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FilmfestivalBerlinale-Sieger – eine diskussionswürdige Entscheidung

Lesezeit 4 Minuten
24.02.2024, Berlin: Regisseurin Mati Diop steht während der Preisverleihung bei der Abschlussgala im Berlinale Palast auf der Bühne, nachdem ihr ein Goldener Bär in der Kategorie Bester Film für "Dahomey" überreicht wurde.

Regisseurin Mati Diop gewann den Goldenen Bär der Berlinale

Ein Dokumentarfilm über die Folgen des Kolonialismus triumphiert bei der 74. Berlinale. Preisträger irritieren mit einseitigen Aussagen zum Gaza-Konflikt.

Ein letztes politisches Statement durfte nicht fehlen zum Abschluss der 74. Berlinale: Sie habe einen Film gegen Gedächtnisverlust und Geschichtsvergessenheit inszeniert, rief Berlinale-Siegerin Mati Diop am Samstag­abend im Berlinale-Palast. „Wir können die Vergangenheit als Bürde auffassen oder auch als Grundlage für die Zukunft.“ Sie habe sich mit ihrem Dokumentarfilm „Dahomey“ für Letzteres entschieden.

Die Wahl der Jury um Präsidentin Lupita Nyong‘o passte in den mit vielen aktuellen Themen gespickten Wettbewerb. Und doch hatte dieser mit nur 67 Minuten Spieldauer wohl kürzeste Bären-Sieger in der Geschichte des Festivals bei seiner Premiere Verwunderung ausgelöst: In dem gar nicht so doku­mentarischen Dokumentarfilm sprechen die Geister der kolonialen Vergangenheit zu uns.

Ein unvermittelter Satz von Mati Diop passte nicht recht in ihre Rede, wohl aber zu diesem Abend: „Solidarität mit Palästina!“, rief die Regisseurin mit emporgerecktem Arm. Immer wieder forderten Redner und Rednerinnen die sofortige Beendigung des Gaza-Kriegs und brandmarkten die Besatzungspolitik der israelischen Regierung. Auch von Apartheid war die Rede.

Berlinale-Preisträger irritieren mit Palästinensertuch auf der Bühne

Manche, wie der ebenfalls ausgezeichnete US-Regisseur Ben Russell, hatten sich auf der Bühne eine Kufiya, ein Palästinensertuch, übergeworfen. Der Hamas-Terrorangriff blieb unerwähnt.

Die künftige Berlinale-Intendantin Tricia Tuttle dürfte genau zugehört haben, welch diffiziler Job 2025 auf sie zukommt: Sie saß im Saal und winkte schon mal ins Publikum.

Mati Diop, die in Paris geborene Regisseurin mit senegalesischen Wurzeln, begleitet in ihrem Film die Rückführung von geraubten Kulturgütern aus Frankreich nach Benin. 26 Objekte aus dem Pariser Musée du quai Branly kehrten 2021 dahin zurück, wo sich einst das Königreich Dahomey befand. Auch Deutschland hat inzwischen einige Exponate an Benin zurückgegeben.

Sorgsam katalogisieren, verpacken und verschiffen Museumsleute die Schätze. Aber dann wird’s gespenstisch: Die düster raunende Stimme von Objekt Nummer 26 dringt aus seiner dunklen Kiste. Die hölzerne Statue von König Ghezo spricht von Entwurzelung und von der Angst vor der Rückkehr in ein Land, in dem viele Menschen von den kulturellen Verlusten gar nichts wissen. König Ghezo befürchtet, „dass ich nicht erkannt werde und dass ich nichts erkenne“, sagt er in Fon, einer westafrikanischen Sprache.

Misstraut die Berlinale-Jury der Fiktion?

Um diese schwierige Begegnung geht es der Regisseurin. Später diskutieren Studierende in Benin kontrovers über die Suche nach ihrer kulturellen Identität. Das Treffen hatte Diop allerdings wohl selbst veranlasst. Schließt die Restitution von 26 Objekten von insgesamt 7000 die Wunden der Vergangenheit? Oder steckt darin zuerst postkoloniale Arroganz? Eine brisante Debatte, garniert mit einem gewöhnungsbedürftigen Fantasy-Kunstgriff.

