Das Leipziger Gewandhausorchester rückte unter Andris Nelsons in der Kölner Philharmonie zwei weniger präsente Werke von Mozart und Bruckner in den Fokus.
Kölner PhilharmonieLeipziger Gewandhausorchester präsentiert vergessene Werke von Mozart und Bruckner
Ja, sie gibt es: wenig bekannte Meisterwerke allseits bekannter Komponisten, deren geringe Präsenz im Konzertleben auf Anhieb schwer zu erklären ist. Das Leipziger Gewandhausorchester unter Andris Nelsons hatte bei seinem jüngsten Auftritt in der Kölner Philharmonie gleich zwei von ihnen im Gepäck: Mozarts großes Klavierkonzert KV 503 aus dem „Figaro“-Jahr 1786 ist „an sich“ ein absolutes Meisterstück, weit ausladend in seinen sinfonischen Dimensionen, berückend in seinen kontrastiven Hell/Dunkel-Stimmungen, großartig in seiner thematisch-motivischen Verarbeitung im Wechselspiel von Solist und Orchester. Nebenbei: Beethoven nahm es sich zum Modell für sein erstes Klavierkonzert. Vielleicht ist es der äußerlich etwas neutrale Triumphgestus, der seine Vorzüge im Vergleich zu den Schwesterwerken verdeckt und es in der Publikumsgunst ins Hintertreffen geraten lässt.
Und Bruckner Sechste? Da fällt die Antwort auf die Eingangsfrage noch schwerer. Das Werk zerfließt nicht, wie jedenfalls die Fama es anderen seiner Sinfonien nachsagt, in Form- und Endlosigkeit, sondern ist konzis und übersichtlich, ja geradezu schulmäßig gebaut, will definitiv zu einem Schluss kommen. Kurzum: In beiden Fällen besteht kein Grund für mindere Wertschätzung, und die Kölner Aufführung – zumindest die der Sinfonie – legte dies auch nicht nahe.
Understatement des Klaviervirtuosen Daniil Trifonov
Zunächst also das Mozart-Konzert – nach Thomas Adès‘ „Shanty – Over the sea“ (2020), einer klanglich suggestiven Impression über ein englisches Matrosenlied, das in den Celli und auch sonst sozusagen als Cantus firmus immer wieder durchkam und der Spielkultur der Streicher das beste Zeugnis ausstellte. Der russisch-amerikanische Tastenstar Daniil Trifonov, vor Jahren bekannt geworden durch seine spieltechnisch wie atmosphärisch überragenden Interpretationen der Liszt-Etüden, machte – prinzipiell sehr zu Recht – von Anfang an klar, dass der aus dem 19. Jahrhundert geläufige Virtuosen-Appeal hier nicht zieht und deplatziert wäre. In deutlicher Verlangsamung gegenüber dem ersten Orchestertutti kam die Solo-Introduktion, und es blieb im Fortgang nicht nur bei einem dezidiert maßvollen Tempo, sondern auch insgesamt bei einem klanglich-gestischen Understatement, das – leider, leider – den Solopart etwas unter Wert verkaufte.
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Mozarts Klavierkonzert blieb hinter den Erwartungen zurück
Unerachtet eindrucksvoller Stellen, etwa des Pingpong-Spiels mit dem Auftakt-Motiv des Marschthemas in der Durchführung, führte die Herausnahme des energetischen Inputs stellenweise gleichsam in eine Stillstandsregion. Trifonovs Anschlag wiederum ist klar, konzise, unsentimental, drängt Mozart in keinem Augenblick ins Harmlos-Niedliche, aber er entbehrt auch des Charismas, des Glühens und Blühens einer vollends erfüllten Anverwandlung. Etwas skurril geriet zudem die modulatorisch weit ausladende Kadenz Marke Eigenbau. Zweifellos besserte sich der Eindruck im langsamen Satz und im Finale, aber angesichts dessen, was man von diesem Spieler erwarten durfte, ist im Ergebnis doch eine Enttäuschung zu konstatieren. Ein merkwürdiger Umstand angesichts der Tatsache, dass Trifonov ausweislich seiner Agenda gerade dieses Werk offenkundig gerne spielt. Ausgerechnet in der Zugabe, der Klavierbearbeitung einer Nummer aus Tschaikowskys „Dornröschen“ durch den Kollegen Mikhail Pletnev, machte er dann Boden gut – sie geriet zu einem zauberhaft-schwerelosen, spritzigen Capriccio.
Leipziger Gewandorchester konnte vor allem in der Bruckner-Sinfonie glänzen
Auch das Gewandorchester hatte in der Mozart-Begleitung noch nicht zu optimaler Form gefunden, da klang einiges arg laut, fest und statisch. Das war in der Bruckner-Sinfonie dann wie weggeblasen. Sicher, „romantisch“ nach altem Verständnis klingt der Meister aus Sankt Florian hier weniger. Gleich der Einstieg in den ersten Satz mit dem rhythmisch kräftig profilierten cis der Violinen, dem anschließend in den Bässen kommenden Hauptthema und dem prägnant herausgestellten (und übrigens großartig gespielten Hornsolo) zeigte eine Klangdramaturgie an, die nicht auf Verschränkung und Vermischung zielte, sondern auf eine genaue Herausstellung von Charakteren und Gesten bis in die Tiefe der Partitur hinab. Und Nelsons liebt „offenhörig“ den Formarchitekten Bruckner, der riesige Spannungsbögen über Zäsuren hinweg baut. Das schließt „Verweilungsemphasen“ bei den Seitenthemen nicht aus – wobei dem Maestro das an Dichte und Sanglichkeit kaum zu übertreffende Legato der Gewandhaus-Streicher immer wieder zur Hilfe kam.
Mal schwebte die Musik, dann wurde sie geerdet, mal wirkte sie eigentümlich entrückt, dann explodierte das Orchester in einer Epiphanie. Eigentümlich herzlich muteten die Zitate aus „Tristan und Isolde“ an, wie ein Heimkommen. Sicher kann man Bruckner auch anders und anders gut spielen. Aber Nelsons und die Leipziger schaffen es im Jubiläumsjahr (200. Geburtstag des Komponisten) überzeugend, einen Bruckner-Sound unverwechselbarer Spezifik und Dringlichkeit hinzustellen.