Benjamin KatzWarum der Kölner Fotograf jetzt neu entdeckt wird
Köln – Vermutlich geht es uns allen eines Tages wie Benjamin Katz. Der Kölner Fotograf hatte mehr Zeit, als ihm womöglich lieb war und begann die unzähligen Bilder zu sichten, die im Laufe seines Lebens entstanden waren. Auf seiner Timeline lagen allerdings ein halbe Million analoge, überwiegend mit einer Leica geschossene Aufnahmen aufgereiht, die es erst einmal zu digitalisieren galt. Also wappnete sich Katz für eine lange Reise im eigenen Wohnzimmer – durch die Zeit und zu sich selbst.
In den letzten Jahren gab es immer mal wieder Souvenirs dieser rückblickenden Bildungsreise zu sehen. Aber erst jetzt, mit 82 Jahren, hat Benjamin Katz eine Bilanz gezogen. „Entdeckungen“ heißt der im Kölner Snoeck Verlag erschienene Bildband, der eine gleichnamige Ausstellung im Marta Herford begleitet. Er zeigt die andere Seite eines Fotografen, den man zu kennen glaubte und der im Laufe des Wiedersehens vielleicht sogar über sich selbst erstaunte.
Benjamin Katz ist vor allem als Chronist der Kunstszene bekannt
Seit langem ist Katz als Chronist der deutschen Kunstwelt etabliert, verschlagwortet und abgelegt. Er hat Tausende Künstlerporträts gemacht, denen man ansieht, dass Katz dazugehörte und aus dem Inneren eines vertrauten Kreises berichtete. Er war Hausfotograf der Documenta, Stammgast in Galerien, Museen und, als sei dies selbstverständlich, auch in Ateliers. Zwei schöne Katz-Bildbände zeigen Gerhard Richter und Georg Baselitz bei der Arbeit.
Aber das ist nur der halbe Katz, wie man nun sieht. Wie bei jedem „geborenen“ Fotografen hatte dieser die Kamera stets griffbereit und hielt fest, was ihm die Gelegenheit präsentierte. Dieser andere Katz ist in den „Entdeckungen“ vornehmlich ein Reisender, ein Pendler nach Belgien, seinem Geburtsland, seiner ersten Heimat. Seine aktuelle Heimat, Köln, kommt dagegen nur prominent in einer Reihe mit Schnittblumen-Stillleben vor, die Katz in seiner Küche vor den immergleichen Kacheln aufgenommen hat. Es ist eine elegante Stilübung in Schwarz und Weiß, ein Kalender des bürgerlichen Schmuck- und Gewohnheitstriebs. Zugleich zeigt sich in ihnen das Zeitgefühl eines Menschen, der das vergehende Leben in Bildern misst.
Auch seine Reisebilder aus belgischen Küstenorten umkreisen das Thema Vergänglichkeit. Man sieht menschenleere Gassen, blinde Fenster, Farbe, die von Häusern blättert, überall Zeichen eines schleichenden, sich träge wie ein heißer Sommertag hinziehenden Verfalls. Offensichtlich gehört diesen verlassen wirkenden Häusern und Straßen die Sympathie des Fotografen, wie allen Dingen, die einfach noch da sind, obwohl ihre Zeit eigentlich vorüber ist.
Katz liebt das alte Leben, die Treffpunkte rüstiger Damen und die in Würde ergrauten Kellner ebenso wie das bejahrte Lastenfahrrad an der Wand oder den Bücherwagen vor einem Berliner Antiquariat. Er scheint in ihnen eine zeitlose Qualität bewahren zu wollen, die seinem klassischen Verständnis vom Bildermachen ähnelt. Er fotografiert ausschließlich in Schwarz-weiß und strebt selbst dann nach einer diskreten Harmonie im Bildaufbau, wenn er mit Blicken die hoch aufgetürmten Bestände eines Schrotthändlers durchstreift.
Das könnte Sie auch interessieren:
In seiner Einleitung vermutet Marta-Direktor Roland Nachtigäller biografische Gründe hinter dieser Suche nach der verlorenen Zeit. Benjamin Katz wurde 1939 im Antwerpen geboren, dem Exil seiner vor den Nazis geflohenen Eltern. Mutter und Kind überlebten die deutschen Besatzungsjahre unbeschadet, der Vater starb 1941 in einem französischen Internierungslager. Erst spät machte sich Katz auf die Suche nach Lebensspuren seines Vaters und fand sie dann in den Relikten einer längst vergangenen Epoche.
Es ist kein abwegiger Gedanken, dass Katz die Dinge, sobald er durch den Kamerasucher schaut, bereits in der Vergangenheitsform wahrnimmt. An den Küsten interessiert ihn, wie das Meer an felsigen Steintreppen nagt oder wie der Nebel ein Segelschiff verschluckt. Eine ganze Serie widmet Katz einem anonymen alten Pärchen, das er aus der Ferne beobachtet, wie es sich am Strand in den schmalen Schatten eines Sonnenschirms verkriecht. Selbst wenn dem damals 41-jährigen Fotografen vor allem der Slapstick-Moment der Szene gefallen haben sollte, so ist hier doch zugleich eine Form des gemeinsamen Altwerdens dargestellt, die seiner jüdischen Familie nicht mehr möglich war.
Infos
Der Bildband „Benjamin Katz: „Entdeckungen“ (184 Seiten, 24 Euro) ist im Kölner Snoeck Verlag erschienen.
Die Ausstellung mit Katz’ Fotografien ist bis zum 3. Oktober im Marta Herford zu sehen.
Die „Entdeckungen“ zeigen aber auch, dass Katz ein Sammler ausgefallener Souvenirs ist. Im Hotelzimmer fotografiert er einen Wasserhahn mit Gesicht und Waschlappen als Toupet, auf der belgischen Autobahn einen lichten Wald aus Straßenlaternen und während eines Spaziergangs durch seinen bevorzugten Urlaubsort Dinard einen Baum, der mit seinem verstümmelten Ast wie eine alter Tragöde theatralisch zu gestikulieren scheint. Oft genug finden sich später passende Fundstücke, die sich zu Serien fügen: die Geometrie von Treppenhäusern, die Struktur von Oberlichtern oder die stille Würde klassischer Säulen.
Man kann sich lebhaft vorstellen, wie in der Kölner Wohnung beim Sichten und Digitalisieren eins zum anderen kam und sich die Geschichte eines Lebens unversehens in ein Memory-Spiel verwandelte. Es lohnt sich immer, in alten Bildern und Erinnerungen zu kramen. Bei Benjamin Katz vermutlich mehr als bei uns anderen.