Seit über 35 Jahren malt der chinesische Künstler Ding Yi Gemälde aus winzigen Kreuzen. Bei Karsten Greve sind seine neusten Werke zu sehen.
Ausstellung in KölnDing Yi malt den gesamten Kosmos, nur aus Kreuzen

Blick in die Ausstellung „Ding Yi. Constellations“ in der Kölner Galerie Karsten Greve
Copyright: Galerie Karsten Greve Köln Paris St. Moritz
In einem monumentalen, quadratischen Holzschnitt verdichten sich unzählige dunkelblaue, violette und türkise Farbschichten zu einem Bildgrund, aus dem diese teils wieder herausgeschnitten wurden. Darüber legt sich in gestrichelten Linien ein rechtwinkliges Raster, auf das weiße Sterne gesetzt wurden, die sich durch feine Linien zu Sternbildern verbinden. Tatsächlich verhält es sich beim Betrachten dieses Gemäldes ähnlich wie beim Sternegucken: Je länger man hinschaut, desto mehr scheint sich plötzlich aufzutun. Gemalt hat es der chinesische Künstler Ding Yi. Rund 20 seiner neusten Arbeiten sind aktuell in der Kölner Galerie Karsten Greve zu sehen.
Gemälde wie der Sternenhimmel
Oft erst auf den zweiten Blick erkennt man, dass die Bilder – mal auf Holz, mal auf verschiedenen Papieren oder Leinwand – aus unzähligen winzigen Kreuzen bestehen, die in verschiedenen Schichten, Farben und Drehungen wiederholt werden. Mit einem Höchstmaß an Präzision und technischem Geschick trägt der Künstler die kleinen Kreuze per Hand auf – und zwar seit über 35 Jahren. Seine erste Arbeit der ausgestellten Serie „Appearance of Crosses“ –Werke, die ausschließlich aus Variationen des Kreuzsymbols bestehen – malte Ding Yi bereits Ende der 1980er Jahre, als Vertreter der Postmoderne gerade dabei waren, das Ende der längst überholten abstrakten Malerei auszurufen.
Weder von ihnen, noch von anderen künstlerischen Strömungen um ihn herum ließ sich Ding Yi großartig beeindrucken. Er malte stoisch weiter Kreuze, denen er jegliche Bedeutung abspricht. Sein Ziel war nichts Geringeres, als die „reine Abstraktion“ zu erreichen – Kunst ohne soziokulturelle Referenzen und konkreten Bezüge. Während Yi anfangs mit Lineal und Klebeband an der technischen Perfektion seiner Kreuzbilder feilte und das strenge Raster im Bild noch sehr präsent war, wurden seine Kompositionen über die Jahre hinweg expressiver, das Raster ist weiter in den Hintergrund gerückt.
Alles, was wir sehen, existiert nur in unserer Vorstellungskraft
Das eigentliche Bild ergibt sich dabei nicht aus den Kreuzen selbst, sondern vielmehr aus den Freiräumen zwischen ihnen. Denn wenig spornt die menschliche Vorstellungskraft so sehr an, wie eine Folge von unverbundenen Zeichen. Das Gehirn sucht sofort nach Mustern in den Bildern, in denen es weder eine Mitte noch Vorder- oder Hintergrund gibt. Jede Stelle des Bilds wird zum Zentrum und zieht einen hinein in den kreuzernen Kosmos des Künstlers. So sieht man in dem dunkelblau-violett schimmernden Kreuzschichten eben einen Nachthimmel und in dem Raster das Straßennetz und die Häuserblocks einer Großstadt. In Luftaufnahmen Chinas größter Stadt Shanghai sind bei Nacht ähnliche Strukturen zu sehen.

Ding Yis „Appearance of Crosses 2024-2“ ist noch bis zum 1. Februar in der Galerie Karsten Greve zu sehen.
Copyright: Alessandro Wang/Ding Yi Art Studio/ Galerie Karsten Greve
Dort wurde Ding Yi 1962 geboren, studierte erst Design und später chinesische Malerei. 1993 nahm er an der Biennale in Venedig teil und wurde als einer der ersten abstrakten Maler Chinas auch im Westen bekannt. Mit dem Stern tritt in den in Köln ausgestellten Bildern das erste Mal ein neues Zeichen in seiner Kunst auf. Ding Yi selbst sagt, er habe seit einiger Zeit die reine Rationalität seiner Werke überschritten und sie stattdessen mit mehr Sentimentalität gemischt.
Bei mehreren Reisen nach Tibet besuchte der Künstler zuletzt buddhistische Tempel und das Basecamp des Mount Everest – und fand offenbar auch eine neue spirituelle Ebene für seine Kunst. In einigen der neuen Werke taucht zusammengesetzt aus unzähligen Kreuzen plötzlich das „Vajra“-Motiv auf, ein sternförmiges buddhistisches Ritualobjekt und Symbol für unbesiegbare Weisheit. Damit scheint Ding Yi endgültig mit der Bedeutungslosigkeit seiner Kunst zu brechen.
„Ding Yi: Constellations“, Galerie Karsten Greve, Drususgasse 1-5, Köln, Dienstag bis Freitag 10 bis 18.30 Uhr, Samstag 10 bis 18 Uhr, bis 1. Februar 2025. Zur Ausstellung erschien eine gleichnamige Publikation mit Texten von Magdalena Kröner und Yongwoo Lee. 120 Seiten kosten 40 Euro. Erhältlich vor Ort und auf der Website der Galerie.