Eine adventliche LED-Lichterkette an seinem Gartenhaus bringt den Astrophysiker Heino Falcke ins Nachdenken.
Astrophysiker Heino FalckeVom Glück der kleinen Lichter
Jedes Jahr im Advent stapfe ich mit einer kleinen Leiter in den Garten und schmücke unser schlichtes, weißes Gartenhaus mit einem dünnen Draht, an dem Hunderte kleiner LED-Lämpchen hängen. Etwas adventlicher Lichterschmuck muss selbst bei uns nüchternen Protestanten sein.
Gespeist wird dieses Wunder der Technik übrigens von einem nur handtellergroßen Solarmodul, und jedes Mal ist der Wissenschaftler in mir überrascht, wie wenig Energie ausreicht, um wohliges Licht in das winterliche Dunkel unseres Gartens zu bringen. Die Energie der Leuchtkette kommt von einem einzelnen Stern, der 150 Millionen Kilometer oder acht Lichtminuten von uns entfernt ist: der Sonne.
Unwillkürlich musste ich an die vielen anderen Sonnen denken, die nur noch kleine Lichter am Nachthimmel sind. Allerdings können wir sie kaum noch sehen – nicht nur, weil der Himmel gerne grau und bewölkt ist, sondern weil die vielen künstlichen Lichter unserer Häuser und Städte die kleinen Himmelslichter überstrahlen. Es kann auch zu viel des Guten sein.
Oft reicht nämlich schon wenig Licht aus, um Menschen glücklich zu machen. Das gilt auf jeden Fall für Astronomen. In diesem Jahr hat die Europäische Raumfahrtbehörde ESA das Weltraumteleskop Euclid ins All geschossen. Es ist zwar etwas kleiner als sein großer Bruder, das James-Webb-Teleskop, aber es kann einen großen Teil des Himmels durchforsten, um eine Fülle von Galaxien in kurzer Zeit abzubilden. Wir erhoffen uns davon neue Einsichten zur Struktur des Universums und zur Natur von dunkler Energie und dunkler Materie.
Als die ersten Bilder veröffentlicht wurden, brach bei den beteiligten Kollegen erleichterter Jubel aus. Nach jahrelangem Warten und Bangen sah man, wie es auf den Bildern nur so von fernen Milchstraßen wimmelte. Jede einzelne umfasste wiederum Hunderte Milliarden von Sonnen. Das Licht dieser Sterne hatte einen irrsinnig langen Weg zurückgelegt, bevor wir es sehen konnten. Manche Lichtstrahlen waren fünf oder sogar 10 Milliarden Jahre unterwegs gewesen, bis sie im Dunkel des Alls von dem 1,20 Meter durchmessenden Teleskop kurz vor unserer Erde eingesammelt wurden. Nach dieser Monsterreise ist das helle Strahlen dieser mächtigen Galaxien nur noch als schwacher Fleck auf dem großen Kamerabild zu sehen.
Beim Anschauen meiner Lichterkette wurde mir bewusst, wie unfassbar schwach doch dieses Leuchten ist. Ich müsste mit Euclid über eine Million Jahre das Licht einer solchen fernen Galaxie sammeln, um auch nur ein einziges meiner kleinen Lämpchen für eine Sekunde leuchten zu lassen.
Darin steckt aber auch ein tröstlicher Gedanke: Wie schwach ein Licht auch ist, es kann immer noch Freude in dunkler Zeit machen. Und Freude pflanzt sich fort. In der biblischen Weihnachtsgeschichte sind es einfache Hirten, die vom himmlischen Leuchten bewegt zur Krippe gehen und eine junge Familie in prekären Verhältnissen ermutigen und stärken. Von einem Stern angetrieben, kommen die schlauen Weisen erst viel später zur Krippe, aber sie kommen und bringen Geschenke. Akademiker brauchen halt für die einfachen Dinge des Lebens etwas länger – das weiß ich aus eigener Erfahrung.
Man kann über die Institution Kirche jammern, wie man will. Das Kind in der Krippe aber ist später über Generationen hinweg selbst zu einem Licht für viele Menschen geworden. Manche von ihnen haben das Licht und ihre Hoffnung wiederum weitergeben, manchmal in großen und manchmal in klitzekleinen Taten, Gesten und Worten. Das feiern wir noch heute.
Vielleicht denken Sie in den kommenden Weihnachtstagen beim Schauen auf Ihre Lichterkette daran, dass kein Licht zu schwach, keine Hoffnung zu gering und keine gute Tat zu klein ist, um sie nicht irgendwann mit jemandem zu teilen. Stellen Sie also Ihr Licht nicht unter einen Scheffel, lassen Sie es scheinen! Schon jetzt: Frohe Weihnachten!
Zur Person
Heino Falcke ist Professor für Radioastronomie an der Radboud-Universität Nijmegen (NL) und Buchautor. Er lebt in Frechen. Im Ehrenamt ist Falcke Prädikant (Laienprediger) der Evangelischen Kirche im Rheinland.