Konzert in Kölner Lanxess-ArenaWarum kann ich kein netter Kerl sein, wie DJ Bobo?
- In unserer neuen Serie „Was mach ich hier eigentlich?“ gehen unsere Kultur-Kritiker dorthin, wo es sie auf Anhieb nicht hinziehen würde, wo es ihnen vielleicht sogar persönlich wehtut. Dort werfen sie einen neugierigen Blick auf eine für sie fremde Welt.
- Im dritten Teil besucht Christian Bos ein Konzert von DJ Bobo in Köln.
- Der Abend führt in die Selbstzweifel: "Was läuft da bloß falsch bei mir? Warum kann ich kein netter Kerl sein, wie DJ Bobo?"
Köln – DJ Bobo ist ein netter Kerl. Nein, wirklich. Sehr angenehm. Das war zumindest mein Eindruck, als ich dem eidgenössischen Eurodance-Star zum bislang letzten Mal begegnete, auf einem Pressegespräch, vor 20 Jahren. Keine Ahnung, was DJ Bobo seitdem unternommen hat. Man könnte sagen, wir haben uns aus den Augen verloren. Aber nun sitze ich im Oberrang der Lanxess-Arena – mir schwindelt ein wenig, es ist ein weiter Weg nach unten – und schaue auf ein riesiges Bild von DJ Bobo, das den Sänger?, Tänzer? Rapper? (was genau macht DJ Bobo eigentlich?) in einem Superhelden-Kostüm zeigt, das ihn als uneheliches Kind von Iron Man und Captain America ausweist. Derweil singt Cher „Do You Believe“. Wie früher in der Eisdisco.
Ich will hier niemanden kennen lernen
„Meine Damen und Herren, willkommen bei „Kaleidoluna“.“ Es ist die Stimme des DJs höchstpersönlich, mit leicht angeknacksten k‘s vor unverhohlener Freude vibrierend. „Bitte begrüßen Sie jetzt ihren Sitznachbarn. Auch den, den sie noch nicht kennen.“ Dann sollen wir auch noch die Menschen vor und hinter uns grüßen. „We are what we are – together“, wird DJ Bobo später singen. Ich halte verschämt den Kopf nach unten, ich will hier niemanden kennenlernen. Am Ende halten wir uns noch an den Händen, so kirchentagsmäßig. Und wie erzähle ich das dann meinen zynischen Freunden?
Er sei bereits im Raumanzug und befinde sich im Anflug auf Köln, verkündet DJ Bobo, der bürgerlich René Baumann heißt und allen Ernstes in einer Ortschaft namens Kastanienbaum lebt. Auf der Bühne erscheint nun die Projektion einer Kommandokapsel, mit Blick aufs Sternenmeer. Ein schwerer Gitarrenakkord, im Einspielfilm sehen wir DJ Bobo tatsächlich im Display-Glimmer des Iron-Man-Helms. Schon steht er ganz oben auf dem acht Meter hohen Bühnenkasten. Er singt, dass wir aus Farben und Sternen gemacht sind, und dass wir ewig leben werden. Immerhin, der Mittelteil stimmt. Aus dem Kasten dreht sich ein Raumgleiter wie aus einem türkischen Star-Wars-Rip-off und DJ Bobo bekommt Besuch von einer galaktischen Blondine im doppelt geschlitzten Goldlamé-Kleid. Er selbst trägt eine bonbonblaue Uniformjacke, ein Page im Hotel zur Glückseligkeit.
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Dann folgt der Rap-Part. Es ist immer der gleiche Rap-Part, in jedem einzelnen Song. Baumann greift das Schlüsselwort des jeweiligen Stückes auf – Party, Peace oder Everybody – und ergänzt die offensichtlichsten Reimwörter. Dance-Romance, Move-Groove, Feet-Beat. Es ist, vorsichtig gesagt, nicht gerade Kendrick Lamarr. Wenn DJ Bobo rappt, hofft man eigentlich nur, dass er bald wieder singen möge. Andererseits, wenn DJ Bobo singt. . . Sie wissen, worauf ich hinauswill.
