Backstreet BoysHohle Playback-Maschinen vermasseln Liebe zu Köln
- In unserer Serie „Was mach ich hier eigentlich?“ gehen unsere Kultur-Kritiker dorthin, wo es sie auf Anhieb nicht hinziehen würde, wo es ihnen vielleicht sogar persönlich wehtut.
- Im vierten Teil besucht Rebecca Lessmann ein Konzert der Backstreet Boys.
- Im unerbittlichen 4/4-Takt tanzt sich die Boyband satte zwei Stunden durch sämtliche Hits ihrer Karriere.
Köln – Eigentlich wäre ich am Donnerstagabend viel lieber zu Bloc Party ins Palladium gegangen. Fast ein wenig wehmütig verabschiede ich mich also an der Deutzer Bahnhaltestelle von meinen Freunden, die weiter nach Mülheim fahren, und schließe mich dem Strom von Frauen an, der sich unermüdlich in Richtung der Lanxess Arena ergießt, um die Backstreet Boys auf ihrer aktuellen DNA-Welttournee zu besuchen.
Ja wirklich, die Backstreet Boys! Die gibt es noch – oder wieder. Das mittlerweile 26 Jahre alte Faszinosum der Boygroup, zusammengecastet von Musikmogul Lou Pearlman, die tanzenden Playback-Maschinen, fünf zu Stereotypen vereinfachte Männer mit dem Versprechen an jede einzelne Frau da draußen, zugleich ihr Prince Charming und ihr Christian Grey zu sein.
Wenn man zwischen all der Tausenden Frauen in der ausverkauften Arena zufällig mal einen Mann entdeckt, dann nur an der Hand seiner Liebsten und bitte mit möglichst gequältem Gesichtsausdruck. Die Männertoiletten werden aufgrund des akuten Testosteronmangels kurzerhand von den Konzertbesucherinnen gekapert.
Was machen die alle hier?
Ich hatte damit gerechnet, wie so oft auf Reunion-Tourneen von älteren Bands, den Altersdurchschnitt im Publikum deutlich zu senken. Doch tatsächlich falle ich zwischen den hauptsächlich Mittzwanzigjährigen überhaupt nicht auf. Die meisten sind wahrscheinlich nicht viel länger auf der Welt als es die Backstreet Boys überhaupt gibt. Was machen die alle hier? Und vor allem: Was mache ich eigentlich hier?
Auf einem Konzert, auf dem die Musik ungefähr genauso wichtig ist wie der echte Inhalt bei Max Giesinger. Nicht ein einziges Instrument ist auf der Bühne zu sehen, stattdessen beginnt um kurz nach 21 Uhr „I wanna be with you“ vom Band aus der PA-Anlage zu schallen, eine monströse Videoleinwand wird gen Decke gezogen und darunter erscheinen die Backstreet Boys: Howie, AJ, Nick, Brian und Kevin. Sie tragen lange schwarze Mäntel, im ersten Moment könnte man meinen, sie seien geradewegs dem Film „Matrix“ entsprungen.
Den Hüftschwung haben sie perfektioniert
Allerdings beginnen sie einen Moment später zu tanzen, da ist der Eindruck dann ganz schnell wieder hin. Den Hüftschwung haben sie natürlich alle perfektioniert, auch der wiederholte Griff in den Schritt, oder die Andeutung dessen, darf nicht zu kurz kommen. Und immer wieder die rechte Hand gen Himmel strecken, um sie dann in einer ausholenden Geste vor dem Gesicht wieder zum Körper zurückzuziehen – der Klassiker.
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Im unerbittlichen 4/4-Takt tanzen sich die Backstreet Boys satte zwei Stunden durch sämtliche Hits ihrer Karriere. Die Songs vom neuen „DNA“-Album kommen auch nicht zu kurz, die scheinen das Publikum allerdings nicht sonderlich zu interessieren. Es sind – wie sollte es auch anders sein – natürlich die großen Hits, auf die alle warten: „Incomplete“, performt vor dramatischer Wasserfallkulisse auf der Videoleinwand etwa, „Shape of my heart“ mit dem ersten Konfettiregen, „Quit playing games“ oder „Everybody (Backstreet’s Back)“. Und alle singen sie mit, die sinnentleerten Phrasen, die Textgebilde, die allesamt von Liebe, Eifersucht und Sex handeln. Auch ich singe sie immer mal wieder mit, das muss ich gestehen. Denn irgendwie ist es auch einfach witzig, vielleicht gerade, weil alles so hohl ist, vielleicht darf man all das gar nicht so ernst nehmen.
Doch traurig macht es mich auch. Denn die Musik wird zum bloßen Vehikel degradiert, um die fünf Männer dort auf der Bühne als Fetischobjekte zu stilisieren, als Konsumgüter gewissermaßen, und für jeden gibt es den passenden Typ auf dem Warentisch, der die Bühne ist: ob man auf den sweeten Blondie steht (Nick) oder den bis zum Hals tätowierten Rebellen (AJ). Im Zentrum scheint das Versprechen zu stehen, das gerade du (ja du!) besonders bist, auserwählt, die Eine – der Traum eines jeden Mädchens eben.
„I particularly love Cologne! I always eat a lot of Schnitzel, a lot of Bockwurst“
Deshalb darf jeder Backstreet Boy zwischendurch in den sogenannten „Talking Moments“ dann auch mit dem Publikum sprechen. Dabei wird schamlos geflirtet und immer und immer wieder betont: „We love you Germany! Ich liebe dich! If it wouldn’t be for Germany the Backstreet Boys wouldn’t have any success, you are the best fans in the world!“ („Wir lieben euch, Deutschland! Wäre Deutschland nicht, dann hätten die Backstreet Boys überhaupt keinen Erfolg gehabt, ihr seid die besten Fans auf der Welt!“) Und Nick schwört: „I particularly love Cologne! I always eat a lot of Schnitzel, a lot of Bockwurst.“ („Am meisten liebe ich Köln! Ich esse immer viel Schnitzel und viel Bockwurst.“) Ja, typisch Kölsch eben, da kennt sich ein Kölnliebhaber scheinbar besonders gut aus mit den Spezialitäten seiner Stadt.
Zu meiner eigenen Schande muss ich ja gestehen: Bevor ich die laute Gitarrenmusik entdeckte, damals mit zwölf, war ich selbst auch mal großer Boygroup-Fan, mein gesamtes Kinderzimmer war zutapeziert mit Us 5 Postern. Bis mir eines Tages schwindelig wurde von all den leeren Augen, die mich von den Wänden her anstarrten. Ich riss sie ab, alle auf einmal. Mit dieser Barbie-Welt wollte ich nichts mehr zu tun haben. Das will ich auch heute nicht mehr. Mir sind die kleinen schmutzigen Punkläden tausendmal lieber, in denen der Boden vor lauter Bier klebt, die PA an den Gehörgängen kratzt und sich die schwitzenden Körper gegeneinanderwerfen im kathartischen Augenblick ehrlicher nackter Musik.