Das Bonner Beethovenfest positioniert sich mit Vorträgen von Luisa Neubauer und Markus Gabriel politisch, steht aber vor dem Problem der geteilten Aufmerksamkeit zwischen Diskurs und Musik.
Beethovenfest BonnWarum der politische Anspruch ein Problem ist
Keine Frage, unter der Ägide seines Intendanten Steven Walter segelt das Bonner Beethovenfest hart am Wind der Zeit. Das wurde anlässlich der Eröffnung der 2024er-Ausgabe wieder einmal eindrucksvoll deutlich. Klar, die übliche Sinfonie des Genius loci fehlte auch jetzt beim ersten Konzert des einmonatigen Reigens in der Bonner Oper nicht. Die hochbegabte Hongkonger Dirigentin Elim Chan dirigierte zum Schluss die Potsdamer Kammerakademie mit der Fünften.
Das war eine aggressive, vor Energie nur so berstende Interpretation mit peitschenden Synkopen und gellenden Blechbläsern, die in jeder Hinsicht geeignet war, die Zuhörer aus einer gleichmütig-temperierten Feierstimmung herauszuholen. Beethoven bekam da jene Dringlichkeit zurück, die in der Konzertroutine oft genug verloren geht. Nämliches galt für die Vorstellung der Eroica-Variationen opus 35 durch den georgischen Pianisten Giorgi Gigashvili.
Zwischen diesen Programmpunkten aber hatte sich durchaus Ungewöhnliches ereignet. Zu den Klängen der Cavatina aus dem Streichquartett opus 130 hielt die Klimaaktivistin Luisa Neubauer eine „Rede in Es-dur“. Die Verbindung zwischen beidem: Die Cavatina findet sich auch auf einer goldenen Platte, die seit 1977 mit der Raumsonde Voyager im Weltall unterwegs ist. Neubauer reflektierte nun aus einer fiktiven Universum-Perspektive zu Beethovens Musik über Vernunft und Zerstörung, Verzweiflung und Hoffnung – und über die Demokratie (und unser Grundgesetz im 75. Jahr seines Bestehens) in Zeiten ihrer Gefährdung.
Eine unangenehme Portion Selbstgerechtigkeit
Das war mehr als ein Diskussionsbeitrag, das durfte eine eindeutige Positionierung seitens der Veranstalter genannt werden, die ausweislich einiger Buhrufe am Ende auch nicht allen Besuchern gefiel – wobei allerdings nicht deutlich werden konnte, wogegen sich der Unmut konkret richtete: gegen Neubauers Klima-Diagnosen, gegen die in der Sache wohl wenig einzuwenden ist, oder gegen das Format der Veranstaltung, das in der Tat Kritik provozieren konnte. Da war zunächst das Problem der geteilten Aufmerksamkeit zwischen Diskurs und Musik. Weil die Cavatine für die Rede zu kurz ist, spielte das Streichquartett des Ensembles Resonanz sie in unerquicklicher Endlos-Schleife mit „Hängenbleibern“ wie bei einer ruinierten Langspielplatte.
Die melodramatische Kombi aus gebethaftem Klang und leidenschaftlicher Rede ließ dieser wiederum einen suggestiven Predigtton mit einer unangenehmen Portion Selbstgerechtigkeit zuwachsen. Denn gerade vor dem Hintergrund des steilen Anspruchs tut sich ein unabweisbarer Grundwiderspruch auf: Ein klimagerechtes Beethovenfest wäre in letzter Konsequenz eines, das nicht mehr stattfindet – schließlich kommen weder die internationalen Künstler noch die Gäste überwiegend mit dem Fahrrad nach Bonn. So gesehen, waren vielleicht die vereinzelten Protestrufe am Ende sogar „ehrlicher“ als die wohlfeilen Beifallsbekundungen der Mehrheit.
„Miteinander“ ist das Motto des diesjährigen Festes, und damit macht es im Rahmen seiner Möglichkeiten tatsächlich ernst. Dazu gehört zum einen die Sprengung des hermetischen Klassik-Kanons: Das Eröffnungskonzert begann mit einem Auftritt der elfköpfigen Hamburger Techno-Marching-Band „Meute“, die Techno-, House- und Deep-House-Werke von bekannten DJs neu arrangiert und die elektronischen Beats mit den Instrumenten einer Blaskapelle umsetzt.
Sanierungskatastrophen wie ihr Opernhaus gibt es auch rheinaufwärts
Zum anderen verwirklicht sich der inklusive Anspruch dadurch, dass das Beethovenfest offensiv in die Lebenswelt der Stadt hineingeht und auch dort jene anzusprechen versucht, die mit klassischer Musik von Haus aus nichts am Hut haben. So fand das Konzert im Opernhaus zeitgleich, aber in umgekehrter Reihenfolge auch auf dem Münsterplatz statt – dort als Open Air bei freiem Eintritt.
Hinein in die Stadt – diese Devise signalisiert freilich auch eine Flucht nach vorne angesichts der beschränkten Raumoptionen. Keine Frage: Erneut darf der Verzicht auf das atmosphärisch tote World Conference Center als Event-Ort eine eklatante Verbesserung genannt werden. Aber es bleibt das Desiderat eines großen zentralen Veranstaltungsortes – welcher die Beethovenhalle auf Jahre hinaus nicht sein wird. Für Kölner ist das irgendwie tröstlich: Sanierungskatastrophen wie ihr Opernhaus gibt es auch rheinaufwärts.
Fortgesetzt wurde die Tradition hochkarätiger Start-Vorträge zum Festivalmotto in der Kreuzkirche. Diesmal sprach der Bonner Philosoph Marcus Gabriel in 45-minütiger freier Rede über das „Miteinander“ als zentraler Wert der liberalen Demokratie. Im Nachgang zu Schiller und Moses Mendelssohn entwickelte Gabriel darin den Gedanken Freiheit in der Kunst gleichsam als Vorschein und Symbol politischer Freiheit.
Erschien freilich die Brücke zwischen Kunst und liberaler Demokratie doch etwas brüchig, so entbehrte der Gedanke der essenziellen Bedeutung, die ein kommunikatives Miteinander für eine demokratische Gesellschaft hat, der Originalität. Individualisierung durch Vergesellschaftung – es ist dies eine Idee, die Jürgen Habermas schon vor langer Zeit ausführlich entwickelt und begründet hat. Das ist halt ein Problem bei solchen Vorträgen: Klopft man sie auf ihre harte argumentative Substanz ab, zerbröseln sie einem wie Sand zwischen den Fingern.