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Bestseller-Autorin Caroline Wahl„Ich möchte in irgendeiner Sache die Beste sein“

Lesezeit 9 Minuten
Caroline Wahl ist eine deutsche Schriftstellerin.

Caroline Wahl ist eine deutsche Schriftstellerin.

Gleich ihr Debüt „22 Bahnen“ war ein großer Erfolg. Bestseller-Autorin Caroline Wahl spricht mit uns über falsche Bescheidenheit und die Macht der Gefühle.

Frau Wahl, Sie sprechen bei der lit.Cologne im Live-Podcast „Hotel Matze“ über Ehrgeiz, Erfolg und das Schreiben. Hat Sie eigentlich mehr überrascht, dass Ihre beiden ersten Romane gleich Bestseller geworden sind oder dass es für so viel Aufmerksamkeit gesorgt hat, dass Sie selbstbewusst formuliert haben, erfolgreich sein zu wollen?

Mich überrascht und irritiert mehr, dass meine Aussagen, dass ich erfolgreich sein will, so viel Aufmerksamkeit nach sich ziehen. Da finde ich den Erfolg nachvollziehbarer, weil er organisch gewachsen ist und ich mich so an ihn gewöhnen konnte. Das sollte irgendwie schon so kommen, denke ich manchmal, und ich weiß nicht, woher dieses Selbstbewusstsein kommt. Es ist auch erst mit diesem Erfolg auf einmal in dieser Form da gewesen, aber jetzt, wo er da ist, muss man ihn auch feiern und stolz drauf sein, weil er ja vielleicht nicht für immer so da ist.

Sie haben gesagt, Sie wollen die Beste sein. Das ist natürlich ein Statement.

Ich habe das gesagt, weil ich es wirklich will. Es ist einfach so aus mir herausgekommen. Ich musste das auch selbst erst mal hinterfragen. Ich glaube, es war schon immer in mir drin, dass ich in den Dingen, die ich tue, gut und vorne mit dabei sein möchte: Ich möchte in irgendeiner Sache die Beste sein. Wenn man Texte schreibt, die von vielen Menschen gelesen werden, die denen etwas geben, macht das eigene Dasein auch ein bisschen mehr Sinn.

Warum ist die Anerkennung von außen so wichtig?

Das ist eine gute Frage, die ich mir auch oft stelle. Diese Anerkennung ist für mich ein Antrieb. Ich könnte es wahrscheinlich nicht so machen, wie ich es jetzt mache, wenn sie nicht da wäre. Ich glaube, dass dieser Wunsch nach Anerkennung viele Schauspieler:innen, Künstler:innen oder Musiker:innen antreibt. Der mag unterschiedlich motiviert sein. Manche wollen zu bestimmten Kunstkreisen dazu gehören, und andere wollen eben vor allem von vielen unterschiedlichen Menschen rezipiert werden.

Der zentrale Antrieb meines Schreibens ist auf jeden Fall, dass ich das Schreiben liebe, dass ich es liebe, in Geschichten einzutauchen und die Außenwelt ein bisschen zu vergessen
Caroline Wahl

Treibt Sie vor allem dieses Ziel an?

Es ist nicht der zentrale Antrieb meines Schreibens. Der zentrale Antrieb ist auf jeden Fall, dass ich das Schreiben liebe, dass ich es liebe, in Geschichten einzutauchen und die Außenwelt ein bisschen zu vergessen und nicht an den Markt zu denken. Aber wenn ich dann mit diesen Texten nach außen gehe, will ich in irgendeiner Form Rückmeldung bekommen, dass das gut ist, was ich mache.

Können Sie verstehen, dass manche diesen Ehrgeiz kritisch sehen?

Ich kann das total nachvollziehen. Ich kämpfe auch gerade mit der Antwort, weil ich selbst noch nicht so ganz verstehe, warum das bei mir so ist. Bei Sportler:innen macht es ja Sinn, dass sie die Besten sein wollen. Das ist messbar. Aber bei Kunstschaffenden herrscht schon das Idealbild, dass man es nur um der Kunst willen macht. Trotzdem ist dieser sportliche Ehrgeiz in mir drin, aber ich kann gut verstehen, dass es als unsympathisch empfunden wird. Trotzdem ist es ehrlich von mir zu sagen, dass ich die Beste sein will. Ich selbst finde solche polarisierenden Aussagen bei anderen gut, weil sie dazu führen, dass eine Diskussion stattfindet.

Und Sie wollen auch andere ermutigen, selbstbewusster aufzutreten?

