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Markus Kavka zu 30 Jahre Viva„Die krasseste Zeit des Musikfernsehens“

Lesezeit 8 Minuten
Markus Kavka bei MTV 2006.

Markus Kavka bei MTV 2006.

Vor 30 Jahren startete in Köln Viva als MTV-Konkurrenz. Markus Kavka war Moderator bei beiden Sendern. Jetzt erinnert er sich an die wilden Pop-Jahre in Köln und Berlin.

In Ihrem Buch „MTViva liebt Dich!“ erzählen Sie zusammen mit Elmar Giglinger, unter anderem bis 2000 Programmdirektor für VIVA Zwei und anschließend bei MTV, die Geschichte des deutschen Musikfernsehens. Sind Sie dabei auch selbst nostalgisch geworden?

Markus Kavka: Grundsätzlich bin ich jemand, der überhaupt nicht nostalgisch ist. Und denken würde: Früher war alles besser, die geile MTV- oder VIVA-Zeit! Ich gucke lieber nach vorne. Und trotzdem war ich natürlich in der krassesten Zeit des Musikfernsehens dabei. Und das waren meine aufregendsten Jahre in beruflicher Hinsicht - und auch wirklich kompletter Irrsinn.

Wie kam es zu der Buch-Idee?

Wir hatten vor zehn Jahren schon mal die Idee, alles aufzuschreiben, bevor das in unserem steinalten Gehirn endgültig verschüttet wird. Daraus ist dann aber nie etwas geworden – auch weil wir uns nicht einig waren, wie man sowas in eine Form bringen kann. Und dann rückte dieses Datum näher: Der 1.12.2023 - das 30-jährige Jubiläum von VIVA, wenn es den Sender noch geben würde... Und das war für uns ein Impuls, das Projekt in Angriff zu nehmen. Und dann hatte der Ullstein Verlag die sehr gute Idee, das als oral history zu machen. Jetzt erzählen also nicht nur Elmar und ich, sondern wir haben noch mit ganz vielen anderen Leuten gesprochen, die damals vor und hinter der Kamera wichtig waren.

Wie sind sie da praktisch vorgegangen?

Ich glaube, insgesamt haben wir 65 Gespräche geführt und aufgezeichnet. Die waren alle mindestens eine Stunde lang, meistens eher anderthalb oder zwei Stunden. Am Ende hatten wir mehr als 2000 Seiten Interview-Transkripte. Und dann ging erst die eigentliche Arbeit los: Auswählen, alles in eine sinnvolle Reihenfolge bringen... Wir haben ein ganzes Jahr lang sehr, sehr konzentriert daran gearbeitet – das hatten wir uns auch irgendwie entspannter vorgestellt (lacht).

Markus Kavka, Charlotte Roche und Rocco Klein bei einer ViVa 2 Party 1999.

Markus Kavka, Charlotte Roche und Rocco Klein bei einer ViVa 2 Party 1999.

Hinter den Kulissen von VIVA und MTV

Wie haben Sie Ihre Gesprächspartner ausgewählt?

Uns war wichtig, dass nicht nur Gesichtsprominente ihre Anekdötchen erzählen, sondern dass wir auch ganz bewusst Leute hinter den Kulissen, aus dem Business zu Wort kommen lassen. Um so ein möglichst komplettes Bild dieser Epoche zeichnen zu können.

Ich habe erst in der Rückschau kapiert, dass ich da bei etwas mediengeschichtlich Bedeutendem dabei war.
Markus Kavka

Haben Sie dabei selber noch Neues erfahren?

In den Gesprächen, die ich jetzt für das Buch geführt habe, haben mir Leute Sachen über mich erzählt, die ich einfach echt nicht mehr auf dem Schirm hatte. Und das war jetzt gar nicht so sehr dem Umstand geschuldet, dass man jetzt auf irgendeiner Party einen Filmriss hatte. Sondern einfach, weil offenbar auf meiner Festplatte nicht mehr genügend Platz war, um das alles abzuspeichern. Diese Zeit war so ereignisreich, dass mein Gehirn glaube ich irgendwann zu selektiver Wahrnehmung übergegangen ist.

Sie haben also Mediengeschichte geschrieben und es gar nicht gemerkt?

