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Jahresausstellung in KolumbaIm Anfang war das Wort, aber wer hört noch zu?

Lesezeit 5 Minuten
Zwei Bilder mit Kreuzen hängen neben einem Fenster, durch das der Kölner Dom zu sehen ist.

Andy Warhols „Crosses“ in Kolumba in Köln. Die aktuelle Jahresausstellung heißt „Wort, Schrift, Zeichen“.

Das Kölner Kunstmuseum Kolumba erkundet das Verhältnis von Wort und Bild, Religion und Kunst in einer sehenswerten, leicht blasphemischen Ausstellung.

Im Anfang war bekanntlich das Wort, das ein großer Gott gelassen aussprach. Mit der Lesbarkeit der Welt ist es trotzdem nicht weit her, was vielleicht an der babylonischen Verwirrung liegt, vielleicht aber auch an der Unfähigkeit der ersten beiden Menschen, die einfachsten Regeln zu befolgen. So kommt es, dass die Bibel und die darin beschriebene Schöpfung mehr Auslegungen als Bücher kennt und zum Paradiesgarten für Maler und andere Fantasten wurde.

Auch die neue Jahresausstellung in Kolumba dreht die Uhr nicht an den Anfang zurück, obwohl ihr Titel „Wort, Schrift, Zeichen“ die Ursprünge unseres Weltverständnisses immerhin beschwört. Aber selbst im Kunstmuseum des Kölner Erzbistums zucken die bibelfesten Kuratoren bei der Lektüre des Johannesevangeliums nur ratlos mit den Schultern und stellen uns zum Auftakt statt religiöser Erleuchtung lieber ein Alphabet der modernen Produktwelt in den Weg. Im Kolumbafoyer hat von der Schreibmaschine ABC bis zur Zanzibar-Espressokanne alles seinen Namen, doch warum etwa eine Wandwaage Jupiter 5000 heißt, weiß allein der zu Späßen aufgelegte Vermarktungsgott.

Unser Verständnis von Zeichen wandelt sich mit dem kulturellen Kontext

Auf der Himmelsleiter in den zweiten Stock leuchtet einem dann eine geradezu lästerliche Umdeutung der katholischen Verhältnisse den Weg. Anstelle des Gottessohns lässt Conrad Felixmüller auf seiner Schwarzweiß-Lithografie die ermordeten Revolutionsführer Liebknecht und Luxemburg auferstehen, die Verherrlichung führt sie am himmlischen Paradies vorbei direkt in die klassenlose Gesellschaft. Gleich darunter verzieren zwei altägyptische Wirbel den Boden, ein altes Glückssymbol, das die Nazis zum mörderischen Hakenkreuz umdeuteten, und an der Wand dahinter prangt ein „Z“, das Dorothee von Windhelm vor bald 50 Jahren auf Mauerputz abgenommen hat.

Für Kolumba-Leiter Stefan Kraus sind dies Beispiele dafür, wie sich unser Verständnis von Zeichen und Symbolen mit dem kulturellen Kontext wandelt; heute denke man beim „Z“ unweigerlich an den russischen Krieg in der Ukraine. Selbst ein Fels wie der katholische Glaube bleibt davon nicht unberührt, und so haben die Kuratoren noch einen unverwechselbaren Christusknaben in diese Schreckenskammer der Vieldeutigkeit gehängt. Auf rührende Weise zeigt er auf den Himmel und auf das Monogramm seines Namens, das ihm praktischerweise auf der Brust geschrieben steht.

