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Arte-Doku zu AusgrabungenIst die Pizza in Pompeji erfunden worden?

Lesezeit 4 Minuten
Fast zwei Jahre lang begleitete das Filmteam die Archäologen bei ihrer Arbeit und erhielt exklusiven Zugang zur Ausgrabungsstätte in Pompeji.

Ist das eine Pizza? Die Restauratorin Roberta Prisco legt in Pompeji ein Fresko frei.

Eine dreiteilige Doku auf Arte lässt die Zuschauer zu Zeugen von neuen Entdeckungen in Pompeji werden.

Knapp 2000 Jahre hat das Fresko in der Südwestecke eines großen Atriums unter einer Schicht aus Vulkanasche und Bimsstein seiner Entdeckung geharrt. Als die Restauratorin Roberta Prisco das Stillleben freilegt, traut sie ihren Augen kaum: Ein silbernes Tablett kommt zum Vorschein, darauf angerichtet diverses Obst, ein Kelch Wein und runder Brotfladen, belegt mit … Moment mal … ist das eine Pizza?

Gabriel Zuchtriegel, der eilig hinzugeholte deutsche Direktor des Archäologischen Parks von Pompeji, bestätigt: „Sieht aus wie eine Pizza Napolitano, oder?“ Und in der dreiteiligen BBC-Dokumentation „Pompeji: Geschichte einer Katastrophe“ sinniert er weiter: „Ein Arme-Leute-Essen als Teil einer aufwendigen Dekoration.“

Im vergangenen Sommer besuchten vier Millionen Touristen Pompeji

Zur neapolitanischen Pizza gehören streng genommen Tomaten und Mozzarella. Erstere wurden Anfang des 16. Jahrhunderts durch den spanischen Konquistador Hernán Cortés nach Europa importiert, und auch Mozzarella stellte man unterm Vesuv erst her, als Pompeji längst untergegangen war. Aber es geht ja gar nicht darum, die Geschichte des italienischen Nationalgerichts neu zu schreiben – sondern um eben jenen Moment der Verblüffung, wenn Jahrhunderte menschlicher Geschichte wie weggefegt erscheinen und man sich inmitten des Alltags der römischen Antike wiederfindet.

Die Sehnsucht nach diesem beinah immersiven Erleben ferner Vergangenheit hat allein im vergangenen Sommer vier Millionen Besucher nach Pompeji gelockt, ein Rekord. Längst bedrohen der Massentourismus die Integrität der Ausgrabungsstätte. Ab dem kommenden Wochenende wird der Archäologiepark deshalb ein Besucher-Limit einführen, die Zahl der Touristen künftig auf immer noch stolze 20.000 pro Tag begrenzen.

Archäologie, so spannend wie Indiana-Jones-Filme

Man kann sich fürs Erste durchaus mit der BBC-Dokumentationsreihe begnügen. Sie ist noch bis Ende Mai 2025 in der Arte-Mediathek abrufbar und zeigt zuvor Verschüttetes, das der Besucher vor Ort noch nicht zu sehen bekommt, oft im Moment seiner Entdeckung. Regisseurin Elena Mortelliti hat ein italienisches Team fast zwei Jahre lang begleitet, das einen bislang unerforschten Häuserblock im Norden der Ruinenstadt freilegt. Es ist größte Ausgrabung seit einer Generation, rund ein Drittel des 66 Hektar großen Geländes von Pompeji bleibt noch zu erschließen.

Archäologie, so spannend wie es uns die Indiana-Jones-Filme versprochen haben: Wir gucken der „Leichenspezialistin“ Valeria Amoretti über die Schulter, die vorsichtig die zerbrochenen Rippenkäfige dreier Opfer des Vesuvausbruchs im Jahr 79 nach Christus von Vulkanasche mit kleinen Pinseln abstaubt, im Moment ihres Todes für die Ewigkeit konserviert.

Vermutlich, schätzt Amoretti, handele es sich bei den Toten um zwei Sklavinnen, die in einer Großbäckerei gearbeitet haben, und ein kleines Kind, alle erdrückt von der Decke des Gebäudes, als die unter der Last des ausgespienen Materials zusammenbrach. Den reichen Besitzern der Bäckerei – es ist eine von 40, die bis heute in Pompeji gefunden wurden – mit denen die Ausgebeuteten Wand an Wand gelebt haben, erging es nicht besser.

Ein Vulkanausbruch, heißt es an einer Stelle der Dokumentation, sei eben demokratisch. Gleichzeitig räumt die Reihe mit der falschen Vorstellung auf, die Einwohner der Stadt seien, vom Ausbruch des Vesuvs überrascht, allesamt binnen weniger Augenblicke gestorben.

Die Wahrheit ist eher noch dramatischer: Viele fanden zuerst Schutz in ihren Häusern, doch der 18-stündige Gesteinshagel aus dem Vulkan – die Aschesäule ragte 32 Kilometer in den Himmel – brachte diese schließlich zum Einsturz. Wer dennoch überlebt hatte, erzählt der Vulkanologe Chris Jackson, wurde höchstwahrscheinlich Opfer der folgenden pyroklastischen Ströme, die sich mit bis zu 700 Kilometern pro Stunde ins Tal ergossen, oder ihrer giftigen Dämpfe.

Die Dokumentation folgt auch dem Grabinschrift-Experten Steven Tuck bei seiner Suche nach Überlebenden der Katastrophe. In 300 Jahren Ausgrabungsgeschichte wurden nur die sterblichen Überreste von rund 1200 Toten gefunden. Tuck aber glaubt, dass 30.000 Menschen in der Stadt gelebt haben und etliche Bewohner in Richtung Neapel flüchten konnten: Die Nachfahren der Pompejaner sind noch unter uns, vielleicht, wer weiß, haben einige von ihnen die Pizza erfunden. „Die Vergangenheit“, schreibt William Faulkner, „ist niemals tot. Sie ist nicht einmal vergangen.“

„Pompeji: Geschichte einer Katastrophe“, drei Folgen, Arte Mediathek