Das Kölner Museum Ludwig zeigt mit Alfred Ehrhardt und Elfriede Stegemeyer zwei modernistische Fotografen der NS-Zeit.
Ausstellung im Museum LudwigMit Naturwundern in die innere Emigration
Die innere Emigration, eine deutsche Erfindung, hat auch in ihrem Herkunftsland nicht überall den besten Ruf. Thomas Mann, der ins Äußere emigriert war, verspottete die während der NS-Zeit „treu in Deutschland Sitzengebliebenen“ bereits 1945 als „Ofenhocker des Unglücks“, wobei einem die Flucht in die Fremde als weltberühmter Nobelpreisträger vermutlich deutlich leichter fiel als, sagen wir, einem braven Verfechter der Bauhaus-Moderne wie Alfred Ehrhardt (1901-1984), dessen Name selbst in Deutschland den wenigsten geläufig war.
Ehrhardt hatte seine Karriere als Organist begonnen und einige Jahre als Reformpädagoge unterrichtet, bevor er sich beim Dessauer Bauhaus einschrieb. Als Maler und Grafiker folgte er mit abstrakten Landschaftsbildern den Spuren Paul Klees, 1933 verlor er deswegen seine Stelle als Lehrer an der Hamburger Landeskunstschule. Sein Weg in die innere Emigration führte Ehrhardt an die Nordseeküste (er wurde Chorleiter in Cuxhaven) und zur Fotografie. Statt abstrakte Landschaften zu malen, machte er Aufnahmen abstrakter Sandmuster im Wattenmeer – was die Naturgewalten geformt hatten, konnten selbst die Nazis nicht für dekadent oder „entartet“ halten.
Als Bildchronist deutscher See- und Flusslandschaften wurde Alfred Ehrhardt in Nazi-Deutschland berühmt
Als Bildchronist deutscher See- und Flusslandschaften wurde Alfred Ehrhardt in Nazi-Deutschland so berühmt, wie er es als Maler niemals war und mutmaßlich niemals hätte werden können. 1937 begann er, Dokumentarfilme zu drehen, er brachte Bücher über das Watt und die Kurische Nehrung heraus und fügte seinen Landschaftsbildern bald Großaufnahmen von Seeigeln oder Muscheln vor schwarzem Hintergrund hinzu. Auch hier blieb Ehrhardt ein heimlicher Vertreter der Moderne und führte das Erbe der Avantgarde nach 1945 mit preisgekrönten Kulturfilmen wie „Spiel der Spiralen“ und „Tanz der Muscheln“ fort.
Seit kurzen besitzt das Kölner Museum Ludwig eine Reihe klassischer Ehrhardt-Aufnahmen mit sprechend-ausschweifenden oder wissenschaftlich-sachlichen Titeln. Da trifft ein „Eigenartiges Formenspiel des Windes im feuchten Sand“ (1934) auf die Nahaufnahme einer „Xenophora solaris, Sunda-Meer“ (1940/41). Gemeinsam ist diesen Schwarz-Weiß-Bildern die Konzentration auf die abstrakten Wunderwerke der Natur: Malende Wellen oder Muscheln in Sonnenform zeigten Alfred Ehrhardt, dass die anorganische Materie nicht tot, sondern erfüllt von schöpferischer Energie ist.
Miriam Szwast, Fotokuratorin am Ludwig, zeigt die Neuerwerbungen jetzt im kleinen Fotoraum des Museums, ergänzt unter anderem um ein Blatt von Paul Klee und dem gefilmten „Tanz der Muscheln“. Als weitere „Zugabe“ sind zudem Aufnahmen von Elfriede Stegemeyer (1908-1988) zu sehen, eine Künstlerin, die sich 1932 zeitweilig den Kölner „Progressiven“ anschloss und, wie Ehrhardt, die von den Nazis verfemte moderne Kunst zusehends zugunsten der Fotografie aufgab. Aus heutiger Sicht erscheinen Stegemeyers Bilder sogar etwas weniger „angepasst“. Auch sie suchte in ihren Seestücken nach abstrakten Formen, aber sie setzte ihre Fundsachen (Muster im Sand, Schaum auf den Wellen, Spiegelungen im Wasser) als Fotomontagen neu zusammen.
Im klassischen (und selbst im avantgardistischen) Sinne schön ist das nicht; die neusachlichen Aufnahmen Ehrhardts wirken daneben deutlich zugänglicher, aber auch in sich geschlossener. Hier steht ein abgerundeter Stil gegen einen suchenden, wobei sich schwer beurteilen lässt, was Stegemeyers Werk der inneren Emigration tatsächlich ausmacht; der Großteil davon wurde 1943 bei einem Bombenangriff der Alliierten zerstört. Offenbar versuchte sie das Genre des Naturbilds mithilfe der Fotomontage surrealistisch zu infiltrieren. Mitunter fiel das Ergebnis dafür erstaunlich lieblich aus, etwa beim nachträglich in den Sand gezeichneten Porträt einer Frau, die eine Qualle als Kopfschmuck trägt.
Ab dem nächsten Jahr werden die Ausstellungen im Fotoraum des Museums Ludwig laut Miriam Szwast deutlich größer und leichter zu finden sein. Der Fotoraum zieht im Mai aus der zweiten in die erste Etage und soll dann an einer der Hauptstraßen des Museums liegen. Darauf darf man sich freuen, denn als Schaufenster in die Fotografie-Sammlung des Museums taugt die aktuelle Lösung nur bedingt.
„Sehstücke. Alfred Ehrhardt und Elfriede Stegemeyer“, Fotoraum im Museum Ludwig am Dom, Köln, Di.-So. 10-18 Uhr, bis 27. April 2025