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Ausstellung im Rijksmuseum AmsterdamFrans Hals malte eine vom Augenblick berauschte Welt

Lesezeit 6 Minuten
Eine betrunkene Frau hält einen Bierkrug in der Hand, auf ihrer Schulter sitzt eine Eule als Zeichen ihrer „Verrücktheit“.

Aus Berlin nach Amsterdam gereist: „Malle Babbe“ (1640) von Frans Hals

Frans Hals konnte Menschen malen wie niemand sonst. Jetzt ist eine grandiose Werkschau des „modernen“ Barockmeisters zu sehen.

In der Welt von Frans Hals steht alles zum Besten, solange der Nachschub an Alkohol und Gelächter nicht versiegt. Sie ist bevölkert von fröhlichen Zechern und leutseligen Musikanten. Deren Lebensaufgabe scheint vor allem darin zu bestehen, die vornehmen Bürger zu animieren, vom eigenen Glück zu kosten und sich daran einen selbstzufriedenen Schwips zu holen. Diese Animationskunst beherrschte auch Frans Hals, von dem seine Zeitgenossen sagten, er habe dem gemalten Menschen erst Leben eingehaucht. Selbst die militärischen Schützengilden seiner Gruppenbilder halten die Disziplin nur mühsam aufrecht. In ihren historischen Kostümen erinnern sie verdächtig an den heutigen Karneval. Aber sie hielten Wache an den Toren zum „Goldenen Zeitalter“ der niederländischen Malerei.

Gemeinsam mit Rembrandt und Vermeer gehörte Frans Hals zu den großen Drei dieser Epoche, in der sich die Kunst endgültig von der Religion entfernte. Dem gemalten Glück gingen blutige Kriege voraus: Erst fegte der calvinistische Bildersturm durch die Kirchen, dann schlug die spanische Gegenreformation zurück. Um 1586 flohen Hals‘ Eltern aus dem rekatholisierten Antwerpen nach Haarlem, wo Hals nach 1616 zum Maler der besseren Gesellschaft aufstieg. Das sprühende Leben einer Schützengarde machte ihn berühmt: Die Menge wogt und gleichzeitig geht niemand in ihr verloren; die abgebildeten Männer erkannten sich als Individuen und Teil einer Gemeinschaft wieder.

Solche mit flüchtigen Strichen geschaffenen Momentaufnahmen wirken heute immer noch verblüffend modern, entsprachen aber der Sehnsucht der neuen Haarlemer Bürgerschicht. Sie wollte sich nicht mehr als Denkmal ihrer selbst verewigt sehen. Sondern als Menschen, die im Augenblick leben, und diesen Augenblick genießen, solange er währt.

Nach Rembrandt und Vermeer erhält jetzt auch Frans Hals im Rijksmuseum eine Starbehandlung

In den vergangenen Jahren hat das Amsterdamer Rijksmuseum die beiden anderen der „großen Drei“ bereits in Blockbuster-Ausstellungen gefeiert. Nach Rembrandt und Vermeer erhält jetzt Frans Hals diese Starbehandlung, als zweite Station einer Wanderausstellung, die im Herbst dieses Jahres auch in Berlin zu sehen sein wird. Gleich das erste Bild ist ein Zauberkunststück, das Hals' Zeitgenossen den Atem geraubt haben muss: Hals hält einen fröhlichen Trinker mitten in der Bewegung an und lässt sein Gesicht mit einzelnen Strichen so geschickt verwischen, als wäre es eine leicht unscharf gehaltene Fotografie.

Solche Genrebilder waren für das bürgerliche Publikum bestimmt, das Hals im Alltagsgeschäft hauptsächlich mit Doppelporträts von Ehepaaren belieferte. Diese Galerie hochgeschlossener, ganz in Schwarz gekleideter und jeweils durch eigene Bildrahmen voneinander getrennter Männer und Frauen ist für heutige Augen ein wahres Schreckenskabinett - man ahnt, welch harte Arbeit der Animateur Frans Hals verrichten musste, um diesen Leuten die Halskrause zu lockern. Zwei Jahrhunderte später entdeckte Vincent van Gogh, halb bewundernd, halb schaudernd, auf diesen Bildern 20 Schattierungen von Schwarz.

In der freien Natur zeigten die Eheleute schon ein anderes Gesicht, unbeschwert, ungezwungen, im Vergleich geradezu obszön. Es hat eine aparte Ironie, dass ausgerechnet die calvinistischen Bilderhasser die zweite Blüte der niederländischen Malerei einleiteten – zumal sie mit dem Verbot religiöser Motive den eigenen Abstieg im Grunde bereits vorwegnahmen. Statt sich in biblischen Menschen zu spiegeln, gaben die Bürger nun Spiegelbilder ihrer eigenen Welt in Auftrag.

Eine Gruppe von Männern sitzt an einer reich gedeckten Tafel.

