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„Künstlerportraits“ von Angelika PlatenSo jung kommen wir nicht wieder zusammen

Lesezeit 5 Minuten
Hanne Darboven steht vor einer Tapete mit leeren Kästchen.

Angelika Platens Porträt der Künstlerin Hanne Darboven: „Schrift- und Zahlenmeisterin“ (1969)

Angelika Platen fotografierte die deutsche Kunstwelt, bevor diese Weltkarriere machte. Ihr neuer Bildband ist ein Fest des Wiedersehens.

Ach, waren das unschuldige Zeiten, als der Kunstmarkt noch in den Kinderschuhen steckte. Einige geschäftstüchtige Galeristen hatten sich in Köln mit dem Kulturdezernat verschworen, um 1967 die erste, noch sehr bescheidene Verkaufsmesse für moderne Kunst zu veranstalten. Bei der vierten Ausgabe war der „Kölner Kunstmarkt“ bereits so erfolgreich, dass eine Abordnung ausgeschlossener (oder sich ausgeschlossen fühlender) Künstler vor der Eröffnung wütend an die versperrte Glastür klopfte. Auf einem Bild, das die Fotografin Angelika Platen damals machte, sieht man Joseph Beuys, Wolf Vostell, Klaus Staeck und andere draußen protestieren. Platen aber, das ist die heimliche Pointe der Aufnahme, stand drinnen. Sie gehörte dazu, die anderen (noch) nicht.

In den späten 1960er Jahren war Angelika Platen aus der kleinen deutschen Kunstszene nicht mehr wegzudenken, obwohl sie selbst weder eine Künstlerin noch eine Galeristin war. Platen gehörte vielmehr, gemeinsam mit Ute Klophaus, Manfred Leve und später Benjamin Katz, zu jenen Fotografen, die den Aufbruch der Nachkriegsmoderne in der Kunst aus nächster Nähe miterlebten und dokumentierten. Den Wert ihrer Zeugnisse begann man allerdings erst zu ermessen, als aus den damals jungen Künstlern längst arrivierte geworden waren.

Sigmar Polke hing sich für Angelika Platen sogar in einen Baum

Bei Platen kam hinzu, dass sie sich 1972 allmählich von der Fotografie verabschiedete – zunächst leitete sie die Galerie Gunter Sachs in Hamburg, später, nach ihrem Umzug nach Paris, die Presseabteilung eines IT-Unternehmens. Als sie 1997 wieder zur Fotografie zurückkehrte, war die Zeit reif für erste Ausstellungen ihrer frühen Werke. 1998 gab die Edition Stemmle den Bildband „Platen Artists“ heraus. Auf dem Titelblatt hält sich der Fluxus-Künstler Ben Vautier eine Hand schützend vors Gesicht. In der anderen Hand hält er ein Schild mit der englischen Aufschrift „Bitte keine Fotos“ in die Kamera.

Das war damals schon Koketterie, denn von Platen ließen sich augenscheinlich (fast) alle Künstler gerne fotografieren. Sigmar Polke hing sich für sie sogar in einen Baum, ließ sich sicherlich aber auch nicht lange darum bitten; der Streifenkünstler Daniel Buren hielt für sie beim Streifen-kleben inne und der Land-Art-Künstler Walter de Maria posierte als kleiner Weltenschöpfer auf einer Landebahn des Hamburger Flughafens. Anscheinend hatte Platen dafür die Sicherheitsleute überrumpelt. Auf einem Bild, das Maria über einem endlosen Mittelstreifen zeigt, steigt im Hintergrund ein Flugzeug in den Himmel.

Angelika Platen und Sigmar Polke stehen vor einem Spiegel. Platen fotografiert.

Angelika Platens Aufnahme „Zwei im Spiegel“ mit Sigmar Polke

Glaubt man dem Herausgeber Joachim Jäger, ist der jetzt im Verlag der Buchhandlung Walther und Franz König erschienene Bildband „Künstlerportraits“ das endgültige Werk Angelika Platens. Er setzt chronologisch mit Reportageaufnahmen ein, die Platen 1964 in Algerien machte, und reicht mit Schnappschüssen von Kasper König oder Wolfgang Tillmans bis in die digitale Gegenwart. Waren Farbaufnahmen bei Platens Frühwerk noch die Ausnahme, sind sie mittlerweile die Regel. Man bekommt erstmals, so jedenfalls das Versprechen, die ganze Platen in einem Band. Selbst ihre private Fotosammlung, an der sie ihren Blick auf die Künstler schulte, wird in Auszügen vorgestellt.