Werke von Rebecca Horn und Rune Mields in der aktuellen Jahresausstellung von Kolumba in Köln

Rebecca Horns „Blindenstab“ vor Rune Mields „Steinzeitgeometrie“

Wie man es von den Kolumba-Kuratoren kennt und erwarten kann, ziehen sie zwischen den mittelalterlichen und zeitgenössischen Objekten ihrer Sammlung schlüssige Verbindungen. Auf eine Weltchronik mit der illustrierten Schöpfungsgeschichte und eine Schutzmantelmadonna, die mit dem Jesuskind das Fleisch gewordene Wort umsorgt, antwortet eine Bilderserie von Dieter Krieg, auf der dieser die menschliche Verletzlichkeit mit drastischen Strichen festhält. „Jesus kocht“ steht neben einer Blutwurst, was man durchaus als Anspielung auf die im selben Raum gezeigte Monstranz für geweihte Hostien begreifen darf. Aus dem „Christuscracker“ wird bei Krieg die Heiligkeit im Schweinedarm.

Ungleich feinfühliger ist die Litanei, die Rune Mields mit ihrem Gemälde „Über die Farbe – blau“ anstimmt. Auf einer großen Leinwand reiht sie Weiß auf Schwarz die verschiedenen Namen für Blau in schier endloser Folge aneinander – ein schönes Beispiel dafür, wie leicht sich das Verhältnis von Bild und Schrift in der Malerei umkehren lässt. Auf einer mittelalterlichen Samtstickerei hatte der Erzengel Gabriel lediglich ein Spruchband aus seinem Jagdhorn gepresst, um gleich darauf ein Einhorn mit seinen Hunden in den Schoß der Jungfrau Maria zu treiben.

Andy Warhols „Crosses“ erscheinen wie eine Entschlackungskur

Von der Schwierigkeit, Zeichen zu deuten und Schriften zu verstehen, handelt das zentrale Werk der Ausstellung: Rebecca Horns mechanischer „Blindenstab“, der im großen Schauraum zum Sinnbild einer tastenden, hilflosen, mitunter auch aggressiven Verständnissuche wird. Man könnte diese Berufung auf ein zeichentheoretisches Analphabetentum für eine Ausflucht der Kuratoren halten, was man ihnen bei der Dimension des selbstauferlegten Themas nicht einmal verdenken würde. Andererseits ist, wenn Worte nicht weiter helfen, auf die vielsagende Uneindeutigkeit der Kunst seit jeher Verlass.

Horns Blinden- wird so zum Zeigestab, etwa auf Rune Mields Suche nach geometrischen Formen in der steinzeitlichen Höhlenmalerei oder auf die reduzierten, die Dinge allenfalls umschreibenden Zeichnungen von Monika Bartholomé. Selbst ein Vortragekreuz wird in dieser Gesellschaft zum Zeichen, dessen Bedeutung immer wieder neu zu befragen und zu entdecken ist – die Entleerung der Kreuzsymbolik auf Andy Warhols „Crosses“-Siebdrucken erscheint wie eine Entschlackungskur.

Eine sprechende Zeichensymbolik fand Anna Blume für ihre „Kölner Hausfrauen“ aus den Jahren 1979 bis 1982. Auf den fotorealistisch gezeichneten Porträts älterer, durchweg korpulenter Frauen fallen einem unweigerlich die grob gemusterten Kleider und Badeanzüge auf. Man könnte diese nach heimlichen Schnappschüssen entstandenen Bilder für gehässig halten, doch Blume entdeckt in den modischen Mustern eine aufgezwungene Gleichförmigkeit, die für deren „Opfer“ einnimmt.

Im Finale der Jahresausstellung steht man vor Felix Droeses riesigen Papierschnitten, die mittelalterliche Kriegs- und Gewaltszenen zu zitieren scheinen. So ganz geben sie ihr Geheimnis nicht preis, jedenfalls im Vergleich zum „Jüngsten Gericht“, das der Meister der Ursulalegende um 1500 über die Kölner kommen ließ. Während die Frommen auf Wolken schweben, gehen die Verdammten den Gang ins Höllenfeuer. Aber wer maßt sich heute an, die einen von den anderen zu scheiden? Gut und Böse sind auch nur Worte, über deren Sinn sich streiten lässt.


„Wort, Schrift, Zeichen. Das Alphabet der Kunst“, Kolumba, Kolumbastr. 4, Köln, Mi.-Mo. 12-17 Uhr, 15. September 2023 bis 14. August 2024