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Ausstellung „UK Women“Das Leben aus weiblicher Perspektive – endlich

Lesezeit 3 Minuten
Drei Mädchen fahren kreischend auf ihren Fahrrädern.

Elaine Constantine nahm diese „Girls on Bikes“ 1997 auf. Sie gehört zu den Fotografinnen der Ausstellung „UK Women“.

Die Ludwiggalerie Oberhausen zeigt Bilderserien britischer Fotografinnen seit den 1970er Jahren. Die meisten blieben zu Unrecht unbeachtet.

Ein älterer Herr im Anzug sitzt mit hochgeschobenen Hosenbeinen in einem Strandkorb und säubert seine sandigen Füße. Ein Pärchen hat es sich im Sand liegend bequem gemacht, auch sie sind bekleidet, im Hintergrund sieht man Kinder und Pferde, Menschen schauen auf die raue See, es ist windig; ein Mann spielt mit seinem Hund. Markéta Luskacovás Arbeit „Whitley Bay“ ist eine von insgesamt 29 Serien, die in der Ludwiggalerie Oberhausen zu sehen sind. Großartige Bilder, vertraut und unvertraut zugleich.

Die sehr überzeugende Schau „UK Women. Britische Fotografie zwischen Sozialkritik und Identität“ versammelt insgesamt 217 Fotografien von 28 britischen Fotografinnen aus drei Generationen. Bilder, die seit den 1970er Jahren entstanden sind und ein breites thematisches Spektrum abdecken. Da geht es um Begegnungen und kulturelle Identität, um persönliche Momente und Zweifel, um Erinnerungen an die Kindheit oder abgehängte Regionen und deren Bewohner. Es geht um Verlust und Trauma, um Verlassenheit, Stärke und Schönheit.

Dass wir die Autorinnen dieser Bilder meist nicht kennen, liegt aber wohl an unserer eigenen Ignoranz

Die Bilder sind Momentaufnahmen oder Sozialreportagen, Porträts, Dokumentationen, feministische Stellungnahme oder humorvoller Kommentar. Dass wir die Autorinnen dieser bemerkenswerten Bilder meist nicht kennen, liegt aber wohl eher an unserer eigenen Ignoranz. Und an der des Kunstmarkts.

Die meisten der hier versammelten Arbeiten verbindet ein vom Dokumentarischen herkommender künstlerischer Blick auf die Welt, in dem Fall auf die Menschen und ihr Habitat Großbritannien: Aus dem Kofferraum ihrer Autos heraus bieten die Menschen auf Londons Brick Lane Dinge zum Verkauf an (Fran May, „London, Brick Lane“, 1976 – 1978), lustvoll kreischende Kinder fahren mit dem Fahrrad eine abschüssige Straße hinab (Elaine Constantine, „Girls on Bikes“, 1997). Dazu zurechtgemachte Teenager, deren Feier zum Schulabschluss wegen Corona abgesagt wurde (Alys Tomlinson, „Lost Summer“, 2020), halbnackte Frauenkörper im Häkelbikini, die kleine Schwester lachend auf einem Pferd, chinesische Studenten am Meer, im Stehen pinkelnde Frauen, ein Junge mit Steinschleuder, ein Mann mit Gewehr, Mädchen in Pink.

Ein Junge und ein Mädchen stehen auf einer Straße.

„Raploch, Stirling“ von Margaret Mitchell, derzeit in Oberhausen ausgestellt

Die gesellschaftlichen und sozialen Umbrüche, die politische Instabilität und die hohe Arbeitslosigkeit, die Großbritannien seit Jahrzehnten heimsuchen, sind lange schon Thema der dokumentarisch-künstlerischen Fotografie. Ebenso wie Migration, Geschlechterzuschreibungen, Diversität oder das Miteinander in soziale Nischen.

Alleinerziehende Elternteile mit ihren Kindern (Meredith Andrews fotografierte sie in ihren Wohnzimmern auf Bermuda, dem britischen Überseegebiet), leergeräumte ehemalige Wohnräume von Verstorbenen, melancholisch und bedrückend, fotografiert von Laura Blight. Inzwischen dürfen auch diese Bilder in Farbe strahlen. So wie die hinreißenden Porträts, humorvollen Selbstinszenierungen und verblüffenden Schnappschüsse.

Die Bilder dieser Sozialreportagen waren lange Zeit ganz selbstverständlich schwarz-weiß

Die Bilder dieser Sozialreportagen waren lange Zeit ganz selbstverständlich schwarz-weiß und folgten damit einer typischen, das ungeschminkt Dokumentarische, Authentische betonenden Ästhetik. Die grandiosen Bilder von Tish Murtha („Youth unemployment/Elswick Kids“, 1981) und Margaret Mitchells Bildreportage aus dem schottischen „Raploch, Stirling“ (1991-92) in der Oberhausener Schau stehen, wie schon die Serien von Markéta Luskacová und Fran May, in dieser Tradition. Doch Ende der 1970er Jahren begegnete man auch in Europa vermehrt den Fotografien der amerikanischen Kollegen, die nicht nur wegen ihrer brillanten Farbe, sondern auch wegen der lapidaren Art, banale Alltagsszenen zum Bildmotiv zu machen, begeisterten.

So begann sich auch die englische Tradition der sozialdokumentarischen Fotografie zu erneuern, auch kritische Themen wurden nun in Farbe fotografiert, Genres werden gemischt, Unschärfen und Überbelichtungen zugelassen, Erzählungen in Fragmente aufgesplittert. Daran beteiligt waren, na klar, auch Fotografinnen. Sie blieben, auch das ist irgendwie typisch, weitgehend unbeachtet. Umso wichtiger, ihnen endlich eine Ausstellung auch hierzulande zu widmen.


„UK Women. Britische Fotografie zwischen Sozialkritik und Identität“, Ludwiggalerie Schloss Oberhausen, bis 15.09. 2024