Schon im Vorjahr gewann ein Dokumentarfilm die Berlinale: „Auf der Adamant“ über eine psychiatrische Tagesklinik auf der Seine. Spricht aus der Bevorzugung des Nichtfiktionalen ein Misstrauen der Jury gegen das erzählerische Angebot?

19.02.2024, Berlin: Schauspielerin Isabelle Huppert und Regisseur Hong Sangsoo gehen bei der Weltpremiere des Films "Yeohaengjaui pilyo (A Traveler’s Needs, Sektion Wettbewerb) im Rahmen der Berlinale über den Roten Teppich.

Schauspielerin Isabelle Huppert und Regisseur Hong Sangsoo, Gewinner des Großen Jury-Preises der Berlinale.

Über einige Preisentscheidungen lässt sich trefflich diskutieren. Der Große Jury-Preis und damit die zweitwichtigste Auszeichnung ging an einen Stammgast: Der Südkoreaner Hong Sangsoo folgt in der Komödie „Yeohaengjaui pilyo“ (A Traveler‘s Needs) einer Möchtegern-Französischlehrerin durch Seoul, verkörpert von Isabelle Huppert, die liebend gern das traditionelle alkoholische Getränk Makgeolli schlürft.

Womöglich genoss die Jury gerade die ziellose Leichtigkeit in einem von schweren Themen dominierten Wettbewerb. Der humorbegabte Regisseur wandte sich mit den Worten an die Jury: „Ich weiß nicht, was Sie in dem Film sehen und bin da wirklich neugierig.“

Sowieso scheint die Jury eine Vorliebe fürs Skurrile geleitet zu haben. Der Jury-Preis ging an Bruno Dumonts Science-Fiction-Persiflage „L‘Empire“. Den Film muss man sich als „Star Wars“ in einem französischen Fischerdorf vorstellen. Laserschwerter surren, Raumschiffe in Kathedralenform verdüstern den Himmel. Das alles ist halbwegs komisch. Aber auch preiswürdig? Der Regisseur befragte auf der Bühne eine Handy‑KI nach der Definition von Filmkunst.

24.02.2024, Berlin: Schauspieler Sebastian Stan steht während der Preisverleihung bei der Abschlussgala im Berlinale Palast auf der Bühne, nachdem er für seine Rolle in "A Different Man" einen Silbernen Bären in der Kategorie Beste schauspielerische Leistung in einer Hauptrolle gewonnen hat.

Sebastian Stan, bekannt als Marvels „Winter Soldier“ gewann einen Silbernen Bären für die Beste schauspielerische Leistung

Ähnlich verhält es sich mit dem Regie-Preis: Wohl nur bei der Berlinale trifft man auf ein sprechendes Nilpferd. „Pepe“ ist ein von Afrika nach Kolumbien in den Privatzoo des Drogenbarons Pablo Escobar verschleppter Koloss, der sich nach seiner Erschießung durch Regierungssoldaten Gedanken über den Kolonialismus macht. Das experimentelle Werk des dominikanischen Filmemachers Nelson Carlos De Los Santos Arias war zumindest der originellste Wettbewerbsbeitrag.

Erstaunlich auch der Silberne Bär für die beste schauspielerische Leistung an Sebastian Stan im Film „A Different Man“, der sich um die Frage dreht, ob Schönheit wirklich glücklich macht. Den Wettbewerb dominierten jedoch komplexe Frauenrollen. Oder war die Auszeichnung ein Wink an das amerikanische Kino, dass sich der Weg nach Berlin lohnt? Die schwarzhumorige Komödie war der einzige US-Beitrag. Für ihre Nebenrolle als mitleidlose Mutter Oberin im irischen Eröffnungsfilm „Small Things Like These“ wurde die Britin Emily Watson ausgezeichnet.

Für die starken deutschen Beiträge blieb der Drehbuchpreis für Matthias Glasner: Sein Drama „Sterben“ ist ein vielschichtiges Werk über letzte Dinge – und ein Film über den „Mangel an Liebe“, wie Glasner sagte. Andreas Dresen ging mit seinem NS‑Widerstandsdrama „In Liebe, Eure Hilde“ leer aus. Für herausragende künstlerische Arbeit wurde der Kameramann Martin Gschlacht gewürdigt: So klaustrophobisch wie er in dem Historienfilm „Des Teufels Bad“ hat selten jemand in österreichischen Wäldern gefilmt.