Ich habe erst in der Rückschau kapiert, dass ich da bei etwas mediengeschichtlich Bedeutendem dabei war. Das waren schon einzigartige Konstellationen und vermutlich wäre das in der Form heute nicht mehr möglich. Dass man überhaupt so etwas wie Musikfernsehen machen konnte, konnte man sich noch ein paar Jahre in der Form gar nicht vorstellen. Da gab es halt ein bisschen „Formel 1“ oder „Bananas“ im Fernsehen - oder Hitparade. In Europa wurde MTV ja erst ein Thema als 1987 MTVEurope in London an den Start ging. 1993 startete dann VIVA und ab 1998 VIVA Zwei.

Markus Kavka über seine Zeit als VIVA-Moderator

War Ihnen damals schon klar, dass da gerade etwas Einzigartiges passiert?

Man ist halt so ganz unbedarft an die Sache herangegangen. Fast keiner hatte ja so richtig Fernseherfahrung. Das war wirklich ein totales Autodidaktentum, Learning by Doing. Matthias Opdenhövel meinte bei uns im Gespräch, dass er schon nach kurzer Zeit das Gefühl hatte, bei etwas ganz Großem, Historischen dabei zu sein, spätestens als Stefan Raabs Single „Böörti Vogts“ in aller Munde war. Und da muss ich sagen, war er schon wirklich sehr visionär - mir persönlich war das damals noch nicht so richtig klar.

Aber dass Sie selbst immer bekannter wurden, konnte man ja irgendwann nicht mehr ignorieren, oder?

Klar, man war ja dann selbst schon fast so eine Art Popstar und die Leute wollten Autogramme von einem und Fotos. Aber die komplette Dimension habe ich persönlich lange nicht überrissen. Ich habe ja am Anfang erstmal nur eine Metalsendung bei VIVA gemacht. Und auch bei VIVA Zwei hat man ja sehr, sehr unkommerzielles Fernsehen gemacht für eine sehr begrenzte Zielgruppe. Also eine, die sich vor allem für die Musik interessiert. Und nicht so sehr für die Personalities, die vor der Kamera standen. So richtig geschnallt, was das für eine Tragweite hat, habe ich dann erst, als ich 2000 zu MTV gegangen bin. Da hat mich dann wirklich jeder zwischen 14 und 29 auf der Straße erkannt.

Hatte Musik zu Zeiten des Musikfernsehens einen anderen Stellenwert?

Die Musikszene hat sich ja total verändert. Wenn mal alleine sieht, was ich schon in meinem Leben an wirklich gravierenden Veränderungen in der Musikszene mitgemacht habe: Die Umstellung von Vinyl auf CD, später auf MP3. Dann ging es los mit YouTube und schließlich kam Streaming dazu. Das waren alles massive Veränderungen und deswegen war Musikfernsehen vor allem in den 90er und Nuller Jahren ja auch so eine permanente Operation am offenen Herzen, weil man zum einen ständig auf diese Veränderungen reagieren musste, zum anderen aber auch Trends setzen wollte.

„MTViva liebt dich!“ liest sich wie eine große Party

Vermissen Sie das Musikfernsehen manchmal?

Dieses Kuratieren, was wir im Musikfernsehen gemacht haben - dass wir bestimmte Sachen auf Rotation genommen haben und andere Sachen bewusst nicht. Das hat jetzt weitestgehend der Algorithmus übernommen. Und wenn man den nicht ausreichend füttert, dann wird er einem nie zufriedenstellende Ergebnisse liefern. Für jemanden, der das nicht beruflich macht, kann es sehr mühsam werden, neue Sachen zu entdecken. Und das führt natürlich dazu, dass man Musik rauf und runter hört, die man schon kennt. Und die großen Stars werden so immer größer und Newcomer haben es heute entsprechend immer schwerer, Fuß zu fassen, weil die Platzhirsche ganz oben die Aufmerksamkeit der Kundschaft bekommen.

Beim Lesen des Buches fühlt man sich wie ein Zaungast auf einer riesengroßen Party. Waren das unpolitischere Zeiten?

Ja, ganz klar. Man sagt ja, dass die 90er das letzte unbeschwerte Jahrzehnt waren. Obwohl es da natürlich auch den Balkankonflikt oder den ersten Irakkrieg sowie hierzulande viele rechtsextreme Übergriffe gab. Trotzdem hat man in den Neunzigern tatsächlich noch relativ unbeschwert leben können. Genau genommen bis zum 11. September 2001 - ab da war die Welt eine andere. Ab da war mit einem Schlag dann alles politisch.

