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„Artist at Work“ in KolumbaDen Seinen gibt es der Herr im Schlaf

Lesezeit 5 Minuten
Eine Muttergottes hält das Christuskind und einen Apfel.

Figuren der Muttergottes in der neuen Ausstellung „Artist at Work“ im Kölner Museum Kolumba

Das Kölner Museum Kolumba widmet sich der Frage, was Künstler eigentlich tun und wie sich was das von Arbeit unterscheidet.

Man könnte es für einen surrealistischen Witz halten, denn den Malern des Unbewussten gab es der liebe Gott bekanntlich mit Vorliebe im Schlaf. Aber Mladen Stilinović hoffte nicht auf die Eingebung wilder Träume, als er sich 1978 für seine Aktion „Artist at Work“ zu Bett legte. Er wollte vielmehr gegen die Vorstellung protestieren, auch die Kunst sei Teil dessen, was früher mal die Produktionssphäre hieß. Eifrige Staatskünstler waren dem Jugoslawen ebenso ein Graus wie Maler, die sich im Atelier als hart arbeitende Blaumänner mit genialen Momenten inszenierten.

Später schrieb Stilinović ein „Lob der Faulheit“ und erhob das Nichtstun zur letzten Bastion gegen das kapitalistische Arbeitsdiktat. Bei ihm ist nur der untätige Künstler autonom und das moderne Ideal des zweckfreien Kunstwerks erst erreicht, wenn sich das Kunstwerk weigert, zu entstehen. So schön dies alles klingt, am Ende verfing sich auch Stilinović in der Logik der Warenproduktion. Er hinterließ eine achtteilige Fotoserie, die seinen Protestschlaf dokumentiert und jetzt als Kunst gewordener Selbstwiderspruch im Kölner Kolumba hängt.

Als Künstler produziert man eben Kunst, selbst wenn man sich dagegen wehrt

Als Künstler produziert man eben Kunst, selbst wenn man sich dagegen wehrt. Das könnte man tragisch finden, hätte sich Stilinović mit seiner Arbeitsverweigerung in den Kunstranglisten nicht so weit nach oben geschlafen. Die Kuratoren von Kolumba leihen sich sogar den Titel seiner Fotoserie für ihre neue Jahresausstellung von ihm: Mit „Artist at Work“ fragen sie, wie Künstler arbeiten und was Arbeit künstlerisch macht. Jede Antwort führt einen unweigerlich in das schönste Schlammassel, denn natürlich arbeiten gerade moderne Künstler emsig daran, die Grenze zwischen den Produktionssphären zu verwischen.

Gleich im Foyer haben Stefan Kraus und sein Team zwei herausragende Beispiele für die gedanklichen Fallstricke der modernen Kunstproduktion platziert. An der Wand hängt eine Skulptur von René Zäch, die an ein großes technisches Bedienelement erinnert, aber weder über Schalter noch Knöpfe verfügt. Der ausgebildete Tiefbauingenieur schuf Kunst, indem er die Arbeitswelt ihrer Funktionen entkleidete und maschinelle Oberflächen auf Hochglanz polierte.

Bei Eric Hattan wird sogar das bloße Betrachten eines Arbeiters zur Kunst: Hattan ließ die Kamera laufen, als unter seinem Atelierfenster ein Müllfahrer damit kämpfte, zu viel Sperrmüll auf eine zu kleine Pritsche zu bugsieren. Es ist eine 22-minütige Slapstick-Einlage, die der Künstler lediglich dadurch aufwertet, dass er sie zwischen Ikea-Paketen ausstellt; verpackte Möbel werden bei Hattan zu Mobiliar.

Lange dünne Stelen stehen in einem weißen Raum.

