In ihrem Buch „Wir waren hochgemute Nichtskönner“ spüren Gisa Funck und Gregor Schwering der Kölner Subkultur der 1980er und 90er Jahre nach.
Buch über Subkultur der 1980er und 90erAls Köln einmal Weltstadt war
Früher war nicht alles besser – aber interessanter vielleicht. Das muss die nachgeborene Generation zumindest glauben, wenn Kölner und Kölnerinnen von den wilden 1980er und 90er Jahren schwärmen, in denen die Stadt das sub-, pop- und überhaupt kulturelle Zentrum Deutschlands war. Wenn nicht sogar der Welt.
Heute laufen Leute mit Stoffbeuteln herum, die augenzwinkernd mit „New York, Tokio, Ehrenfeld“ bedruckt sind – wenn man Ehrenfeld durch das Belgische Viertel ersetzt, hätte man das in den 80ern tatsächlich völlig unironisch machen können. Doch nach der Wende vermasselte die Anziehungskraft der neuen Hauptstadt Berlin irgendwann alles und die Szene zog weiter gen Osten.
So zumindest der Mythos, dem Gisa Funck und Gregor Schwering in ihrem Buch „Wir waren hochgemute Nichtskönner – Die rauschhaften Jahre der Kölner Subkultur 1980 – 1995“ nachgehen. Dafür haben sie mit Menschen aus der Kunst-, Musik, Literatur- und Kneipenszene gesprochen. Ordnen das Geschehen aber auch – bisweilen etwas Lehrbuch-mäßig – selber ein.
Für fortgeschrittene Anfänger sind auf jeden Fall die etwa hundert Seiten geballte Spex-Historie. Gisa Funck und Gregor Schwering zeichnen den erstaunlichen Wandel nach, den die Musikzeitschrift in den 40 Jahren ihres Bestehens durchgemacht hat: Vom anarchischen Punk-Fanzine hin zur intellektuellen Instanz für Eingeweihte.
Peter Bömmels, der die Spex 1980 mitbegründet hat, erzählt: „Wir wollten den Do-it-yourself-Spirit der Zeit einfangen, diese Aufbruchsstimmung, damit die nicht einfach unterging und verrauschte. Wir waren begeisterte, unprofessionelle Anfänger – so wie viele Musiker damals auch.“ Da schrieb man dann 1983 auch schon mal „Vilosof“ statt „Philosoph“ – undenkbar in späteren Zeiten unter Chefredakteur Diedrich Diederichsen als Spex-Lesen ohne geisteswissenschaftliches Studium wenig Sinn machte.
Peter Bömmels gründete nicht nur die Spex, sondern auch die Künstlergruppe Mülheimer Freiheit, die Anfang der 1980er eine kurze aber steile Karriere erlebte.
Das Buch gliedert sich in die jeweils chronologisch erzählten Kapitel „Popstadt“ (Spex), „Ausgehstadt“, „Musikstadt“ (Techno) und „Kunststadt“. Irgendwie muss man natürlich sortieren – aber eigentlich sind es ja gerade die Vermischungen der verschiedenen Szenen, die das besondere Kölner Lebensgefühl ausmachten. Oder, wie es Galerist Daniel Buchholz im Buch zitiert wird: „Ich glaube, dass die soziale Dichte Kölns auch ein Faktor war, der die Stadt bei Künstlern beliebt machte.“
Das wird am ehesten noch im Kapitel „Ausgehstadt“ deutlich, das sich um Orte wie das Six Pack, Königswasser oder Blue Shell dreht. Auch im 1988 gegründeten XX (sprich: Dos Equis) traf sich die Szene, wie Betreiber Dirk Mecky erzählt: „Daniel Buchholz kam mit den Pet Shop Boys rein, die setzten sich einfach nach hinten und schwätzten. (...) Sigmar Polke unterschrieb gerne mal etwas, bzw. bemalte oder signierte Tischdecken und Heizungsauflagen, die ich heute noch suche.“ Und Spex-Autor Ralf Niemczyk erinnert sich: „Im Broadway saß jeden Samstagvormittag die Museums-Bundesliga der deutschen Kunst herum. So die Plätze eins bis fünf mit ihren Einkaufstüten. Nur Gerhard Richter ließ sich meistens entschuldigen.“
„Ab 82/83 spielte die Musik der Kunstwelt ganz eindeutig in Köln, das nun zu dem wichtigsten Hotspot für Gegenwartskunst in Deutschland aufstieg, wenn nicht in Europa“, heißt es im Buch. Auch die Aufregung um die Mülheimer Freiheit und die Neuen Wilden hatte Galerien und Künstler in die Stadt gelockt: „Als Erster kam 1982 Martin Kippenberger, der sich in Köln (…) schnell als Betriebsgroßmaul aufspielte.“
Gisa Funck und Gregor Schwering feiern die Kölner Szene nicht einfach ab, sondern wahren professionelle Distanz. So verschweigen sie nicht, dass (auch) die Kulturszene der 1980er und 90er ein eher unwirtlicher Ort für Frauen war. In der Kölner Kunstszene spielten mit Gisela Capitain und Monika Sprüth immerhin Galeristinnen eine Schlüsselrolle. „Schon 1983 stellte ich bewusst Frauen aus, weil ich glaubte, hiermit eine wichtige Aufgabe im damaligen Kunstgeschehen zu erfüllen“, zitieren die Autoren Monika Sprüth im Gespräch mit dieser Zeitung.
Ein eigenes Kapitel „Literaturstadt“ gibt es nicht, obwohl ja auch hier in den 1980er und 90ern extrem viel passierte – allein unter dem Stichwort „Popliteratur“. Dafür wird das Buch immer wieder durch eher irritierende Roman-ähnliche Passagen unterbrochen, die im subkulturellen Milieu der Zeit spielen.
Ausführlich widmen sich Gisa Funck und Gregor Schwering dagegen dem minimalistischen Sound of Cologne, mit dem die Stadt Mitte der 1990er zum Mekka des Techno wurde. „Zu dieser Zeit zogen Leute aus Wien, New York oder Barcelona nach Köln, weil es hier so spannend war. Das war ein kurzer Moment, in dem Köln für mich wirklich eine Metropole war“, sagt Musiker und Produzent Jörg Burger.
Und wie klingt der Sound von Köln? „Berlin zum Beispiel ist eher dark, ernst oder düster. Köln dagegen ist aufgrund der rheinischen Mentalität besser gelaunt, humoristischer, aber auch waghalsiger, würde ich sagen“, meint Wolfgang Voigt, Mitbegründer des Elektronik- und Technolabels Kompakt.
Nur eine Handvoll der 16 Interviewpartner für das Buch leben übrigens heute in Berlin. Es sind also zum Glück nicht alle interessanten Menschen in die Hauptstadt verschwunden.
„Wir waren hochgemute Nichtskönner – Die rauschhaften Jahre der Kölner Subkultur1980 bis 1995“. Kiepenheuer & Witsch, 343 Seiten, 28 Euro, E-Book 22,99 Euro.