Ja, ich freue mich, wenn mir Leute sagen, dass mein Verhalten sie ermutigt, ihre Wünsche laut auszusprechen - gerade bei Frauen und Mädchen, die sich das vorher nicht getraut haben. Mich ermutigt die Kritik mittlerweile, noch ehrlicher zu sein. Ich bin da wie ein Kind, das denkt: Okay, dann aber richtig. Inzwischen sage ich sehr klar, was ich denke. Ich nehme mich da auch selbst nicht so wichtig. Dahinter steckt ja keine Strategie und es ist irgendwie auch lustig, dass Leute sich an den Aussagen einer so unbedeutenden Frau aufreiben.

Clemens Meyer hat sich beim Buchpreis ja auch sehr deutlich zu Wort gemeldet und seinen Anspruch formuliert. Sind die Reaktionen bei einem Mann anders als bei einer jungen Frau, wenn es darum geht, Ehrgeiz zu formulieren?

Auf jeden Fall. Obwohl auch er ja deutlich kritisiert wurde. Aber von Frauen, vor allem von jüngeren Autorinnen, wird definitiv Bescheidenheit erwartet. Man muss dankbar sein, dass man in der Literaturbranche ist, sich ja aber trotzdem behaupten. Ich fand erstaunlich, wie sehr meine Aussagen in dieser Branche irritiert haben und wie sehr man zum Teil belächelt wird.

Von Frauen, vor allem von jüngeren Autorinnen wird definitiv Bescheidenheit erwartet

Vielleicht, weil man eine solche Reaktion nicht gewohnt ist?

Ja, dabei ist es ist komisch, wenn man ehrlich ist. Das ist schließlich der Deutsche Buchpreis. Alle, die in dem Jahr einen literarischen Roman veröffentlicht haben, hoffen vermutlich, auf diese Liste zu kommen. Und wenn man laut ausspricht, dass man traurig und enttäuscht ist, nicht auf der Longlist zu sein, verwundern mich die krassen Reaktionen.

Das Hochstapler-Syndrom, das man ja vor allem Frauen nachsagt, ist Ihnen fremd?

Ich kannte das vorher im Job. In Arbeitsdynamiken habe ich mich manchmal wie eine Schauspielerin gefühlt. Jetzt habe ich das gar nicht. Ich denke, ich bin hier genau richtig. Ich habe meine Sache gefunden, fühle mich angekommen. Ich hatte vorher nie das Gefühl, dazuzugehören. Wenn ich in eine Stadt gezogen bin, wusste ich, ich werde da nicht lange leben, werde diesen Job nicht so lange machen. Mit dem Schreiben war mir von jetzt auf gleich klar, das mache ich mein restliches Leben. Und das lasse ich mir nicht mehr wegnehmen.

Sie haben gesagt, Schreiben sei Ihr Zuhause. Haben Sie Angst, dieses Zuhause zu verlieren, wenn der Erfolg vielleicht irgendwann ausbleibt?

Ich denke gar nicht so weit in die Zukunft. Ich weiß, dass es nicht immer so weitergehen wird mit den nächsten Texten. Es ist auch klar, dass es welche geben wird, die vielleicht nicht ankommen werden. Aber ich habe da schon ein gesundes Selbstvertrauen, dass es erst einmal mehr oder weniger funktionieren wird. Und wenn nicht, ist es so, dann muss man einen anderen Weg finden. Aber das Schreiben wird in irgendeiner Form immer zu meinem Leben gehören.

Viele junge Autorinnen und Autoren haben Schreiben studiert und tauschen sich in Schreibräumen aus. Sie haben „22 Bahnen“ in Zürich geschrieben, als sie dort bei Diogenes gearbeitet haben und nicht besonders glücklich waren. Woher haben Sie die Gewissheit genommen, dass es Ihnen gelingen wird, einen ganzen Roman allein, ohne Austausch, zu schreiben?

Da war diese schwierige Situation: Wegen des Jobs bin ich damals nach Zürich gezogen. Ich startete einen neuen Lebensabschnitt; ich hoffte, es wird gut. Aber es hat mir dort gar nicht gefallen, ich habe mich nicht wohlgefühlt. Da dachte ich, ich schreibe jetzt einen Roman von Anfang bis Ende. In solch ausweglosen Situationen kanalisiert man ja manchmal Kräfte, wo man sich selbst zurückblickend wundert, dass man das geschafft hat. Aber das war halt mein Traum.

Ich weiß nicht genau, was passiert, wohin es geht. Ich weiß auch nicht, wie die Geschichte endet
Caroline Wahl

Und Ihre Ablenkung?