Stelen der Kölner Künstlerin Inge Schmidt in der Kolumba-Ausstellung

Im Mittelalter hatten die Künstler noch andere Sorgen – sie mussten erst einmal ein künstlerisches Selbstverständnis entwickeln und der skeptischen Welt erklären, dass sie mehr als bloße Handwerker waren. Der Kölner Dombaumeister Konrad Kuyn stellte auf einem nach 1445 geschaffenen Epitaph vier christliche Steinmetze der Antike dar, die als Märtyrer starben, weil sie sich geweigert hatten, Götterstatuen anzufertigen. Allerdings kleidete er die Patrone des Baugewerbes wie Vertreter der akademischen Oberschicht, um ihre Gelehrsamkeit zu betonen. Die „Vier Gekrönten“ aus Sandstein wirken in ihren Gewändern eher wie Baukünstler; dass sie ihre Werkzeuge größtenteils verloren haben, passt zum Selbstbild innerhalb der mittelalterlichen Bauhütten. Anders als es das hartnäckige Klischee will, ist der moderne Künstler keine Erfindung der Renaissance.

Wie man es von den Kolumba-Ausstellungen gewohnt ist, bewegt man sich auch in „Artist at Work“ zwischen den Zeiten und zwischen alter christlicher und (in der Regel) säkularer moderner Kunst; das Haus bewahrt und mehrt die Kunstsammlung des Kölner Erzbistums. Aber für die Kuratoren hat selbst ein im Vatikan wohl schwer vermittelbarer Holzlatten-Künstler wie Georg Herold seelsorgerische Qualitäten, weil er sich den existenziellen Fragen des Lebens und der Künste stellt. Herolds Skulptur „Eimer neben Sockel“ geht tatsächlich ans Eingemachte: Auf dem Sockel der Kunst steht nichts (das spirituelle Zentrum bleibt leer), und der Wischeimer steht allenfalls für den profaneren Teil der Arbeitswelt. So entsteht aus der Dekonstruktion des klassischen Kunstbegriffs neue Kunst. Und vielleicht sogar ein Werk, das uns ahnen lässt, was wir mit der alten Glaubensgewissheit verloren haben.

Mitunter wirken die Jahresausstellungen von Kolumba wie eine andere Kunstgeschichte

Auch die Mischung von bekannten und unbekannten Künstlern ist man von Kolumba mittlerweile gewohnt. Für „Artist at Work“ zeigen die Kuratoren Arbeiten von Marcel Odenbach, Konrad Klapheck, Jannis Kounellis, August Macke, John Cage, Alexej von Jawlensky und Robert Filliou – lauter Namen, die einem auch im Museum Ludwig begegnen oder begegnen könnten. Aber gleichzeitig verschaffen sie einer „Außenseiterin“ wie Susanne Kümpel einen großen Auftritt, und sie hängen eine „naive“ Paradiesszene von Adalbert Trillhaase inmitten mittelalterlicher Muttergottesskulpturen. Mitunter wirken die Jahresausstellungen von Kolumba wie eine andere Kunstgeschichte. Sie führen uns an die Ränder des Bekannten, dorthin, wo die Kuratoren eine glühende Ernsthaftigkeit erkennen.

Auch die Werke Inge Schmidts findet man sonst eher in kleineren Häusern wie der Villa Zanders in Bergisch Gladbach. Das Kolumba hat der Kölner Künstlerin das Ausstellungsfinale reserviert: Unter einer hohen Turmdecke hängen anrührende Müllobjekte an der Wand, und Schmidts spindeldürre Stelen stehen wie Schilfrohre im gedachten Wind (gleich neben einem drachentötenden Heiligen Georg von August Macke). Auf einem Video sieht man, wie Schmidt in einer Atelierecke sitzt und um sich herum eine Höhle aus Holzplatten baut. Es ist ein Sinnbild des Sich-Verkriechens in der eigenen Kunst, aber man versteht auch, wie wacklig diese Konstruktion ist. Vielleicht ist dies der gemeinsame Nenner einer auf höchstem Niveau disparaten Ausstellung: Als Künstler zu arbeiten, heißt, sich schutzlos zu fühlen. Und zu wissen, dass es nicht anders geht.


„Artist at Work“, Kolumba, Kunstmuseum des Erzbistums Kölns, Kolumbastr. 4, Köln, Mi.-Mo. 12-17 Uhr, 15. September 2024 bis 14. August 2025