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Anne-Sophie Mutter in der PhilharmonieDie Romantik ersteht in ihrer ganzen Pracht

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Anne-Sophie Mutter

Anne-Sophie Mutter

Die Stargeigerin überzeugte in der Kölner Philharmonie und sandte Botschaften für den Frieden aus.

Vor der Pause bekam die Jubiläumsanzeige einen kräftigen schwarzen Trauerrand: Im ersten Meisterkonzert der Saison in der Kölner Philharmonie feierte die Westdeutsche Konzertdirektion (WDK) ihre Gründung vor 111 Jahren, aber die Solistin Anne-Sophie Mutter ließ es nach Mendelssohns Violinkonzert keineswegs positiv-festlich zugehen: Sie kündigte als Zugabe John Williams' Musik zu Steven Spielbergs Film „Schindlers Liste“ an – in Erinnerung an den deutschen Überfall auf Polen vor 85 Jahren und „die Menschen, die auf dieser Erde in 200 simultan stattfindenden Kriegen sterben“.

So eine Geste samt Erklärung kann auch als wohlfeiles Gutmenschentum vor saturiertem Publikum auf der Sonnenseite unseres Planeten herüberkommen. Der Stargeigerin nimmt man ihre emotionale Betroffenheit aber ab – sie umschifft die heikle Klippe des Fremdschäm-Impulses mit einigem Glück und Geschick. Musikalisch findet sie, vom Pittsburgh Symphony Orchestra unter Manfred Honeck angemessen begleitet, sowieso überzeugend den angezeigten Trauerton. Da brilliert sie nicht mehr, da entfaltet sich auf ihrer Stradivari die Magie des ganz Leisen, eines zerbrechlichen Gesangs, eines Verklingens und Verschwebens.

Mutter wurde längst selbst zur Legende

In jedem Fall war Anne-Sophie Mutter die richtige Wahl für den Anlass. Sie verkörpert wie kaum jemand sonst bundesrepublikanische Aufführungsgeschichte im E-Musikbereich. Es war Herbert von Karajan, der die Badenserin noch im Kindesalter entdeckt hatte. Karajan – dieser Name führt nun tatsächlich in eine tiefe, fast schon mythische Vergangenheit. Nicht zuletzt durch diese Connection wurde Mutter ihrerseits längst zur Legende.

Mythisch, legendär ist auch Mendelssohns Konzert, das die Interpretin in ihrem Leben zigfach – ja, wie viele mal eigentlich? – aufgeführt hat. Das hört man ihrem Spiel nicht an, da gibt es keine flache Routine, keine Abwicklung nach Schema F, da geschieht alles im unmittelbaren Hier und Jetzt. Fein, aber dicht und intensiv, agil und vital hebt das Solo über dem Streicherpuls an, Manieren werden zurückhaltend eingesetzt, allemal atmen die Phrasen in Pausen und Abbrüchen. Das lyrische Seitenthema wird stark zurückgenommen, suggestiv gelingen die pianissimo intonierten Spitzen. Dann wieder steigt der Ballon des konzertanten Zugriffs ungebremst in die Luft, und in den Stretta-Partien dreht die Virtuosin ganz schön auf.

Nun muss man nicht alles gut finden, was sie macht. Zuweilen bleibt sie wahrnehmbar unter Ton, und das Finale – mit ein paar nach oben wegflitschtenden Tönen – kommt dann doch ein bisschen zirzensisch-sportiv einher. Das vermag aber den Gesamteindruck kaum zu beeinträchtigen, die Romantik ersteht hier in ihrer ganzen Pracht, Farbigkeit und Innerlichkeit, in Licht und Schatten, Melancholie und Überschwang.

Das Orchester agiert auf höchstem Niveau

Vital, geschmeidig, alert, auf höchstem spieltechnischem Niveau agierte auch das amerikanische Orchester unter seinem österreichischen Chef. Das war bereits so in John Adams' einleitendem kurzem Stück „Short Ride in a Fast Machine“ von 1986, in dem sich das Ensemble mit Drive, Schwung und rhythmischem Biss gegen die hartnäckig repetierten Schläge auf einen Holzblock durchsetzen muss. Schließlich Mahlers erste Sinfonie, die bekanntlich die Entstehung einer klingenden Welt aus dem Quartintervall heraus beschwört. Das muss man so allerdings auch vermitteln können, aber Honeck ist dafür eindeutig der richtige Mann.

Die Einleitung zum ersten Satz ist eine Suchbewegung, die zu einer definierten Gestalt erst noch finden muss. Der Dirigent machte vor, wie das überzeugend funktioniert, wie eine konzeptionelle Idee wahrhaft zu Musik wird: Zunächst ein in die Zeitlosigkeit hineintönendes Fragment, wird besagte Quarte beim Eintritt des Hauptsatzes Motor einer gerichteten Entwicklung.

So ging es dann weiter: Der zweite Satz klang in seiner ordinären Volkstümlichkeit ziemlich ironisch, der dritte düster und bedrohlich. Im Finale schließlich bahnten nachdrücklich quälende Steigerungen den Weg zu Durchbruch und Triumph. Im Publikum herrschte danach nachvollziehbare Begeisterung.