Die Welt der beiden Schwestern hat mir extrem viel gegeben in der Zeit. Meine Abende und das Wochenende habe ich dann eben mit ihnen verbracht. Ich hatte auch die ersten Seiten gleich einer Agentur geschickt, damit ich die Bestätigung hatte, dass das kein komplett zum Scheitern verurteiltes Projekt ist. Dadurch hatte ich ein bisschen Sicherheit. Ich wollte es einfach versuchen und hatte die realistische Hoffnung, dass es ein Buch wird.

Sie sagen, Sie plotten vorher nicht, sondern lassen die Handlung von Ihren Charakteren vorantreiben.

Deswegen macht mir das Schreiben auch so viel Spaß, weil es ein bisschen so ist wie lesen. Bei 22 Bahnen hatte ich am Anfang Tilda und die Grundkonstellation mit der Schwester und der alkoholkranken Mutter, und dann habe ich mich treiben lassen. Ich weiß nicht genau, was passiert, wohin es geht. Ich weiß auch nicht, wie die Geschichte endet. Ich weiß nur, dass es ein mehr oder weniger gutes Ende nehmen wird, weil ich schlechte Enden nicht mag.

Warum ist Ihnen ein gutes oder zumindest hoffnungsfrohes Ende wichtig? Das ist ja auch bei „Windstärke 17“ so.

Weil das der Weg ist, den ich mit den Protagonistinnen gehe. Es startet ja meistens schlechter als es endet. Ida flüchtet zum Beispiel aus der Wohnung, in der die Mutter gerade gestorben ist, und findet dann den Weg zurück ins Leben. Ich möchte auch nicht, dass es ein geschlossenes Happy End ist, ich verlasse die Figuren an einem Punkt und lasse das ein bisschen offen. Für schlechte Enden schreibe ich keine Romane.

Sie sagen, Sie mögen extreme Gefühle wie Wut sehr gerne. Viele Menschen sind eher sprachlos, wenn es darum geht, Gefühle zu äußern. Ist Ihnen das immer schon leichtgefallen?

Das kommt auf jeden Fall aus der Kindheit. Ich war ein sehr wütendes, extrem fühlendes Kind, und vor allem bei Mädchen wird das nicht als cool empfunden, weniger noch als bei Jungs. Es war auf jeden Fall schwierig für mich, weil man als Kind ja seine Gefühle nicht in Worte fassen kann und sich dann so oft unverstanden fühlt. Auch als Jugendliche ist es nicht leicht, wenn man traurig ist und gar nicht weiß, woher diese Traurigkeit kommt und niemanden hat, mit dem man darüber sprechen kann.

Da hat Ihnen das Schreiben geholfen?

Ja, deswegen habe ich zum Schreiben gefunden, weil so viele Dinge auf der Welt sind, die ich sehe, die ich fühle, die ich einfach nicht verstehe. Das Erzählen ist erleichternd. So verstehe ich, wie die Welt ist und wie sie funktioniert. Es sind so viele widersprüchliche Gefühle in einem, über die man so wenig spricht in unserer Welt. Auch in meiner Familie hat nicht immer eine offene Kommunikation über die eigenen Befindlichkeiten stattgefunden. Ich mache gerade genau das Gegenprogramm. Ich sage nun oft, was ich fühle.

Sie sagen, Angst mache alles kaputt. Das stimmt, aber Angst lässt sich extrem schwer kontrollieren. Können Sie Angst unterdrücken oder wie gehen Sie mit ihr um?

Angst war immer das Größte und Schlimmste in meinem Leben. Ich hatte immer Angst, falsche Entscheidungen zu treffen und diese zu bereuen, Angst, den falschen Weg zu gehen, Angst vor dunklen Gedanken, die mich immer wieder heimgesucht haben, aber auch Angst vor Krankheiten, die die Familie heimsuchen. Ich möchte gegen Angst arbeiten, weil sie einen so einschränkt, weil man eh nicht alles kontrollieren kann und weil falsche Entscheidungen immer dazugehören. Man wird seinen Weg irgendwie gehen. Die Angst war früher immer präsent, da war eine Enge im Hals oder ein schlechtes Gefühl im Bauch. Aber jetzt ist sie nur noch ab und zu da und ich habe sie mehr unter Kontrolle.


Caroline Wahls Debüt „22 Bahnen“ wurde direkt ein Bestseller. Auch der Nachfolger „Windstärke 17“ (beide DuMont) ist sehr erfolgreich. Für ihren ausverkauften Auftritt bei der lit.Cologne im Live-Podcast „Hotel Matze“, 25.3., 20.30 Uhr, Flora, verlosen wir 3 x 2 Tickets. Wenn Sie gewinnen möchten, schicken Sie eine Mail mit dem Betreff „Caroline Wahl“ und Ihrem vollständigen Namen bis 12. März an: ksta-kultur@kstamedien.de