Die ARD-Intendanten Tom Buhrow und Kai Gniffke wollen Sender abschalten, Stellen streichen und vor allem ins Digitale investieren. Sie rechnen deswegen mit massiven Konflikten.
ARD-ReformBuhrow und Gniffke wollen „Jaulen“ und „Quieken“ aushalten
Es dürfe keine Tabus bei der Reform von ARD und ZDF mehr geben, hatte WDR-Intendant Tom Buhrow bei seiner bereits legendären Rede vor dem Überseeclub in Hamburg gesagt. Andernfalls drohe der öffentlich-rechtliche Rundfunk immer mehr Rückhalt in der Bevölkerung zu verlieren. Konkrete Reformvorschläge delegierte Buhrow allerdings an einen noch zu bildenden Runden Tisch – und damit in eine unbestimmte Zukunft.
Der Rolle des Mahners blieb Buhrow auch im aktuellen Interview treu, das er dem „Spiegel“ gemeinsam mit dem designierten ARD-Vorsitzenden Kai Gniffke gab – und überließ es Gniffke, an die angeblichen Tabus zu rühren. „Die ARD braucht ein Update“, sagte der SWR-Intendant, und kündigte an, dass die ARD im Jahr 2023 einen linearen Kanal einstellen wolle. „Ich weiß jetzt schon, dass die Betroffenen jaulen und quieken werden, um das zu verhindern. Aber wir werden diese Konflikte aushalten.“
Während die Wortwahl verwundert, dürften die Update-Kandidaten die wenigsten Experten überraschen. Offenbar ist innerhalb der ARD beschlossene Sache, dass der Spartenkanal One im linearen Fernsehen abgeschaltet und nur noch digital ausgespielt wird. Ebenfalls im Gespräch ist ARD alpha, bei 3sat, einer länderübergreifenden Kooperation mit ORF und SRF, sprach Buhrow von einer möglichen „Flexibilisierung“. Im gesamten ARD-Verbund, so Gniffke, gehe es darum, Kompetenzen zu bündeln. „Lasst uns bitte nicht neun Podcasts zum Thema Klimawandel produzieren, sondern einen einzigen, der eine konkurrenzlose Recherchetiefe besitzt.“ Auch müsse zukünftig nicht jeder Sender 24 Stunden am Tag eine eigene Kulturwelle betreiben.
Buhrow ordnete solche „Bündelungen“ als Arbeitsentlastung der Belegschaft ein: „Es gab diese extreme Arbeitsverdichtung, es wurde an allen Enden gespart. Jetzt müssen wir konsequent entscheiden, was wir weglassen.“ Zugleich gestand er ein, dass es in der Belegschaft weiterhin „rumore“ und die ARD-Reform Arbeitsplätze kosten werde. „Wenn man weniger produziert, braucht es weniger Mitarbeiter.“ Eine Alternative zum Schrumpfkurs sieht Buhrow gleichwohl nicht: „Man kann sich nicht ewig darauf verlassen, dass man beim Bundesverfassungsgericht durchsetzen kann, was politisch keine Mehrheit hat.“
Beide Intendanten kündigten eine Erweiterung des digitalen Angebots an. „Wenn wir unsere Abrufe addieren, sind wir heute schon locker auf Augenhöhe mit Amazon“, sagte Gniffke. „Deshalb werden wir massiv den digitalen Bereich ausbauen – und beim klassischen Fernsehen weniger Aufwand betreiben.“ Er habe keinerlei Hoffnung, dass sich durch eine Veränderung des linearen Programms das Publikum verjüngen lasse, so Gniffke weiter. „Die Generation meiner Kinder wird das nicht mehr schauen. Wenn die was geil finden, holen die sich das aus der Mediathek.“ Und für die Älteren gebe es dann eben mehr Wiederholungen.
Für Gniffke lautet die zentrale Frage: „Wo findet künftig die Meinungsbildung statt? Bei Amazon und TikTok und Spotify? Oder auf einer deutschen Plattform? Ich möchte, dass wir dieser mediale Marktplatz werden. Uns geht es um die Zukunft des Journalismus.“ Als Einstieg in diese Zukunft soll in der ARD-Mediathek eine Kommentarfunktion eingeführt werden. Aller Anfang ist eben schwer.