Erinnerungen an die erste Tanzstunde
Gut, das „man“ im vorletzten Satz ist eine glatte Lüge. Das „man“ bin nur ich, der verstockte Typ der gerade niemanden die Hand geben wollte. Einer von Zehntausend. 9999 sehen das völlig anders. 9999 schwelgen gerade in Erinnerungen an ihre erste Tanzstunde, an die – wenn man nicht ausgerechnet im Irak oder im Kosovo wohnte – herrlich unbeschwerten 1990er. DJ Bobo hat es derweil ganz nach unten auf die ins Publikum hineinragende Bühne geschafft und möchte jetzt aber wirklich jede einzelne Hand sehen.
Dann erzählt er von seiner allerersten, selbst erworbenen Schallplatte, „Queen Live Killers“. Wie stolz er war. Wie er versucht hat das Schlagzeugsolo am Ende der Platte nachzutrommeln. Wie er davon geträumt hat eines Tages selbst eine Platte herauszubringen. Wie die ersten eigenen Veröffentlichungen krachende Misserfolge waren. Das macht ihn noch sympathischer. Später holt er ein siebenjähriges Mädchen auf die Bühne und versucht mit ihm den Rhythmus von „We Will Rock You“ nachzuklopfen. Die Kleine ist von der Gesamtsituation überfordert, aber das macht nichts, in DJ Bobos Welt gibt es kein Scheitern, nur Liebe und Verständnis.
Unweigerlich folgt in seiner Geschichte der Erfolg. Der erste Hit „Somebody Dance With Me“ ist eine schamlose Kopie von Rockwells „Somebody‘s Watching Me“, man einigt sich außergerichtlich. Es gibt so einige DJ-Bobo-Songs, die sich gefährlich nah an andere Hits anlehnen: „Here Comes Tomorrow“ erinnert an Madonnas „Like a Prayer“, den Ersatz-Reggae von „It‘s My Life“ hat sich Bobo von 10cc‘s „Dreadlock Holiday“ geborgt, „Chihuahua“ stellt den waghalsigen Versuch dar, „Mambo No. 5“ und den „Ententanz“ zu einem noch enervierenden Lied verschmelzen zu lassen und die Melodie von „Freedom“ zitiert, echt jetzt?, Nicoles „Ein bisschen Frieden“. Und setzen sich nicht auch seine Texte aus Karaoke-Versatzstücken zusammen? Immerzu kann hier jemand den Himmel berühren oder seine Flügel ausbreiten. Wenn man seinen Kopf mehrmals willentlich gegen ein massives Radiogerät rammt, wird man wahrscheinlich DJ Bobo hören.
Warum kann ich kein netter Kerl sein, so wie DJ Bobo?
Aber er macht ja etwas mit diesem Fremdmaterial. Meißelt alle Ecken und Kanten ab, bis er zum reinen, positiven Kern der Musik vorgedrungen ist. Gibt es den überhaupt? Oder ist das ein Kinderglaube, den man spätestens mit der Grundschulreife abgelegt hat? Glücklich, wer dahin zurückfindet. Zu DJ Bobo, in die Kita des Pop. Jede Feuersäule, jede Lichtspielerei, jede Konfettikanone und kippelnde Bühne wird vom Publikum mit erstaunten Ohs und Ahs quittiert. Im Gegenzug empfängt DJ Bobo jeden Applaus mit grinsendem Honigkuchenpferdgesicht. Ich fühle mich wie der Spiegelsplitter, der in Hans Christian Andersens „Schneekönigin“ die Herzen kalt werden lässt. Ein Spalter. Was läuft da bloß falsch bei mir? Warum kann ich kein netter Kerl sein, wie DJ Bobo?
„Love Is All Around Us“, behauptet der jetzt. Die Arena steht und feiert und freut sich. Auf dem Gang tanzt selbstvergessen ein Hipsterpärchen. Ironie? Ecstasy? Erfolgreiche Therapie? Nein, es muss wohl die versprochene Liebe sein. Neben DJ Bobo singt seine Frau Nancy, er stellt sie als „die Liebe meines Lebens“ vor. Bald wird er sich wieder mit ihr zurückziehen, ins Haus am Ort namens Kastanienbaum, und seine nächste Tournee zum 30-jährigem Bühnenjubiläum vorbereiten. Doch wir, lieber René Baumann, wir werden uns nicht mehr wiedersehen.