei Minuten oben, aber ich bin nicht gekommen.“ Schnitt zum Video von „Wir haben’s getan“. Echt peinlich. Aber Platz 23 der Single-Charts.
Im Mut zur Peinlichkeit liegt die Relevanz dieser Dokumentation. Zu den hormonellen Höhepunkten kommen zahlreiche Tiefpunkte: Mädchen, die versuchen, ihren minderjährigen Idolen in die Hose zu greifen. Hooligans, die Echt bei einem Open-Air-Gig in Recklinghausen mit Eiern, Wasserbomben und Bierflaschen bewerfen. Frank muss am Kopf genäht werden, beruhigt seine Mutter am Telefon: „Ja, mein Gott, Rock’n’Roll.“ Innerlich ist er erschüttert. Im Internet erhält er Morddrohungen. Ab da ist die Band mit Personenschutz unterwegs und hinter der Bühne wartet stets ein Krankenwagen mit Franks Blutgruppe an Bord.
Wir erfahren von den depressiven Schüben des Gitarristen und Songschreibers Kai Fischer. Von den endlosen Streitigkeiten zwischen Band und Manager wegen der verhassten Playback-Auftritte, die im deutschen Fernsehen damals noch Usus waren. Echt wollen echt sein, einfach sie selbst. Aber so funktioniert es leider nicht.
Nebenbei veröffentlichen sie einige der besten deutschen Singles ihrer Zeit, führen die Album-Charts an. Sollte das nicht die Hauptsache sein? „Du trägst keine Liebe in dir“, „Weinst Du“: das Drama deiner ersten Liebe im Cinemascope-Format. Sie wollen erwachsen werden, alles ändern. Aber das ist nicht so einfach.
Wenn jemand in diesen drei Stunden schlecht wegkommt, sind es die deutschen Medien. Als Kim Frank seine erste feste Freundin findet, die acht Jahre ältere Viva-Moderatorin Enie van de Meiklokjes, brechen alle Dämme. Vorm Kölner Loft warten die Paparazzi. Die Bravo veröffentlicht Fotomontagen und erfundene Aussagen. Der Sänger wird jetzt wie ein Boulevardstar behandelt, auch von seinen Freunden, sagt er. Ein Riss geht durch die Band. Inmitten des lustigen Kameragewackels bahnt sich das Ende an, der Abschied von der Jugend.
Der Versuch, sich an der Bild-Zeitung mit gefälschten Paparazzi-Fotos zu rächen, geht furchtbar nach hinten los. Am Ende landet ein Pimmelbild von Frank auf der Titelseite. Sein ganzes Leben lang habe er sich zu dick gefühlt, kommentiert er aus der Rückschau, „jetzt wusste die ganze Welt, wie ich nackt aussehe.“ „Wie dumm darf ein Popstar sei?“, ätzt die Bild, als Frank kurz darauf in der Harald Schmidt Show ein Witz verunglückt.
Wie das ausgeht, ahnt man. Der Versuch, ernst genommen zu werden, führt zu Kritiken in der Spex und der Intro, aber zu enttäuschenden Plattenverkäufen. Die Freunde reden nicht mehr miteinander. Man streitet über Geld. Schließlich haut Kim Frank nach Tokio ab und als er wiederkommt und verkündet, dass er noch mindestens ein Jahr Pause bräuchte, antwortet Kai Fischer: „Dann lösen wir uns auf.“
Doch das ist nicht die Moral von der Geschichte. Am Ende stellen die fünf groß geworden Echt-Mitglieder noch einmal Einzelinterviews nach, wie sie sie 20 Jahre zuvor gegeben hatten. Und eines hat sich nicht geändert: Die Freundschaft ist geblieben, ein Bedauern bleibt aus. Sie haben ihre Jugend nicht verschwendet. Am Ende sagt Fischer den traurigsten und versöhnlichsten Satz der Doku: „Ich habe nie wieder etwas gefunden, was mir ähnlich viel bedeutet hat.“
„Echt – unsere Jugend“ ist in der ARD Mediathek zu sehen.