The Last Dinner Party gastierte im ausverkauften Luxor. Sängerin Abigail Morris brach in Tränen zusammen. Unsere Kritik.
Band des JahresThe Last Dinner Party geben ein letztes Club-Konzert in Köln
Abigail Morris riecht gut. Sehr gut sogar. Auch noch nachdem sie eine dreiviertel Stunde lang im weißen viktorianischen Unterkleid über die kleine Bühne des Luxor gefegt ist, sich übers Absperrgitter ihren überwiegend weiblichen, überwiegend weiß berüschten Fans entgegen beugt und ihnen ganz nah zuflüstert: „Ich wünschte, ich hätte dich gekannt, bevor sich das wie eine Sünde angefühlt hat.“ Wer sich hier noch mit katholischem Schuldbewusstsein auskenne, hatte Morris zuvor ins Publikum hinein gefragt. Die Reaktionen fielen enthusiastisch aus. Immer noch das beste Aphrodisiakum.
Zugegeben, das Flüstern habe ich frei erfunden (und die olfaktorische Beobachtung wurde mir von einer schwärmenden Zuschauerin aus der ersten Reihe mitgeteilt). Abigail Morris hat schon in der angemessenen Lautstärke gesungen. Es fühlte sich nur so intim an. Und das war es ja auch. Der Club ist längst zu klein für The Last Dinner Party, die Fünf-Frauen-Band, die an diesem Samstagabend ihr erstes Kölner Konzert gibt.
„Prelude to Ecstasy“, das Debüt-Album des Londoner Quintetts, ist in Großbritannien gerade auf den ersten Platz der Charts eingestiegen. Seit den Arctic Monkeys – vor immerhin 18 Jahren – hat keine Band mehr einen solchen Hype auf der Insel generiert. Aber was heißt hier Hype: Die jungen Frauen haben sich im Live-Musik-Pub The Windmill in Brixton kennengelernt, aus dessen Szene einige der besten Acts der vergangenen Jahre hervorgegangen sind, von Black Midi bis Black Country, New Road. Schnell beschloss man, dass man das auch wollte, eine Band gründen, eher jedenfalls, als sich aufs Studium zu konzentrieren.
Tatsächlich ging der Ekstase Fleiß voran, die just formierte The Dinner Party (damals noch ohne „Last“) nutzte die Pandemie zum intensiven Proben und nahm in der Zeit nach den Lockdowns jeden Gig an, den sie kriegen konnte. Weshalb sie sich der breiten Öffentlichkeit nun perfekt eingespielt präsentieren können.
The Last Dinner Party nutzten die Pandemie zum intensiven Proben
Zum Fleiß kamen Fähigkeiten: Lead-Gitarristin Emily Roberts, zum Beispiel, hatte sich nicht nur in einer Queen-Coverband Brian Mays akrobatisches Saitenspiel draufgeschafft, sondern war auch als „Young Jazz Musician of the Year“ der BBC bis ins Halbfinale gekommen. Und Keyboarderin Aurora Nishevci hat an der renommierten Guildhall School of Music and Drama Komposition studiert, leitet ihre Kolleginnen in der Mitte des Sets zu einem Choral an, mit dem sie ihre albanische Herkunft feiert – und ist auch für das instrumentale Intro auf dem Debüt verantwortlich. Ja, „Prelude to Ecstasy“ hat sein eigenes Präludium.
Zurückhaltung ist The Last Dinner Party fremd, es geht um korsettsprengende Gefühle, um Theatralik und Opulenz. Um das große Fressen als einzig vernünftige Reaktion auf eine zunehmend prekäre Existenz. Je nach Alter des Hörers erinnern sie deshalb an andere bekannte Melodramatiker der Popgeschichte, an die Sparks, an Siouxsie and the Banshees, an Florence + the Machine. Was sie mit diesen Vorbildern ebenfalls gemein haben, ist das Händchen für eingängige Melodien. Aber ihre Songs sind schon jetzt unverwechselbar.
Etwa die Tempowechsel in „Caesar on a TV Screen“, in dem sich Morris als breitschultriger Mann in immer grandioseren Szenarien imaginiert, kulminierend in der Zeile: „Ich fühle mich wie ein Kaiser, mit einer Stadt nur zum Verbrennen.“ Oder den nachtschattigen Refrain von „On Your Side“, der eine durchwachte Wolfsstunde in einer toxischen Beziehung heraufbeschwört, als würde sie die blaue Blume der Romantik verbergen.
Zurückhaltung ist auch den Fans von The Last Dinner Party fremd. Zum eben erwähnten Song halten sie auf vorherige Verabredung hin rote Pappherzchen hoch und bringen die tief gerührte Band damit beinahe aus dem Konzept, Abigail Morris bricht in Tränen zusammen, stottert von einem der besten Konzerte ihres Lebens, umarmt die Urheberin der Aktion.
Der kaum eine Stunde währende Set vergeht wie im Rausch und endet, erwartungsgemäß, mit der Hitsingle „Nothing Matters“: Morris hatte sie als Schmachtballade an ihre damalige Beziehung geschrieben, die Band sie in eine Uptempo-Hymne an ungebremste Lust verwandelt, das Publikum im Luxor schreit sich die Seele aus dem Leib, bald werden es Zehntausende vor Festivalbühnen sein und Abigail Morris ist außer Riechweite. Schade. Auch wenn es erst Mitte Februar ist und Taylor Swift noch ansteht: Konzert des Jahres.