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Ausstellung in der Kölner Horbach-StiftungDavon erzählt die neue Generation kubanischer Fotografen

Lesezeit 4 Minuten
Schwarz-Weiß Fotografie einer jungen Frau, die Ballettschuhe in der hand hält. Sie wird mit Wasser übergossen und hat ihren Mund weit aufgerissen.

Für die Serie „Isabella in Gefangenschaft“ fotografierte Daylene Rodríguez Moreno ihre Tochter, Schülerin an der Ballettschule, die ihre Ausbildung während der Pandemie unterbrechen musste.

In der Michael-Horbach-Stiftung sind kubanische Fotografien zu sehen, die mit einer neuen Ästhetik jenseits der bekannten Revolutionsbilder aufwarten.

Sie begleiteten die Guerilleros um Fidel Castro, dokumentierten den Sieg, den Einmarsch in Havanna, die ersten Massenkundgebungen - die Fotografen der kubanischen Revolution brachten eine regelrechte Flut an Bildern hervor, die auch international Beachtung fanden. Das ikonische, 1961 von Alberto Korda aufgenommene Porträt Che Guevaras wurde zum meistverbreiteten Foto des 20. Jahrhunderts.

Nun, über 50 Jahre später, fotografiert Leysis Quesada Vera (*1973) einen Innenraum, an dessen Wand, die wohl einmal weiß war – der Putz blättert längst von ihr ab – drei vergilbte Fotos hängen. Zwischen den Gesichtern Camilo Cienfuegos und Fidel Castros prangt mittig das von „Che“. Diese verstaubten Bilder erinnern an jene alte Zeit großer Hoffnungen und Utopien, eine von der Wirklichkeit längst überholte Geschichte. Leysis Quesada Vera, die Schöpferin dieses Stilllebens, gehört einer neuen Generation kubanischer Fotografen an, die in westlichen Ausstellungen bisher kaum Beachtung finden.

Eine neue Generation kubanischer Fotografen: "Magischer Realismus" statt Revolutionsfotografie

In Köln ist nun aktuell eine Auswahl solcher „neuen“ Fotografien zu sehen. In den Kunsträumen der Michael Horbach Stiftung werden neben Arbeiten von Leysis Quesada Vera auch die von Daylene Rodríguez Moreno (*1978), Manuel Almenares (*1992) und Alfredo Sarabia Junior (*1986) ausgestellt.

Außerdem zu sehen sind einige Werke Alfredo Sarabia Seniors (1951-1992). Er steht zeitlich zwischen ihnen und den Revolutionsfotografen, ist ein wichtiger Pionier der zeitgenössischen kubanischen Fotografie und damit gewissermaßen ihr Wegbereiter. Sein „magischer Realismus“, der sich in Form traumähnlicher Landschaften oder geisterhaft verwischter Porträts äußert, widersetzt sich den politisierten Motiven und Themen der 1960er und 1970er Jahre und prägt damit eine neue dynamische und kontrastreiche Bildsprache.

Die jüngere Generation reiht sich in diese ausdrucksstarke Linie ihres Vorbilds und Lehrmeisters Sarabia Senior ein, schreibt seine Geschichte gewissermaßen fort und mischt sie mit ihren eigenen Ideen. In ihren Fotografien verschmelzen unterschiedliche Zeiten - und das nicht allein wegen ihrer Schwarz-Weiß-Ästhetik. In Kuba, so schrieb einmal Sarah Meister, Kuratorin für Fotografie am MoMa, koexistieren Vergangenheit und Gegenwart. Auf den ausgestellten Fotografien erkennen wir die Folgen des Klimawandels, auch die Pandemie wird thematisiert. Die Vergangenheit scheint in den ausgestellten Bildern ständig durch, doch das Hier und Jetzt ist ebenso präsent.

