Neue ARD-Serie„Eldorado KaDeWe“ ist mutig, freizügig und hochaktuell
Berlin – Das Berliner KaDeWe – das Kaufhaus des Westens – steht für Luxus und das Exquisite. Die Welt der Schönen und Reichen. Doch in den frühen 1920er-Jahren stapeln sich die Leichen in den Straßen der Hauptstadt, die Nachkriegsnot frisst sich dreckig, hungrig, verzweifelt durch die Stadt. Harry Jandorf (Joel Basmann) ist traumatisiert aus dem Ersten Weltkrieg zurückgekehrt. Verfolgt von dem blutverschmierten Geist seines Kameraden flüchtet er sich in die Arme der Prosituierten Erica (Christine Grant) und sucht Erlösung im Drogenrausch.
Kaputt wie der Kaufhaus-Erbe ist in der neuen ARD-Serie „Eldorado KaDeWe – Jetzt ist unsere Zeit“ auch der Konsumtempel selber. Die Handelsblockade und die Inflation machen den Geschäften zu schaffen. Gemeinsam mit seiner feministischen Schwester Fritzi (Lia von Blarer) und dem strebsamen Finanzchef Georg Karg (Damian Thüne) will Harry dem Kaufhaus zu neuem Glanz und Erfolg verhelfen. Die Geschwister fertigen einen neuen Katalog an: Im Zentrum stehen die Frauen. Denn der Krieg hat die männliche Bevölkerung drastisch dezimiert, Berlin zur „Stadt der Frauen“ gemacht.
Realität und Fiktion verschwimmen miteinander
Von dieser Ausgangslage aus, entwickelt Regisseurin Julia von Heinz ein sechsteiliges Serien-Epos über die „Roaring Twenties“, über Antisemitismus, Emanzipation und Homosexualität. Fritzi Jandorf ist kreativ, begabt, ehrgeizig – und eine Frau. Das Erbe des KaDeWe ist deshalb für ihren Bruder Harry vorherbestimmt, für ihre Tochter haben die Jandorfs eine lukrative Hochzeit vorgesehen. Nur der richtige Mann muss noch gefunden werden. Doch Fritzi will das Kaufhaus leiten und einen Ehemann will sie erst recht nicht: Sie ist lesbisch. Als sie einen Herrenanzug für sich kauft, lernt sie Hedi (Valerie Stoll) kennen, eine Verkäuferin aus einfachen Verhältnissen.
Die junge Frau ist das Gegenteil von Fritzi. Aus dem Proletariat stammend, ist sie gewitzt, weiß wie sie sich helfen kann und schreckt auch vor frivolen Mitteln nicht zurück. Im KaDeWe verdient sie sich ein paar Schachteln Zigaretten dazu, indem sie dem schmierigen Abteilungsleiter einen Blick auf ihre Brüste gewährt. Sie lässt sich auch gerne von reichen Kunden zum schicken Dinner ausführen, auch wenn sie weiß, dass dafür eine „Gegenleistung“ von ihr erwartet wird.
Doch für Hedi ist das alles nur Mittel zum Zweck. Zuhause wartet ihr depressiver Vater und ihre Schwester Mücke (Neele Buchholz), die das Down-Syndrom hat. Ihr Vater verdient kaum noch Geld und Hedi weiß: Bald muss sie widerwillig ihren Verlobten Rüdiger (Tonio Schneider) heiraten, damit Mücke und sie nicht auf der Straße landen. Die Verhältnisse mögen ihr zuwider sein, doch sie nimmt sie hin und sucht im KaDeWe eine Auszeit im Reich des Schönen. Bis sie Fritzi kennenlernt. Die beiden Frauen verlieben sich ineinander und müssen ihre Liebe gegen die Widrigkeiten ihrer Zeit verteidigen.
Aus antisemitischem Grundrauschen wird tödliche Realität
In der Serie verschwimmen immer wieder Realität und Fiktion miteinander. Während Harry und Adolf Jandorf historische Personen sind, sind Fritzi und Hedi frei erfunden. Ihre Probleme aber sind wiederum an das Historische angelehnt: Im Berlin der 20er-Jahre blühte das homosexuelle Leben. Gleichgeschlechtliche Paare erkämpften sich neue Freiräume, es gab etliche lesbische Nachtclubs. Einer davon, das „Eldorado“, ist auch in der Serie Ort für Diversität und Freiheit.
Doch die untergehende Weimarer Republik war auch ein Ort der Extreme und Umwälzungen. Nationalsozialsten und Antisemiten erstarkten und drängten emanzipatorische Kräfte zunehmend zurück. Die jüdische Familie Jandorf drohte Alles zu verlieren, als es plötzlich hieß: „Kauft nicht bei den Juden!“ Die Art, wie von Heinz den erstarkenden Nationalsozialismus behandelt, ist vielsagend. Zu Beginn der Serie erfährt der Zuschauer nur wie nebenbei, dass die Jandorfs jüdisch sind: Fritzis Kette mit einem zierlichen Davidstern-Anhänger baumelt einmal wie zufällig durchs Bild.
Das könnte Sie auch interessieren:
Doch im Verlauf der Folgen gewinnt der religiöse Background der Familie zunehmend an Bedeutung, bis sie zum Schluss, Anfang der 1930er-Jahre, nur noch auf ihr Jüdisch-Sein reduziert und aufgrunddessen abgelehnt werden. Aus dem antisemitischen Grundrauschen wird tödliche Realität. Den Jandorfs und vielen anderen bleibt nur noch eine Wahl: Flucht oder Verfolgung?
„Transitzonen“ schlagen den thematischen Bogen in die Gegenwart
Interessant ist auch, wie sich ständig das zeitgenössische Berlin in die Kulisse der Serie mischt: Da taucht aufeinmal der Fernsehturm am Horizont auf, über die Straße rollen moderne Autos, mit einer „Homosexualität ist heilbar“-Broschüre fährt Fritzi mit einer heutigen Straßenbahn durch Berlin. Von Heinz nennt diese Zeitschmelzen „Transitzonen“: Sie sollen die Aktualität des Erzählten widerspiegeln. „Es weht durch die ganze Historie / ein Zug der Emanzipation“, singt passenderweise die Kabarettsängerin Claire Waldoff im Klub Eldorado. „Die 1920er Jahre haben mich dahingehend interessiert, was sie mit den 2020er-Jahren gemeinsam haben: Antisemitismus, LGBTQIA- und Frauenrechte, Obdachlosigkeit und eine fragile Demokratie beschäftigen uns auch heute“, so die Regisseurin.
Dass das Thema Homosexualität noch immer gesellschaftlich marginalisiert wird, zeigt auch die Ablehnung einiger Regionalzeitungen und einer nicht genannten TV-Zeitschrift, die Serie „Eldorado KaDeWe“ überhaupt zu besprechen. Die Serie sei eine „Zumutung“, sei ihr mitgeteilt worden, schreibt Julia von Heinz auf Instagram.
Tatsächlich verlässt die ARD mit der Serie ihre Komfortzone: So explizit und sinnlich wurde lesbischer Sex wohl noch nie im öffentlich-rechtlichen Fernsehen gezeigt. Dass die ARD die Serie zeigt ist daher mutig und richtig. „Eldorado KaDeWe“ ist nicht nur thematisch hochrelevant, sondern auch fantastisch umgesetzt und toll gespielt.
Gezeigt werden die sechs Folgen in einem Serienmarathon am 27. Dezember 2021 von 20.15 Uhr bis 1.30 Uhr.