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Doku über ReichsbürgerTV-Premiere zeigt, wie gefährlich sie sein können

Lesezeit 4 Minuten
Berlin: Teilnehmer einer Kundgebung gegen die Corona-Maßnahmen stehen auf den Stufen zum Reichstagsgebäude, zahlreiche Reichsflaggen sind zu sehen.

Teilnehmer einer Kundgebung gegen die Corona-Maßnahmen stehen auf den Stufen zum Reichstagsgebäude.

Mit „Reichsbürger - Innenansichten einer extremistischen Bewegung“ zeigt Rainer Fromm, welches Ausmaß die bisweilen immer noch nicht ernst genommenen Gruppierungen haben - und welche Gefahren mittlerweile von ihnen ausgehen.

Der Anti-Satan sitzt entspannt vorm weißen Konzertflügel. „Das System ist satanisch ausgerichtet“, schwadroniert Peter Fitzek, wobei nicht ganz klar wird, was er damit meint. Eins ist aber klar: Für Fitzek muss Deutschland, und damit sind diese Bundesrepublik und ihr freiheitlich-demokratisches System gemeint, weg.

Aus seiner Sicht sind sie es längst. Schließlich ist Fitzek seit 2012 selbst ernannter König von Deutschland. Und auch wenn er und manche seiner Mitstreiter vom Aussehen her glatt als Rio-Reiser-Fans durchgehen könnten, ist dabei nicht der kleinste Hauch von Ironie im Spiel.

Arte-Doku gibt Einblick in die Reichsbürger-Bewegung

Obwohl, und das zeigt Rainer Fromms Bestandsaufnahme in Sachen „Königreich Deutschland“ überdeutlich, hier eigentlich alles aberwitzig ist. Arte gibt mit „Reichsbürger - Innenansichten einer extremistischen Bewegung“ am 29. August um 21.45 Uhr einen so erschreckenden wie gut konsumierbaren Hinweis, wie weit die bis vor kurzem kaum ernst genommenen „Staatsverweigerer“ gekommen sind.

Da war Anfang 2023 der Umsturzversuch des Prinzen Reuß, der seit Jahren so diskret wie einschlägig unterwegs war und auf russische Unterstützung hoffte - auch mit Waffen. Kein Wolkenkuckucksheim, sondern wie Fromm belegt mit Kontakten bis zum russischen Außenminister und Regierungssprecher. Da sind die immer weitere Kreise ziehenden Aktionen von Fitzek und seinen Unterstützern, die bevorzugt ländliche Immobilien aufkaufen und zu „Gemeinwohldörfern“ auf ihrem vermeintlich souveränen Staatsgebiet erklären.

Rainer Fromm schon seit Jahrzehnten in der rechten Szene unterwegs

Fromm, der seit Jahrzehnten in der rechten Szene unterwegs ist, zeigt, welchen Zulauf die Bewegung aktuell hat und wie deutlich rechtsextrem ihre entscheidenden Protagonisten sind. Die zu sehenden Bilder sind verstörend, denn nur selten sind hier Klischee-Rechte mit entsprechender Staffage am Werk. Vielmehr werden Veranstaltungen gezeigt, mal mit, mal ohne Fitzek, bei denen immer mehr teils mild bis schwer esoterisch angehauchte Unternehmen mitmachen und ein Bild abgeben, wie es auch im Umfeld von linken Initiativen oder Kirchentagen denkbar wäre.

ARTE

Reichsbürger - Innenansichten einer extremistischen Bewegung - Die ganze Doku | ARTE

Die Menschen kommen aus allen Bereichen - aber die alte Gleichung „gutbürgerliche Sozialisation bedeutet eine geringere Risikobehaftung bei Gewalt“ gilt nicht mehr, wie es im Film der Psychologe Martin Rettenberger formuliert. Seit 2016 interessieren sich auch die Geheimdienste intensiver für die Reichsbürger, hier entstehe „aus dem Innern der bürgerlichen Gesellschaft eine staatsfeindliche Bewegung“, so Thomas Haldenwang, Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz.

„Reichsbürger - Innenansichten einer extremistischen Bewegung“ will aufklären

Entsteht? Gegründet haben sich die Reichsbürger 1975, und schon 1997 konnte man sie in Thomas Frickels großartig-bizarrer Deutschland-Analyse „Deckname Dennis“ in Görlitz am Neiße-Ufer großdeutsche Töne spucken und mit ihren eigenen Ausweisen und Pässen fuchteln sehen. Frickel hatte damals solche extremen Sentenzen mit denen rechtskonservativer Persönlichkeiten von Demoskopie-Urmutter und Helmut-Kohl-Beraterin Elisabeth Noelle-Neumann bis zu Berlins ehemaligem Rechtsaußen-Innensenator Heinrich Lummer (CDU) kombiniert. Doch solche Verbindungslinien wurden lange, zu lange ignoriert.

Fromms Film will aufklären, nicht subtil, sondern leicht konsumierbar, weshalb - für Großdokumentaristen natürlich igittigitt - ein musikalischer Klangteppich unter dem ganzen Geschehen liegt und bei den Schlussfolgerungen vom Off-Kommentar kräftig nachgeholfen wird. Gleichwohl gibt der Film den Reichsbürgern auch eine Plattform und letztlich aus ihrer Sicht ein gewisses Renommee, weshalb von Fitzek über den ehemaligen Sarah-Wagenknecht-Gatten und erfolglosen Bundestagskandidaten Ralph Thomas Niemeyer bis zu Rüdiger Hoffmann von staatenlos.info alle bereitwillig vor der Kamera dabei sind.

Und auch mit den Innenansichten ist es so eine Sache. Fromm schaut genauer hin und geht weiter, als viele andere vor ihm. Aber alle, die ihm hier Auskunft geben, tun das im klaren Bewusstsein, sich quasi werblich an ihre Anhänger zu wenden - und gleichzeitig kämpferisch an die Welt, die sie nach ihrer Auffassung schon verlassen haben.

Die Skurrilität der Aussagen sollte eine Warnung sein

Doch aus diesem Dilemma gibt es kein Zurück, weder für den Staat noch für die Medien. Fromm bringt das angesichts eines Demo-Auftritts mit Hoffmann vor dem Berliner Reichstag auf den Punkt: „Da nutzt eine rechtsextreme Organisation aus dem Reichsbürger-Milieu unter Aufsicht des Staates die Versammlungsfreiheit, um gegen das demokratische Deutschland zu hetzen.“

Und das sollte besser endlich ernst genommen werden, auch wenn wie in Frickels Film auch heute viele Reichsbürger weiter entsetzlichen Unsinn erzählen. Von der „konstitutionellen Wahlmonarchie, angelehnt an eine Räterepublik“ zum Beispiel, die als Staatsform angestrebt wird, oder der „angloamerikanischen, satanistisch-dämonischen Besatzung“, die Deutschland angeblich unterjocht. Doch wie die Rechtsextremismus-Expertin Katharina Nocun sagt und ein Blick zu Trump und QAnon in den USA zeigt: „Wir müssen uns klar machen, dass die gefährlichsten rechtsextremen Attentäter der letzten Jahren vollkommenen Quatsch geglaubt haben.“ (kna)

„Reichsbürger - Innenansichten einer extremistischen Bewegung“, Dienstag, 29. August, 21.45 - 22.40 Uhr, Arte (TV-Erstausstrahlung).