Alfredo Sarabia Junior: Ein alter VW-Käfer erzählt Familiengeschichte

Alfredo Sarabia Junior, Sohn des bekannten Pioniers, verschrieb sich ebenfalls der Fotografie und widmet seinem Vater mit der Serie „La casa redonda.cuarentena“ (2020) eine besondere Hommage. Die Schwarz-Weiß-Fotografien kreisen um einen alten VW-Käfer. Seine vier Kinder spielen mal neben dem Auto, mal im Kofferraum, mal auf dem Dach. Der Käfer ist nicht bloß Kuba-Klischee, er ist eine Art Erinnerungstruhe, die Familiengeschichte erzählt. Schon sein Vater reiste damit für seine Fotografien durch Kuba und nahm dabei seinen Sohn mit. Auf einem der Bilder Alfredo Sarabia Seniors im oberen Geschoss der Ausstellung ist ein Junge zu sehen, der mit dem Kopf voran in das Fenster eines Autos klettert – es ist das Fenster des VW-Käfers, der Junge ist Sarabia Junior.

Vier Kinder sitzen im Kofferraum eines alten VW Käfers, eines der Kinder hält den Kofferraumdeckel auf.

Alfredo Sarabia Junior widmet seinem Vater mit der Serie „La casa redonda.cuarentena“ (2020) rund um den vererbten VW-Käfer eine fotografische Hommage.

Die Familiengeschichte und das Familiäre sind auch Thema in Daylene Rodríguez Morenos Arbeiten. Im ländlichen Kuba begibt sie sich auf die Suche nach ihren Wurzeln, erforscht ihre eigene Vergangenheit und zugleich die ihres Landes. Eine Serie widmet sie den zerplatzen Träumen ihrer beiden Töchter während der Corona-Pandemie. Moreno und Quesada Vera wurden 2023 mit dem Fotopreis der Horbach-Stiftung ausgezeichnet. Nun hängen die Arbeiten der beiden zusammen im größten der Ausstellungsräume.

Leysis Quesada Vera bringt Farbe ins Spiel

Zwischen den sonst ausschließlich schwarz-weißen, manchmal auch ein wenig redundanten Fotografien stechen die bunten Farben in einer Serie Leysis Quesada Veras hervor, die sie dem Tanz widmete. Die typisch kubanische Dramatik entsteht hier nicht durch heftige Schwarz-Weiß-Kontraste, sondern aus ihren Motiven heraus. Ihre Modelle sind oft ihre beiden Töchter in Tüllröcken und Ballettschuhen. Man würde sie auf einer hübschen Bühne verorten, doch sie tanzen auf den Straßen, im Café oder auf den Dachterrassen Havannas.

In einem kubanischen Café sitzen einige Männer und trinken Kaffee. In ihrer Mitte tanzt eine junge Frau mit weißen Tüllrock.

Leysis Quesada Vera lässt ihre Modelle an ungewöhnlichen Orten, wie hier im Café (La Musa), oder auf den Straßen Havanas tanzen.

Quesada Vera hat kein Interesse an der Darstellung der geprobten Aufführungssituation, sie sucht ihre Sujets, da wo es lebhaft, chaotisch und natürlicher ist, fotografiert die Balletttänzerinnen beim Aufwärmen hinter der Bühne. Auf ihrem Foto „El salón“ (2018) etwa sind zehn Tänzerinnen und Tänzer bei ihren Dehnübungen zu sehen. Eine sitzt mit gespitzten Zehen auf dem Boden, manche strecken ihre Beine in unmöglichen Winkeln von sich. Jeder ist hier mit sich selbst beschäftigt. Der Moment ist so beiläufig festgehalten, fast impressionistisch, als wäre es eine zeitgenössische, kubanische Version von Edgar Degas' Tänzerinnen.

Dieser neuen Generation kubanischer Fotografen geht es nicht mehr primär um das Politische, um das große nationale Kollektiv. Ihr Blick gilt dem Individuum und seiner unmittelbaren Lebenswelt. Ihre Fotografien gleichen einem Mikrokosmos, von dem man auf das große Ganze schließen kann. Sie haben die Utopie nicht vergessen, doch trifft diese in ihren Bildern auf die Realität, die sie mit Feingefühl und Sinn für das Menschliche dokumentieren.


„Die neue Generation kubanischer Fotografen/innen“, Kunsträume der Michael Horbach Stiftung, Wormser Str. 23 Köln, Mi & Fr 15.30‑18.30 Uhr, So 11‑14 Uhr, bis 03. Januar 2024, auch zwischen den Feiertagen geöffnet. Der Fotoband zur Ausstellung kostet 30 Euro.