Wie schauen Sie heute auf das Programm aus den 90er und Nuller Jahren?

Diese Freiheit und diese Unbeschwertheit, hat sich auch darin ausgedrückt, dass man vor der Kamera noch ganz andere Sachen sagen und machen konnte. Was Stefan Raab anfangs bei VIVA gemacht hat, hat extrem polarisiert. Oder Niels Ruf bei VIVA Zwei – es gab immer streitbare Charaktere im Musikfernsehen und da ist man heute definitiv vorsichtiger geworden. Ich habe mir ganz viele alte Sendungen von mir für dieses Buch angeguckt und auch alte Sendungen von ganz vielen Kolleginnen und Kollegen. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass die eine oder andere Äußerung oder Moderation - auch von mir - heutzutage zu einem veritablen Shitstorm führen würde.

Markus Kavka heute mit Co-Autor Elmar Giglinger.

Markus Kavka heute mit Co-Autor Elmar Giglinger.

Köln war der perfekte Standort für VIVA

Und würden Sie sagen zurecht oder sind wir als Gesellschaft viel zu empfindlich geworden?

In neun von zehn Fällen würde ich sagen: Vollkommen zurecht. Was da so an Sexismus, Misogynie - vor allen Dingen im Musikbusiness - durchgewunken wurde! Wo man in den Neunzigern noch gesagt hat: „Ja Alter - Sex, Drugs and Rock n’roll!“ Das würde ja heute zurecht, spätestens seit #metoo, einfach nicht mehr klar gehen. Ich hatte damals schon ein gewisses Unbehagen bei diesen testosterongesteuerten New Metal Bands, die wir bei VIVA Zwei ja auch gespielt haben, wie Limp Bizkit oder die Bloodhound Gang.

Und der zehnte Fall?

Manche Dinge waren teilweise ganz bewusst polarisierend und da sind die Reflexe heute ganz andere. Wir haben uns die Zeit genommen, uns damit auseinanderzusetzen und auch mal zuzuhören. Und das fehlt mir in der in der heutigen Diskussionskultur manchmal. Es gibt in vielen Fällen nur noch schwarz und weiß, die Grautöne sind total verloren gegangen. Deswegen sage ich: In neun von zehn Fällen gehen Dinge nicht mehr, die damals gesagt und gemacht wurden. Aber genau diese 10 Prozent sind ein Verlust.

Wie haben Sie Köln in Ihrer VIVA-Zeit erlebt?

Es war gar kein Zufall, dass VIVA zu der Zeit in Köln entstanden ist. Das war eigentlich zu der Zeit der perfekte Ort, um einen deutschen Musikfernsehsender ins Leben zu rufen. Und als ich dahin gekommen bin, bin ich wirklich sofort eingetaucht. Die Clubszene in Köln war damals toll - wir haben da ständig im Underground gedreht oder der Live Music Hall. Ich habe sozusagen im Hinterhof der Live Music Hall gewohnt, in so einem alten Industrieloft. Und in Köln habe ich dann auch elektronische Musik und Techno richtig für mich entdeckt. Ich habe dann Ende der 90er auch in Köln angefangen als DJ elektronische Musik aufzulegen. Am Ende war ich nur drei Jahre in Köln, aber diese Jahre waren für mich so inspirierend und ereignisreich, dass ich heute noch davon zehre.


Markus Kavka, geboren 1967 in Ingolstadt, ist Journalist und Moderator. Nach Stationen beim Print und Radio startete er seine Musik-TV-Laufbahn 1995 bei VIVA. 1997 wechselte er zu VIVA ZWEI, von 2000-2009 war er Moderator und Producer bei MTV Germany. Nach weiteren Formaten bei Kabel Eins, ZDFkultur und Nitro ist er seit 2015 bei Deluxe Music zu sehen. Darüber hinaus ist er Radiomoderator, Buchautor, Podcaster und DJ.

"MTViva liebt dich!" (mit Elmar Giglinger), Ullstein, 528 Seiten, 21,99 Euro.

Am Montag, 30. Oktober, stellen Markus Kavka und Elmar Giglinger ihr Buch im Bumann & Sohn in Köln-Ehrenfeld vor. Die Veranstaltung ist ausverkauft.

Cover „MTViva liebt dich!“

Cover "MTViva liebt dich!"