Die begleitenden Aufsätze tragen mitunter Züge einer Hagiografie. Kein Vergleich ist zu hoch gegriffen, um ihn zu bemühen, und so wird Platens Doppelporträt mit Polke im Spiegel unversehens zum „Meisterwerk“, das den Autoren an das weltberühmte Velázquez-Gemälde „Las Meninas“ gemahnt. Offenbar soll die Porträtistin unter ihre Gegenstände eingereiht werden. Das ist ehrenwert, weil auch Künstlerporträts eine Kunst sind, wenn man sie wie Platen betreibt. Aber vermessen bleibt es doch.

Man sieht bei Angelika Platen vor allem Männer, die nicht gewohnt sind, sich vor der Kamera zu produzieren

Schlüssiger ist der Versuch, Platens Karriere feministisch zu lesen. Oliver Koerner von Gustorf erklärt den Fotoapparat zum Mittel der Emanzipation, der Platen erlaubte, den Blick umzukehren und sich aus der Rolle der Angeblickten in einer von Männern geprägten Kunstwelt zu befreien. Ob ihre Porträts deswegen schon „fotografische Studien zum Männerbild der späten 1960er- und frühen 1970er Jahre“ sind, darf man allerdings bezweifeln. Man sieht vor allem Männer, die nicht gewohnt sind, sich vor der Kamera zu produzieren; nicht jeder genießt die Selbstinszenierung so wie Polke.

Ansonsten sieht man bei Platen, wie jung die Nachkriegsmoderne einmal war. Es ist eine Jugend, die sich mitunter wie ein Gegenentwurf zu ikonisch gewordenen Klassikerporträts ausnimmt. Platen hat diese Gegensätze selbst in einer Reihe von Gegenüberstellungen arrangiert: In den „Künstlerporträts“ begegnet der junge Christo dem ergrauten, ein Günther Uecker im weißen Anzug seinem späteren Künstler-Ich im Pelz und der in Denkerpose erstarrte Markus Lüpertz dem Schlagerstar, dem er 1970 zum Verwechseln ähnlich sah. Hanne Darboven würde man hingegen kaum in jener kurzhaarigen Frau wiedererkennen, aus der später die strenge Hohepriesterin der Monotonie wurde.

Meist fotografierte Platen die Künstler bei professionellen Begegnungen, im Rahmen von Ausstellungen oder im Atelier. Manche Aufnahmen sind offensichtlich inszeniert, andere scheinen eher aus dem Stegreif entstanden zu sein. Gerhard Richter blickt sitzend vor einem seiner Wolkengemälde in romantische Fernen, auf einem weiteren Bild bleibt sein Stuhl leer. Eine Reihe von „Freundschaftsbildern“ ist lachenden Künstlern gewidmet, auf denen so etwas wie eine Komplizenschaft zwischen Platen und ihren „Gegenständen“ aufscheint. Offenkundig legt die Fotografin in ihrem Opus Magnum Wert darauf, ihren Status als Insiderin zu zementieren.

Die schönsten Porträts des Buchs zeigen den belgischen Künstler Panamarenko. Auf ihnen blickt uns ein zeitlos schöner Jüngling im weißen Anzug an, der neben seinen Flugmaschinen posiert, als habe ihn allein der Zufall auf seinen Platz gestellt. Und doch versteht man sofort, warum seine seltsamen Werke (im Gegensatz zu ihm), nicht gealtert sind. Sie sind ein Spiegel seiner Obsession, jedes Flugmodell ein Dorian-Gray’sches Selbstporträt.


Angelika Platen: „Künstlerportraits“, 400 Seiten, zirka 320 Abbildungen, Verlag der Buchhandlung Walther und Franz König, 48 Euro