Hier geht es noch vergleichsweise gesittet zu: Frans Hals' Offiziersbankett der Schützengilde St. George (1616)

Ohne die Kirche als Arbeitgeber schufen die Maler alltägliche Landschaften, Stillleben und Genreszenen, sie spezialisierten sich auf jeden Bereich der Wirklichkeit, der ausreichend Abnehmer versprach, und bedienten sich dafür freigiebig bei der religiösen Malerei. Frans Hals‘ Gemälde einer Amme mit Kind und Apfel ist Ideenklau unter den Augen der Frömmler: Solche Motive kannte man aus unzähligen Madonnenbildern. Jetzt freute man sich über das Glück, in die Rolle der Heiligen Familie schlüpfen zu können.

Im Zweifelsfall lieferte Frans Hals seine Arbeiten wie bestellt. Auf eigene Rechnung gingen hingegen seine fröhlichen, für bürgerliche Vorstellungen leicht vulgären Augenblickstrinker aus dem einfachen Volk, in denen er wohl auch seine Rolle als bürgerlicher „Hofmaler“ verewigte. Sie handelten ihm später den Ruf ein, selbst ein Zecher gewesen zu sein. Vermutlich war es zu verlockend, in all den lebenslustigen Kneipenhockern verkappte Selbstporträts und in seiner vergnügten, aber vom Alkohol gezeichneten „Hexe von Haarlem“ („Malle Babbe“) ein Menetekel von Hals‘ Altersarmut zu sehen.

Eine Frau reicht einem Kind einen Apfel.

Frans Hals' Porträt von Katharina Hooft mit ihrer Amme

Die meisten dieser feucht-fröhlichen Hals-Legenden wurden von der Forschung widerlegt. Seine verbürgten Bekanntschaften mit Bierbrauern sagen wenig über sein Trinkverhalten aus, zumal in einer Zeit, in der Bier deutlich weniger Alkohol enthielt als heute und reiner als Wasser war. (Es fällt jedenfalls schwer, sich vorzustellen, jemand könnte sich finanziell und gesundheitlich mit Kölsch ruinieren.)

Ein Beispiel giftiger Männlichkeit war er wohl auch nicht. Zwar findet sich in Haarlemer Gerichtsakten ein Frans Hals, der seine Frau schlug und diese verdächtig früh beerdigte. Aber das war ein anderer Hals, der zufällig den gleichen Vornamen trug. Seine Rechnungen bei Bäckern und anderen Händlern blieb er hingegen tatsächlich ungewöhnlich häufig schuldig. Vermutlich überlebte er seinen eigenen Erfolg einfach zu lang: Hals wurde über 80 Jahre alt und war bereits Jahrzehnte vor seinem Tod aus der Mode gefallen. Warum sollte ein Maler, der das Glück des Augenblicks feierte, für schlechte Zeiten vorsorgen?

Die Impressionisten erkannten in Frans Hals einen der ihren

An der Geringschätzung von Hals‘ flüchtiger Momentmalerei änderte sich auch nach seinem Tod im Jahr 1666 nicht viel. Erst die französischen Maler des 19. Jahrhunderts entdeckten ihn wieder, Realisten wie Gustave Courbet oder der freidenkerische Édouard Manet fanden in ihm ein Gegengewicht zur akademischen Malerei. Der Grund dafür springt einem aus vielen im Rijksmuseum gezeigten Gemälden geradezu entgegen: Frans Hals war der erste große Virtuose des sichtbaren Pinselstrichs.

So ist Hals‘ Werk auch ein Beispiel für die Vergänglichkeit und Wankelmütigkeit des Glücks – in seinem Fall des Kunstgeschmacks. Dabei war er tief im Barockzeitalter verwurzelt: Seine Bilder übersetzten die Ruben’schen Allegorien des gesellschaftlichen Überflusses in die individuelle Sphäre; die Bürger sonnen sich im eigenen Erfolg, und die weniger Begüterten sind deswegen nicht gram. Der Reichtum ist zwar ungleich verteilt, aber es ist genug Bier für alle da.

Es ist bezeichnend, dass Frans Hals wenig von Dingen wissen wollte, die weniger flüchtig sind als ein Lächeln oder das Glück. Die melancholische Tiefe Rembrandts lag nicht in seiner Natur. Und auch für soziale Belange hatte er nichts übrig. Obwohl seine Malerei vom Standesbewusstsein ihrer Figuren lebt, scheinen sich diese der Gegensätze ihrer Welt kaum bewusst zu sein. Die Frage, was passiert, wenn der Alkohol versiegt, bleibt ohne Antwort. Wem das Lachen dann wohl vergeht?


„Frans Hals. Meister des Augenblicks“, Rijksmuseum Amsterdam, 16. Februar bis 9. Juni 2024. Ab 12. Juli 2024 in der Gemäldegalerie Berlin.